Andrew Fletcher – cool mit dunkler Sonnenbrille Foto: promo

Andrew John Fletcher, genannt Fletch, war Gründungsmitglied von Depeche Mode - und obwohl er keine Songs schrieb, war er unersetzlich für die Band. Am Donnerstag ist er im Alter von 60 Jahren gestorben. Wir erinnern an den stets coolen Keyboarder mit einem Interview, das wir im Jahr 2013 mit ihm geführt haben.

Stuttgart - Der Depeche-Mode-Keyboarder Andrew Fletcher ist überraschend im Alter von 60 Jahren gestorben. Er war Gründungsmitglied der britischen Erfolgsband und galt als unersetzlich, weil er den Ruhepol zwischen den Egomanen Dave Gahan und Martin Gore bildete. Als Depeche Mode vor einigen Jahren das Album "Delta Machine" veröffentlichten, haben wir Andrew Fletcher in Paris getroffen. Hier finden Sie das Interview, das wir damals mit ihm geführt haben.

Mr. Fletcher, Sie haben zwei Kinder. Finden die, dass ihr Vater cool ist?
Ja, ich glaube schon. Hoffentlich.

Ich bin jedenfalls immer sehr beeindruckt, wie cool Sie auf der Bühne bei Konzerten mit Depeche Mode wirken. Vor allem, wenn Sie eine dunkle Sonnenbrille tragen.
Ja, die ist sehr effektiv.

Wird es mit den Jahren schwerer oder leichter, so cool zu wirken?
Selbstverständlich wird es mit jedem Tag schwieriger. Was aber hilft, ist, dass Dave, Martin und ich noch eine Menge Haare haben. Das macht uns jünger.

Und sind Sie auf der Bühne wirklich immer so entspannt, wie Sie wirken?
Nein, wir sind eigentlich immer nervös. Wir sind nervös vor den Shows, und wir sind nervös, wenn ein neues Album rauskommt. Wenn du keinen Druck verspürst und dir nicht die Nerven flattern, solltest du es besser bleiben lassen. Ich denke, das ist für einen Künstler sehr wichtig. Dave zum Beispiel ist vor jedem Konzert so voller Adrenalin, dass er fast schon panisch wird. Aber dieses Adrenalin verhilft ihm auf der Bühne zu einer fantastischen Show.

Und wie cool bleiben Sie, wenn Sie kritisiert werden? Gehen Sie heute gelassener mit Kritik um als zu Beginn Ihrer Karriere?
Wir werden mal gelobt und mal verrissen. Konstruktive Kritik nehmen wir inzwischen ernst. Das war früher anders: In den 1980ern haben alle Journalisten Rockmusik geliebt und elektronische Musik gehasst. In den ersten zehn Jahren war jedes Interview ziemlich fürchterlich. Heute, aus welchem Grund auch immer, sind in jedem Interview plötzlich alle nett zu uns.

Depeche Mode gibt es nun seit über 30 Jahren, die Rolling Stones feiern dieses Jahr ihr fünfzigjähriges Bestehen.Werden auch Sie so ein Jubiläum schaffen?
In dem Alter werden wir bestimmt nicht mehr tun, was wir jetzt tun. Ich möchte nicht als 70-Jähriger auf einer Bühne stehen. Ich will mich dann um meine Enkel kümmern und etwas ganz Normales machen. Aber beim Rock ’n’ Roll weiß man das ja nie. Schließlich macht der süchtig.

Und wann bekommen wir endlich mal ein Lied zu hören, das Sie geschrieben haben? Auf dem neuen Album „Delta Machine“ ist wieder kein Song von Ihnen dabei.
Besser so. Wenn Sie einen meiner Songs hören würden, wüssten Sie, warum. Songwriting ist eine Kunst. Und es gibt sehr viele große Musiker, die keine Songs schreiben können.

