FDP-Chef Christian Lindner (r.) während seines Statements vor Journalisten in Berlin. Foto: dpa

Geplatzte Gespräche: Politiker in der Region äußern sich über das vorzeitige Aus der Jamaika-Koalition

Kreis Rottweil - Es hatte sich abgezeichnet, seit Sonntagnacht ist es gewiss. Auf Bundesebene wird es keine sogenannte Jamaika-Koalition geben. Wir haben uns auf der politischen Ebene in der Region umgehört und Reaktionen sowie Stimmen eingefangen.

Der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, Volker Kauder (CDU), sagt im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten: Der Bundespräsident Walter Steinmeier habe noch einmal alle Parteien aufgefordert, in sich zu gehen. Das sei vor allem auf die SPD gemünzt gewesen. "Doch diese drückt sich vor der Verantwortung", so der langjährige Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag.

Wichtig sei, dass dieses Land eine stabile Regierung habe. Am liebsten wäre ihm, es würde nicht zu Neuwahlen kommen, zumal dies im Grundgesetz auch nicht vorgesehen sei. "Aber was soll man machen?" Kauder geht davon aus, dass im Februar erneut gewählt wird – mit Angela Merkel als Spitzenkandidatin. In einer Schaltkonferenz habe sich die Partei für sie ausgesprochen, sie habe erklärt, sie stehe zu Verfügung. Zuvor hatte Kauder erklärt, er sei enttäuscht, dass die Gespräche beendet worden seien. Man sei kurz vor dem Durchbruch gestanden. Bei vielen Themen hätte man den Streit beenden können, etwa bei den Themen Landwirtschaft, Integration und Klimaschutz. Die FDP indes habe wohl den Eindruck gehabt, dass sie sich in einer Koalition nicht genügend wiederfände.

Stefan Teufel, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag, äußert: Ich hätte mir gewünscht, dass die Parteien einen gemeinsamen Nenner finden. Die Lage ist nicht einfacher geworden. Der Abbruch der Gespräche in der entscheidenden Verhandlungsnacht dürfte für viele doch überraschend gekommen sein. Ich rate jetzt zu Besonnenheit und Ruhe, um die nächsten Schritte nach vorne zu beraten. Die Rolle des Bundespräsidenten ist nun von Bedeutung.

Die Gespräche zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Bundespräsidenten haben schon begonnen. Er ist auch aufgrund seiner Integrationsfunktion momentan ein ganz maßgeblicher Akteur. Dies kann auch heißen, dass eine Große Koalition doch nochmals ins Spiel kommt. Es geht um die politische Stabilität Deutschlands. Neuwahlen sind die schlechteste und letzte Möglichkeit. Auch wenn zwei Drittel Neuwahlen bei einem Scheitern von Jamaika wünschen (Politbarometer) – das Grundgesetz baut hier hohe Hürden auf (Artikel 63). Für die Verfassungsväter waren Neuwahlen die Ultima Ratio zur Überwindung einer Regierungskrise. Das Grundgesetz verlangt von den Parteien, dass sie sich zusammenraufen. Vorschnelle Forderungen nach Neuwahlen widersprechen geradezu dem Geist unsres Grundgesetzes. Es verpflichtet uns, alles daran zu setzen, dass stabile Mehrheiten auf der Grundlage des Wählervotums zustande kommen.

Gerhard Aden, FDP-Landtagsabgeordneter, äußert: "Die Sondierungspartner waren in wochenlangen Verhandlungen nicht in der Lage, tragfähige Gemeinsamkeiten zu finden und – wichtig – auch genug Vertrauen für vier Jahre Regierungsarbeit aufzubauen. Jetzt muss sich die Kanzlerin erst mal mit dem Bundespräsidenten über das weitere Vorgehen beraten. Falls die Kanzlerin auf die Sozialdemokraten zugeht, liegt der Ball nun bei der SPD. Ob eine Minderheitsregierung tragfähige Lösungen erbringen kann, ist schwer abzuschätzen. Aber wichtiger als die Vermeidung von Neuwahlen ist eine stabile, handlungsfähige Regierung, die vier Jahre arbeiten kann."

Sonja Rajsp, Vorsitzende der Grünen im Kreis Rottweil: "Ich bin total fassungslos. Die Grünen sind mit ihrem Zehn-Punkte-Plan in die Sondierungen gestartet und haben bei jedem einzelnen Punkt große Abstriche gemacht." Bei 8,9 Prozent Wahlergebnis könne man nicht 100 Prozent durchdrücken, das sei klar, und dementsprechend groß sei die grüne Kompromissbereitschaft gewesen.

Die FDP sei durch die Verhandlungen geschlingert, hat mal hier, mal da Forderungen aufgestellt und teilweise die CSU rechts überholt. Als Krönung die Verhandlungen platzen zu lassen, finde sie verantwortungslos von der FDP-Sondierungsgruppe. Der Ball liege jetzt bei Frau Merkel und Herrn Steinmeier, um nicht zu sagen, sie haben ihn an den Kopf geworfen bekommen. "Eine Minderheitsregierung stelle ich mir äußerst schwierig vor", so Rajsp. "Ich befürchte, das würde vier Jahre keine Entscheidungen in wichtigen Fragen und schon gar keine Reformen bedeuten. Sollten weder FDP noch SPD jetzt den Willen verspüren, ihre Arbeit zu machen, dann denke ich, dass Neuwahlen am wahrscheinlichsten sind."

Der frühere Ministerialdirektor und Oberbürgermeister von Schramberg Herbert O. Zinell sagt: "Für die Bildung einer weiteren sogenannten Großen Koalition spricht die Tatsache, dass die letzte in der Summe durchaus erfolgreich gearbeitet hat und auch die Notwendigkeit einer stabilen deutschen Regierung im Interesse unserer Landes und im Interesse der Weiterentwicklung der Europäischen Union."

Anderseits habe sich die engagierte Arbeit der SPD in der Regierungskoalition für die SPD nicht ausbezahlt. Im Gegenteil, sie sei von den Wählern bei der Bundestagswahl abgestraft worden. . Dennoch lohne es sich für die SPD zumindest nochmals gründlich über eine endgültige Entscheidung nachzudenken, zumal es auch aus Sicht der Landespartei keinen Automatismus dahingehend gibt, dass die SPD aus der Opposition heraus bei der Bundestagswahl besser abschneiden wird.

Torsten Stumpf, Vorsitzender der Kreis-SPD: "Die Sondierungsgespräche sind für mich sehr überraschend zu Ende gegangen. War nach dem Aufstehen sehr erstaunt über die angezeigten Pressemitteilungen. Das es schwierige Verhandlungen sind, war allen Bürgerinnen und Bürgern klar, doch eigentlich hat man daran geglaubt, dass die Parteien für eine Einigung kompromissbereiter sind. Dass wir als SPD in die Opposition gehen, bleibt bestehen, dies hat auch heute die Parteiführung nochmals bekräftigt", dies sei konsequent.