Palästinenser bringen ihre Sachen mit dem Auto nach Khan Yunis im Süden des Gazastreifens, um dort Schutz zu finden. Foto: AFP

Wann kommt es zu einer Waffenruhe im Gazastreifen? Der Streit über den Begriff der „nachhaltigen Ruhe“ blockiert die Gespräche zwischen Israel und der Hamas.

Eigentlich steht einer Einigung auf eine Waffenruhe in Gaza nicht mehr viel im Weg, meint Jake Sullivan: Israel und die Hamas „sind nahe genug beieinander, um eine Vereinbarung zu erreichen“, sagt der US-Sicherheitsberater. Wochenlange Vermittlungsgespräche von Ägypten, Katar und USA haben eine Grundlage für eine Feuerpause geschaffen, doch die jüngste Verhandlungsrunde in Kairo endete ohne Ergebnis, der Krieg geht weiter. Der Streit über den Begriff der „nachhaltigen Ruhe“ für die Zeit nach einer Waffenruhe zeigt, warum das so ist.

Bei den indirekten Verhandlungen in Katar und Ägypten sind Israel und die Terrororganisation Hamas trotz Fortschritten in Einzelfragen bei ihren grundsätzlichen Kriegszielen geblieben. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will die Hamas militärisch zerschlagen, und Hamas-Chef Ismail Hanijeh will genau das verhindern. Die Vermittler versuchen, diese Kluft zu überbrücken, und sind dabei weit gekommen. Doch nun stecken die Gespräche fest.

Netanjahu ordnet Angriff auf Rafah an

Beide Seiten verwirren ihren Gegner und die Vermittler, um sich Vorteile zu verschaffen. Netanjahu ordnete den Angriff auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens an, schickte aber gleichzeitig eine israelische Verhandlungsdelegation nach Kairo. Die Hamas gab vor einigen Tagen ihre Zustimmung zur Waffenruhe bekannt, schickte aber in Wirklichkeit nur ihren Gegenvorschlag zum jüngsten Lösungsentwurf an die Vermittler. Die palästinensische Terrorgruppe wollte damit Israel schlecht aussehen lassen.

Trotz dieser Störmanöver steht nach den Gesprächen der vergangenen Wochen das Gerüst einer Einigung. In einer ersten Phase von sechs Wochen soll die Hamas im Schutz der Feuerpause 33 israelische Geiseln – Frauen, Alte, Kranke und Verwundete – freilassen, während Israel mit einem Teilrückzug seiner Truppen beginnt, eine humanitäre Versorgung der Zivilisten in Gaza erlaubt und palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen entlässt. Während dieser sechs Wochen sollen Israel und die Hamas eine zweite sechswöchige Phase vorbereiten, in der die Hamas auch gefangene israelische Soldaten freilassen soll. In einer anschließenden dritten Phase würde der Wiederaufbau von Gaza beginnen.

Welche Geiseln, welche Häftlinge sollen freikommen?

Dass die Kriegsparteien noch darüber streiten, welche Geiseln und welche Häftlinge freikommen sollen, verzögert den Abschluss der Gespräche, ist aber nicht das eigentliche Problem. Im Hintergrund steht der bisher unüberbrückbare Gegensatz zwischen der Hamas-Forderung nach einem endgültigen Ende des Krieges als Konsequenz aus der Feuerpause und Netanjahus Entschlossenheit, die Hamas zu vernichten.

Die jüngsten Fortschritte in den Verhandlungen waren möglich geworden, weil sich Israel unter amerikanischem Druck bereit erklärte, über eine „nachhaltige Ruhe“ in Gaza zu reden. Nun stocken die Gespräche, weil die Hamas darunter etwas völlig anderes versteht als Israel.

Formulierung bewusst vage gehalten

Der Vermittlungsentwurf für eine Vereinbarung definiert die „nachhaltige Ruhe“ als dauerhaftes Ende militärischer Aktionen im Gazastreifen, wie die britische BBC unter Berufung auf das Dokument meldet. Die Hamas begrüßt diese Formulierung, weil „Ruhe“ das Überleben ihrer Führungskader in Gaza sichern und den Wiederaufbau der Hamas-Verwaltung in dem Küstenstreifen ermöglichen würde. Dagegen lehnt Israel die Definition ab, weil der jüdische Staat nicht zulassen will, dass die Hamas militärisch wieder erstarkt, wie Netanjahu sagt.

Ägypten, Katar und die USA haben den Begriff der „nachhaltigen Ruhe“ in ihrem Einigungsentwurf absichtlich vage gehalten: Wichtig sei erst einmal, dass die Kämpfe aufhörten, berichtete die „New York Times“ aus dem Weißen Haus. In der Kampfpause könnten Israel und die Hamas dann darüber reden, was die „nachhaltige Ruhe“ eigentlich sein soll. Die USA hoffen der Zeitung zufolge, dass die ersten beiden Phasen der Waffenruhe von insgesamt zwölf Wochen eine Rückkehr zum Krieg unwahrscheinlich machen würden. Der Beginn der israelischen Offensive in Rafah könnte diese Hoffnung zunichtemachen. Hamas-Funktionär Issat el-Reschik schloss weitere Zugeständnisse seiner Organisation aus und warf Israel vor, die Verhandlungen als Vorwand zu benutzen, um Rafah einnehmen zu können. Israel sagt dagegen, der jüngste Vorschlag der Hamas sei unannehmbar. Unterhändler und Vermittler beendeten mehrtägige Gespräche in Kairo, ohne ein Ergebnis erreicht zu haben.