Im Kreis Rottweil war im vergangenen Jahr jeder fünfte Bürger in einen juristischen Streit verwickelt. Foto: Deck

Im Südwesten zieht man weniger vor Gericht als anderswo. Gang vor den Kadi ist Männersache

Kreis Rottweil - Was früher bei einem Bier oder einer Tasse Kaffee im Streit unter Nachbarn friedlich beigelegt wurde, landet immer häufiger vor Gericht. Die Deutschen werden mehr und mehr zu Prozesshanseln.

Im vergangenen Jahr war jeder fünfte Bewohner des Landkreises Rottweil in einen juristischen Streit verwickelt. Und, kaum zu glauben, dabei geht es zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb noch deutlich friedlicher zu, als in anderen Gegenden Deutschlands.

Das ist jedenfalls "Deutschlands großem Streitatlas" zu entnehmen, herausgegeben vom Rechtsschutzversicherer Advocard. Der Streitatlas hat errechnet, dass auf 100 Einwohner des Landkreises Rottweil 20,1 Streitfälle kommen.

Darüber können beispielsweise die Berliner oder die Kölner nur müde lächeln. In der Bundeshauptstadt liegt die Zahl der Streitfälle bei 31,2 von 100, das heißt jeder dritte Berliner fand sich, statistisch gesehen, im vergangenen Jahr unversehens vor Gericht wieder. Damit sind die Berliner als Bundesland einsam an der Spitze.

Auch die für ihren Frohsinn bekannten Rheinländer reagieren bei Streitigkeiten eher humorlos und ziehen vor Gericht. Bei den Flächenländern liegt damit Nordrhein-Westfalen ganz vorn. Baden-Württemberg nimmt in dieser Rangfolge den vorletzten Platz unter den 16 Bundesländern ein.

Unter den deutschen Städten ist Leipzig unbestritten die "Zoffhochburg".  Auch in den Ruhrgebietsstädten Dortmund und Essen pocht man überdurchschnittlich oft auf sein vermeintliches Recht.

Die Rottweiler sind da deutlich zurückhaltender. Überhaupt leben sie in einer friedlichen Ecke, denn ähnlich gute Werte erzielen beispielsweise die Kreise Freudenstadt (20,4) und Zollernalb (19,9). Nur wenig streitsüchtiger geht im Kreis Schwarzwald-Baar mit 23,1 zu. Damit liegen die genannten Kreise knapp unter dem Landesdurchschnitt mit 23,2, und erst recht unter dem Bundesdurchschnitt mit 25,1 Streitfällen pro 100 Einwohner.

Mit den eben genannten Zahlen endet allerdings die Ausnahmestellung des Südwestens. Hier wie anderswo steht Privates an der Spitze der Gründe vor Gericht zu ziehen. Am häufigsten trifft man sich dann bei Scheidung oder Trennung vor dem Richter. Oder es geht ums Erbe. Auch den Urlaub lassen sich die Deutschen nicht gern vermiesen, und so zieht man mit Inbrunst gegen den Reiseveranstalter zu Felde. Im Kreis Rottweil sind damit schon rund 40 Prozent der Prozessgründe genannt. Allerdings holten Verkehrsstreitigkeiten in den vergangenen Jahren auf. Hier geht es im Wesentlichen um Verkehrsunfälle, Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Mängel beim Autokauf.

Immer wieder ein Grund, die Entscheidung eines Richters zu suchen, ist das Arbeitsumfeld. Vergütung, Kündigung, das Arbeitszeugnis oder Abmahnungen stehen dabei meist im Mittelpunkt. Mit dem Nachbarn und Vermieter setzt man sich dann wegen der Betriebskosten und einer Kündigung auseinander. In dieser Rubrik findet sich auch der klassische Nachbarschaftsstreit, beispielsweise um eine wild wuchernde Hecke an der Grundstücksgrenze.

Wenn sich die Streithähne allerdings entschlossen haben, vor Gericht zu ziehen, dann wird selbst um kleinste Beträge gerungen. Zwei Drittel aller Verfahren bringen gerade mal einen Streitwert von bis zu 2000 Euro in den Gerichtssaal. Diese Fälle nehmen zu. Und es ist ein zähes Ringen. Die Verfahren dauern im Schnitt immer länger, denn Aufgeben gilt nicht.

Und es sind längst nicht mehr nur die verbohrten Alten, die in den Gerichtssaal streben, immer mehr Jüngere setzen den juristischen Hebel an. Ein gewonnener Gerichtsstreit zur Bewältigung der Midlife-Crisis?

Zudem scheint der Gang vor den Kadi nach den Feststellungen des Streitatlasses Männersache zu sein. Fast drei Viertel aller Streitenden im Landkreis Rottweil sind männlich. Was man früher mit Muskelkraft durchsetzte, das erledigt heute ein gewiefter Anwalt. Man lässt sich als ganzer Mann halt nichts gefallen.