Das Insolvenzverfahren ist längst überstanden. Die Bösinger Fleischwaren GmbH wirtschaftet wieder solide und hat mit Machenschaften der früheren Geschäftsführung überhaupt nichts zu tun. Foto: Archivfoto: privat

Zweiter Prozesstag gegen ehemaligen Geschäftsführer der Bösinger Fleischwaren GmbH. Mit Kommentar.

Kreis Rottweil - Die Insolvenz im Jahr 2011 hat die Bösinger Fleischwaren GmbH gut verdaut. Das Unternehmen steht gesund da, kann unter neuer Geschäftsführung bei ihren Fleisch- und Wurstspezialitäten auch international auf starke Abnehmer bauen. Nach den Krisenjahren fühlen sich die etwa 120 Arbeitnehmer wieder sicher in ihrem Job. Dem entgegen steht das Schicksal des früheren Geschäftsführers und seiner geschiedenen Frau, mit der er aber wieder zusammenlebt.

Nachdem sich im Insolvenzverfahren und der damit verbundenen Neuordnung des Unternehmens immer mehr herausstellte, dass das Paar einerseits mit kriminellen Machenschaften den Betrieb am Laufen zu halten versucht hatte und andererseits Schliche gefunden hatte, sich hohe Summen an Firmengeldern für private Verwendungen anzueignen, begann ein sozialer Abstieg, der jetzt auch den Bezug von Sozialhilfe zur Folge hat. Eine Situation, unter der vor allem die wegen Beihilfe zur Untreue angeklagte Frau zu leiden hat. Sie gilt als psychisch sehr angeschlagen, seit zum Zeitpunkt der Insolvenz eine Welt für sie zusammengebrochen ist. Ein Gutachter prüft deshalb immer wieder ihre Verhandlungsfähigkeit. Dies war auch gestern, am zweiten Verhandlungstag der Fall, nachdem es am 6. November nur einen kurzen Aufgalopp gegeben hatte.

Anklage prangert hunderte von Vergehen an

Gut zweieinhalb Stunden dauerte das Vorlesen der Anklageschrift durch Staatsanwalt Michael Groß. Der Katalog an Vorwürfen bezog sich zunächst gut eineinhalb Stunden lang auf jahrelange Tricksereien zur Verbesserung der Betriebsliquidität. Hier reichen die Vorwürfe von fingierten Rechnungen an einen von einer Bank wegen der wirtschaftlichen Schieflage der Fleischwaren GmbH eingeschalteten externen Inkassobetrieb bis zu dort nicht mitgeteilten Gutschriften, was unverdiente Zuzahlungen an den Bösinger Betrieb zur Folge hatte. Für diese wohl ab 2008 intensiv betriebenen Machenschaften wurden Mithelfer aus der Finanzbuchhaltung gebraucht. Dem Vernehmen nach wurden diese bereits in anderen Verfahren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Laut Anklage ist allein durch dieses Geldbeschaffungssystem ein Vermögensschaden von knapp 1,4 Millionen Euro entstanden.

Während diese im Raum stehenden unlauteren Aktivitäten dem Bemühen zur Verbesserung der Betriebsliquidität zugeschrieben werden können, müssen Schwarzlieferungen zu einem Abnehmer in der Eifel – mit Geldübergabe bar und letztlich ohne betriebswirksame Rechnungslegung – sowie der bei vielen Kunden beliebte Fabrikverkauf der persönlichen Bereicherung der beiden Angeklagten gedient haben.

Allein aus der Liste der Geldabzweigungen aus dem Fabrikverkauf ergibt sich laut Staatsanwaltschaft ein Schaden für den Betrieb von 1.196.000 Euro. Nur ein Bruchteil, manchmal auch gar nichts dieser wöchentlichen Einnahmen aus dem Fabrikverkauf, die meist zwischen 4000 und 16.000 Euro gelegen haben, seien der Firma gutgeschrieben worden.

Beim Schwarzverkauf geht die Anklage bei 495 Warenentnahmen zwischen 2006 und 2011 von einem Schaden von 663 000 Euro aus. Ins Bild des offenbar anmaßenden Bedienens durch den Firmenpatriarch passt auch der weitere Vorwurf der Staatsanwaltschaft, durch die Bezahlung einer privaten Haushaltshilfe aus der Firmenkasse von 2002 bis 2011 sei dem Unternehmen ein weiterer Schaden von 239 000 Euro entstanden. So beläuft sich der Teil der in Raum gestellten Bereicherungsaktivitäten, die wohl stark dem privaten Bereich zuzuordnen sind, auf knapp 2,1 Millionen Euro.

Um der psychisch sehr labil wirkenden 51-jährigen Frau eine Erholungspause zu gönnen, wurde die Verhandlung gestern nach Befragungen zur persönlichen Situation der beiden Angeklagten beendet. Am 9. Dezember soll es weitergehen.

Anklage: Starke Bereicherung durch Schwarz- und Fabrikverkauf

Ob sich bis dahin die Verteidigung aufgerafft hat, die Möglichkeit einer Verständigung mit Kammer und Staatsanwaltschaft zur Straffung des Verfahrens in Anspruch zu nehmen, bleibt abzuwarten.

Weil die beiden Verteidiger vor Prozessbeginn auf eine "sehr aufwendige Beweisaufnahme" gepocht hätten, seien zwölf statt der zunächst vorgesehenen acht Verhandlungstage angesetzt worden, hatte der Vorsitzende Richter Karl-Heinz Münzer am ersten Verhandlungstag festgestellt. Dies erfordert vom Landgericht auch eine zusätzliche juristische Kraft.

Bei mehr als zehn Verhandlungstagen müssen neben zwei Schöffen nämlich drei statt zwei Berufsrichter tätig sein.

Kommentar: Mauertaktik

Winfried Scheidel

Das Angebot des Gerichts steht im Raum, die beiden Anwälte reagieren dazu bisher sprachlos. Immerhin wurde am Ende des Verhandlungstags am Donnerstag wegen Betrugs und Untreue gegen den früheren Geschäftsführer der Bösinger Fleischwaren GmbH und seine Exfrau angedeutet, dass man sich zu einem Rechtsgespräch zusammenfinden wolle.

So manchem Prozessbeobachter ist längst klar geworden, dass es nicht zuletzt im Sinne der nervlich sehr angeschlagen wirkenden Angeklagten wäre, einen beschleunigten Prozessablauf anzustreben, bei dem zudem Geständnisbereitschaft strafmildernd zu Buche schlagen könnte. Dass Anwältin und Anwalt aus solchen Erkenntnisen doch noch Konsequenzen für ihre Verfahrensbestreitung ziehen wollen, war gestern nicht zu erkennen. Am 9. Dezember bietet sich der Verteidigung die nächste Chance, diesbezüglich öffentlich Farbe zu bekennen.