Alle Tiere, die beispielsweise bei Simmersfeld geschossen werden, müssen zwangsläufig ins Veterinäramt gebracht und dort auf Radioaktivität geprüft werden Foto: dpa

116 erlegte Wildschweine müssen entsorgt werden. Grund: Sie waren radioaktiv verstrahlt.

Nagold/Kreis Calw - Im Kreis Calw mussten nach Auskunft des Nagolder Hegeringleiters Rainer Krebs im vergangenen Jagdjahr 116 erlegte Wildschweine entsorgt werden. Der Grund: Sie waren radioaktiv verstrahlt.

"Da blutet einem Jäger das Herz", sagt Krebs.Ihre Feinschmecker-Schnauze ist schuld: Wildschweine stöbern im Waldboden mit Vorliebe den Hirschtrüffel auf. Wenn Eicheln, Bucheckern und Mais nicht mehr so leicht zu bekommen sind, steht der unterirdisch wachsende Pilz ganz oben auf dem Speiseplan. Das Problem dabei ist, dass Hirschtrüffel noch immer relativ hoch verseucht sind mit Radio-Cäsium-137 – eine der Nachwirkungen des Reaktorunglücks von Tschernobyl.

"Da blutet einem Jäger das Herz"

Fressen die Tiere besonders viel davon, ist auch ihr Fleisch verseucht – zumindest nach Maßstäben der Bundesregierung. Diese hat den Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm Fleisch festgelegt; in der Schweiz beispielsweise ist die Weiterverarbeitung erst ab 1200 Becquerel untersagt. Da die Schwarzkittel die einzige Wildart sind, bei der die Kontamination seit dem Tschernobyl-Unfall stagniert, sind Untersuchungen der erlegten Tiere je nach Gebiet empfohlen oder vorgeschrieben.

Alle Tiere, die beispielsweise bei Simmersfeld geschossen werden, müssen zwangsläufig ins Veterinäramt gebracht und dort auf Radioaktivität geprüft werden, erklärt der Altensteiger Hegeringleiter Jost Erhard. Der Revierabschnitt ist als "Überwachungsgebiet" ausgezeichnet, das heißt, dass Untersuchungen in den Jagdmessstellen des Kreises Calw in Wildberg-Sulz und Bad Wildbad-Calmbach vorgeschrieben sind. Auch Bad Wildbad gehört dazu.

Stichprobenartige Untersuchungen sind in so genannten "Monitoring-Gebieten" empfohlen. Dazu gehören beispielsweise die Reviere bei Berneck, Überberg und Walddorf im Raum Altensteig oder Ottenbronn bei Althengstett. Keine Vorgaben gibt es für Nagold, Haiterbach, Rohrdorf und Wildberg – hier wurden in den vergangenen Jahren keine Grenzwertüberschreitungen gemessen ("Freigebiet"). "Wir empfehlen unseren Jagdpächtern dennoch, alle Wildschweine untersuchen zu lassen", sagt der Nagolder Hegeringleiter Krebs.

Im Kreis Calw wurden im Zeitraum von April 2010 bis Ende März 2011 insgesamt 875 Wildschweine erlegt. 342 Tiere landeten auf den Tischen der Veterinäre; in 116 Fällen wurde der Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm Fleisch überschritten. "Diese Tiere bringen wir zur Tierkörperbeseitigung nach Horb", sagt Krebs. "30, 40 Kilo Fleisch werden da einfach vernichtet." Zwar entsteht den Jägern kein materieller Schaden – für jedes Wildschwein, bei dem ein erhöhter Strahlenwert festgestellt wurde, gibt es eine Entschädigung in Höhe von 4,09 Euro pro Kilo Fleisch. Oft überschreitet diese Zahlung den tatsächlichen Marktwert; der Bund zahlte im Jahr 2009 insgesamt rund 424 600 Euro. Doch das Tier ist damit umsonst gestorben.

Ändert diese direkte Berührung mit den Folgen einer atomaren Katastrophe etwas an der Einstellung gegenüber der Atompolitik? "Da schlugen lange Zeit zwei Herzen in meiner Brust", sagt Krebs. Da er beruflich in der Industrie tätig ist, habe der Faktor billiger Strom durchaus eine Rolle gespielt. Als Jäger allerdings sei das Thema Kernenergie wiederum negativ besetzt. Doch nun, seit der Katastrophe in Fukushima, sei die Sache für ihn klar: "Die Frage kann nur noch sein, wie schnell wir den Ausstieg ohne blinden Aktionismus schaffen können."