Und bei Depeche Mode gibt es ja inzwischen zwei gute Songwriter. Wodurch unterscheiden sich die Stücke, die Martin Gore und Dave Gahan schreiben, voneinander?
Der Unterschied ist, dass Martin Texte schreibt, seit er elf Jahre alt ist – und Dave erst seit sieben oder acht Jahren. Martin ist also ein sehr erfahrener Songwriter, Dave wird aber immer besser. Er schreibt anders als Martin, es ist also ganz schön knifflig, es auf dem Album so hinzubekommen, dass Daves und Martins Songs nebeneinander funktionieren.

Demokratie zu dritt ist schwer


Ihre aktuelle Platte ist in New York City entstanden. Wie wichtig waren die Stadteindrücke für die Platte?
Das Studio, in dem wir aufgenommen haben, ist wirklich unglaublich. Es heißt Jungle City und gehört Alicia Keys. Beyoncé hat nebenan aufgenommen. New York ist eine sehr inspirierende Stadt. Als Kontrastprogramm haben wir die andere Hälfte des Albums in Santa Barbara aufgenommen. In einem dunklen Raum ohne Fenster – und dann gehst du raus, um eine Zigarette zu rauchen, und es ist purer Sonnenschein.

Haben Sie Beyoncé versucht zu überreden, bei einem der Depeche-Mode-Songs mitzusingen?
Ne, ich habe sie nur mal im Aufzug getroffen. Sie hatte einen riesigen Bodyguard dabei und war unglaublich aufgebrezelt – und das schon am Vormittag! Fantastisch!

Wie schaffen Sie es eigentlich, nach der langen Zeit im Studio bei der Tour in Stimmung zu kommen?
Es dauert fünf, sechs Shows, bis du in den richtigen Groove kommst. Aber da ich mittlerweile der Einzige bei Depeche Mode bin, der noch was trinkt, sind wir auf der Bühne auch weitaus professioneller geworden. Deshalb ist dem Publikum garantiert, dass es jeden Abend 99,9 oder hundert Prozent bekommt. Früher gab es Tage, an denen du Pech haben konntest. (Lacht.)

Wie trifft eine Band, die aus drei Leuten besteht, Entscheidungen?
Wir sind eine Demokratie. Demokratie zu dritt ist natürlich schwer, aber wir kommen ganz gut und ziemlich freundschaftlich miteinander klar. Wenn einer eine künstlerische Idee partout nicht mag, dann nehmen die anderen zwei das sehr ernst.
(Martin Gore kommt zufällig vorbei, hört kurz zu und sagt grinsend im Weitergehen:) Mensch Fletsch, was erzählst du da wieder für einen Blödsinn?
Fletcher: Ach halt doch die Klappe, du Blödmann (lacht). Sehen Sie?

Heutzutage gibt es nur wenige Bands, die es schon so lange miteinander aushalten und so erfolgreich sind wie Depeche Mode . . .
Ja, die einzige wirklich vergleichbare Band, die mir einfällt, ist U2. Mit ihr sind wir eng verbunden. U2 arbeiten oft mit den gleichen Leuten zusammen wie wir, haben oft den gleichen Produzenten oder Fotografen – Anton Corbijn etwa.

Wie sieht es mit jüngeren Bands aus, die Sie mögen?
Es gibt viele junge Bands, aber ehrlich gesagt schaue ich mich in der Szene nur dann um, wenn ich mal wieder als DJ auflege.

Wie haben Ihnen als Nebenerwerbs-DJ die drei CDs mit Depeche-Mode-Remixen gefallen, die 2011 erschienen sind? Mischen Sie sich da gerne ein?
Wir geben den Remixern völlige künstlerische Freiheit. Wir wollen schließlich, dass sie etwas Aufregendes aus unseren Liedern machen, ohne dass wir dazu unseren Input geben. Manchmal klappt das sensationell gut, manchmal sensationell schlecht.

Welche Musik hören Sie privat?
Depeche Mode.

Wirklich?
Ja, und das eigentlich nur im Studio. Zu Hause höre ich keine Musik. Du wirst der Musik überdrüssig, wenn du den ganzen Tag im Studio bist. Daheim sehe ich viel lieber Fernsehen.