Fühlt sich als Cheflobbyist des Landkreises wohl: Helmut Riegger, seit vier Jahren im Amt des Landrats. Foto: Fritsch Foto: Schwarzwälder-Bote

Der Virtuose auf der politischen Klaviatur: Helmut Riegger arbeitet mit stoischer Beharrlichkeit an der Zukunft des Kreises.

Kreis Calw - Was seine Ungeduld anbelangt, kann Landrat Helmut Riegger fast mit dem neuen italienischen Premier Matteo Renzi mithalten. Mit dem kleinen Unterschied, dass der forsche Renzi in drei Monaten das schaffen will, was die Politik über 30 Jahre versäumt hat – Riegger lässt sich dafür wenigstens eine Amtsperiode Zeit. Zur Halbzeit hat er indes schon Erstaunliches vollbracht – auch auf die Gefahr hin, dass er politisch manchmal auf sich alleine gestellt ist.

"Nicht nur Bändchen durchschneiden und Grußworte halten"

Augenscheinlicher hätte der Wandel an der Spitze des Landratsamtes mit seinen 800 Mitarbeitern vor vier Jahren nicht ausfallen können: vom intellektuellen Schöngeist und gestrengen Amtschef Hans-Werner Köblitz zum jovialen Typ "Verwaltungsmanager" Helmut Riegger, dem Leistung wichtiger ist als akademische Grade. Enge Mitarbeiter sprechen offen von einem Kulturwechsel im Calwer Landratsamt. Riegger kam und machte nicht alles, aber vieles anders. Er will "nicht nur Bändchen durchschneiden und Grußworte halten", wie er sagt, er will raus zu den Menschen und hören, was sie von ihm erwarten. Und er will vor allem eines: diesen Landkreis Calw voranbringen und ihm neues Selbstbewusstsein einimpfen.

Doch vor ihm türmen sich Berge von Herausforderungen, als ob sich all die Probleme, die ein Landkreis so haben kann, kulminieren würden: Die beiden Kreiskrankenhäuser geraten in finanzielle Turbulenzen und der Kreis wird deswegen, zu allem Unbill, auch noch von den Privatklinik-Lobbyisten vor den Kadi gezogen. Riegger kämpft mit Verve und auch gegen viel Widerstand für neue Strukturen, die den beiden Kliniken wieder ein festes Fundament geben sollen. Die von ihm angestoßene Bürgerbeteiligung ist landesweit einzigartig, aber er wird von den Bürgern dennoch wegen seines Konsolidierungsplans hart angegangen. Dass diese Angriffe mitunter persönlich wurden und auch unter die Gürtellinie zielten, das trifft ihn – doppelt. Natürlich hat er sich in seinem politischen Leben – zehn Jahre Staatsministerium und Landesvertretung, zehn Jahre Bürgermeister in Kirchheim und Sindelfingen und jetzt vier Jahre als Landrat – ein dickeres Fell zugelegt, aber er ist einer, der mit offenem Visier kämpft ("Ich halte nichts von Taktiererei") und deswegen angreifbarer ist. Das muss er auch beim Kampf um den Nationalpark erkennen. Bis zuletzt bekennt er sich als dessen klarer Befürworter, während andere wie die Fähnchen im Wind bei der nächstbietenden Gelegenheit die Seiten wechseln.

Klein beigeben und Prinzipien einfach über Bord werfen – das widerspräche ohnedies seinem Charakter. Nein, was er sich als Kreis-Agenda vorgenommen hat, verfolgt er mit zielstrebiger Beharrlichkeit bis hin zur Sturheit. Und er weiß um diese kleinen Schwächen. Er braucht und nutzt weidlich die Gestaltungsfreiheit, die der Kreistag ihm lässt, aber manchmal entfernt er sich zu weit von denen, derer Unterstützung er bedarf: "Für manche Leute bin ich zu schnell", sagt er offen in seiner Halbzeitbilanz. Er kann einfach nicht anders.

"Ich mache keine Parteipolitik"

Vor dreieinhalb Jahren, als er die Wiederinbetriebnahme der Württembergischen Schwarzwaldbahn als Zubringer zum Stuttgarter S-Bahnnetz zur Chefsache erklärte, haben ihn viele noch belächelt. Heute steht er kurz vor dem Durchbruch: der Finanzierungszusage des Landes. Möglich gemacht hat dies sein untrügliches Gespür für das Machbare und seine besonderen Beziehungen zur Macht. Helmut Riegger hat sich in seinem politischen Leben ein riesiges Netzwerk aufgebaut und versteht es, als "Cheflobbyist dieses Landkreises", auf der politischen Klaviatur virtuos zu spielen. Es waren nicht schöne Reden in öffentlichen Sitzungen, die dem Wirtschaftsgymnasium in Nagold zum Durchbruch verhalfen, sondern Rieggers geschickte Winkelzüge. Auf seine Partei, die CDU, nimmt er da wenig Rücksicht: "Ich mache keine Parteipolitik. Ich mache Politik für den Landkreis. Und das ist, was zählt."

Als ausgerechnet Parteifreunde ihm bei der Hermann-Hesse-Bahn kurz vor dem Ziel in die Parade fahren, reagiert er mit Unverständnis: "Wenn man für die Zukunftsfähigkeit dieses Kreises nicht bereit ist, in den Landkreissäckel zu greifen, für was dann?" Zeit zum Durchatmen bleibt nicht. Der 51-Jährige dreht an vielen Stellschrauben, prophezeiend: "Wenn man nicht in die Zukunft investiert, wird es diesen Landkreis Calw in 20 Jahren nicht mehr geben."

Für seine ambitionierten Ziele nutzt er vor allem seine guten Kontakte zu den Unternehmern in der Region, die seine zupackende Art schätzen und die von Riegger angestoßene Zukunftsstudie für den Landkreis oder die Imagewerbung sogar aus eigener Kasse bezahlen, weil sie sehen, dass hier einer was bewegt. Riegger kämpft an allen Fronten: Er holt sich einen Wirtschaftsförderer ins Landratsamt, schafft eine EU-Stelle, die Millionen an Fördergeldern für den Kreis scheffelt, arbeitet an der Gründung eines Zweckverbandes für die Breitbandversorgung, verwirklicht die lang ersehnte Gründung der Schwarzwald-Tourismus GmbH, investiert 9,5 Millionen Euro in die Berufsschulen des Kreises und bilanziert zur Halbzeit: "58,2 Millionen Euro in den Ausbau unserer Straßen – ein stolzer Betrag."

Helmut Rieggers große Aufgabe wird es sein, in der zweiten Halbzeit einen Knopf an seine ambitionierte Agenda zu machen, wobei er noch einen draufsetzt. Er will eine Hochschule in den Kreis holen und hat dafür auch schon seinen Standort ausgemacht. Man muss schließlich noch Ziele haben.

Dass manche ihm Abwanderungsgelüste nachsagen, wischt er lächelnd vom Tisch: "Ich fühle mich sehr wohl hier. Ich brauche keinen Karrieresprung mehr."