Deutsch lernen wird schwieriger: Von den bislang 50 angebotenen Kursen fallen in Stuttgart gut die Hälfte den Kürzungen zum Opfer. Foto: dpa

In keiner anderen deutschen Großstadt funktioniert die Sprachförderung und damit die Integration so gut wie in Stuttgart. Bis jetzt: Der Bund kürzt die Zuschüsse der EU ab sofort um die Hälfte.

In keiner anderen deutschen Großstadt funktioniert die Sprachförderung und damit die Integration so gut wie in Stuttgart. Bis jetzt: Der Bund kürzt die Zuschüsse der EU ab sofort um die Hälfte.

Stuttgart - Isabel Lavadinho kann es nicht fassen. Am 1. April erhielt die Leiterin der städtischen Arbeitsförderung in Stuttgart die Mitteilung, dass der Bund die EU-Fördermittel für Deutschkurse massiv einkürzt – mit sofortiger Wirkung. „Konkret bedeutet dies, dass circa 400 Migranten, die in Stuttgart Deutsch lernen wollen, dies ab sofort nicht mehr können beziehungsweise selbst bezahlen müssen“, sagt sie. Die Entscheidung über die Umschichtung der Gelder aus dem Topf des Europäischen Sozialfonds fiel in Berlin, genauer: im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Besonders bitter: So perfekt wie in Stuttgart organisiert kaum eine andere Großstadt die Sprachförderung. Insgesamt bieten die 16 Kursträger jedes Jahr 50 Deutschkurse an. Zum Vergleich: Der Stadtstaat Bremen kommt gerade einmal auf 13 Kurse. Und ist darauf bereits stolz. Als einzigartig gilt in Stuttgart auch die zentrale Anlaufstelle, die den passenden Kurs vermittelt.

Doch mit diesen Strukturen soll jetzt Schluss sein. Das Arbeitsministerium stoppt die Förderung von Kursen im laufenden Jahr rückwirkend zum 31. März. Erst ab Januar 2015 kann die Stadt wieder EU-Zuschüsse für Deutschkurse beantragen. Allerdings nur in einem viel geringeren Umfang: Fortan bewilligt der Bund nur noch Kurse für Empfänger von Arbeitslosengeld oder für akut von Arbeitslosigkeit bedrohten Migranten.

Rund 400 Menschen in Stuttgart betroffen

In Stuttgart gehen dadurch allein im laufenden Jahr circa 400 Menschen leer aus: bereits angeworbene Fachkräfte aus dem Ausland, Flüchtlinge, Asylbewerber oder nachgezogene Familienmitglieder. Sie konnten bisher Kurse in Anspruch nehmen, jeweils angepasst an ihre individuellen Fähigkeiten. Das Lernen der deutschen Sprache wird ihnen künftig deutlich erschwert.

Munna Nirk Hossain ist eine von ihnen. Die 27-Jährige stammt aus Bangladesch und lebt mit ihrem Mann seit fünf Jahren im Stuttgarter Norden. Für ihr Leben gern würde sie hier als Erzieherin arbeiten, erzählt sie in gebrochenem Deutsch. Eine Branche, die nicht nur in Stuttgart händeringend nach Fachkräften sucht. Aber leider fehlt Munna noch das letzte Kursmodul, um sich für die Berufsausbildung zu qualifizieren.

Sie hatte sich zwar schon angemeldet, aber jetzt fällt der Sprachkurs den Kürzungen zum Opfer; die Stelle als Erzieherin rückt erst mal in weite Ferne. „Diese Kürzungen widersprechen allen politischen Zielsetzungen“, sagt Isabel Lavadinho. In Baden-Württemberg fehlen laut IHK jedes Jahr 220 000 Fachkräfte. Diese Lücke ließe sich mit ausländischen Mitbürgern zumindest teilweise füllen – vorausgesetzt, sie beherrschen die Sprache und können sich dadurch beruflich aus- und weiterbilden.

Was das Bundesministerium zu den Kürzungen bewogen hat, wissen weder Isabel Lavadinho noch ihre Kollegen im Netzwerk der Sprachförderung. „Unsere Prozesse haben wir immer transparent dargelegt. Beim Ministerium vermissen wir diese Transparenz schmerzlich“, sagt sie. Es lässt sich nur vermuten, dass die Mittel umgeschichtet werden sollen. In welche Kanäle, das vermag bis jetzt noch niemand zu sagen.