Olympia in Sotschi gibt Anlass zur Rückkehr auf ein Maß der Vernunft , findet unser Kommentator Gunter Barner Foto: dpa

So lange der berechtigte Verdacht besteht, wirtschaftliche Interessen der Olympia-Sponsoren oder staatliches Geltungsbedürfnis könnten die Wahl des nächsten Austragungsortes stärker beeinflussen als die Belange des Sports und seiner Athleten, bleibt der erste Verlierer – die olympische Idee, findet unser Kommentator Gunter Barner

Stuttgart/Sotschi - Weil Olympische Spiele alles andere in der Welt des Sports um Längen überragen, ist es ganz normal, dass in den Tagen davor all das besprochen wird, was so einer Veranstaltung seine Bedeutung verleiht: Hitzige Diskussionen über die Wahl des Gastgeberlands, schwere Bedenken in Bezug auf die exorbitanten Kosten und die berechtigte Skepsis, ob alles rechtzeitig fertig wird. Doch immer dann, wenn das olympische Feuer zum ersten Mal die großen Gefühle seiner Betrachter entfacht, relativieren sich die Zweifel und weichen allmählich dem alles überstrahlenden Glanz der Medaillen. So oder so ähnlich jedenfalls wünschen es sich die Herren der Ringe beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC).

Doch wenn nicht alles täuscht, werden sie diesmal die Geister nicht los, die sie mit der Vergabe der XXII. Olympischen Winterspiele nach Sotschi gerufen haben. Als träfen in dem Städtchen am Schwarzen Meer alle negativen Begleiterscheinungen der olympischen Bewegung zusammen, gerät Sotschi in den Sog einer gedachten Umkehrbewegung, die nur eines zum Ziel haben kann: die Auswüchse des sportiven Circus Maximus einzudämmen auf ein Maß der Vernunft. Rund 40 Milliarden Euro lässt sich der russische Staatspräsident seine Wladimir-Putin-Spiele kosten. Es sind die bisher teuersten Winterspiele der olympischen Geschichte. Und dort, wo seiner Meinung nach bisher nur „ein paar Bienenzüchter“ ihr Zuhause hatten, ließ er mitten ins Marschland der Imeritinskaya-Ebene ein pompöses Wintersportzentrum aus dem Boden stampfen, das in den kommenden Jahren zum St. Moritz des Kaukasus emporsteigen soll. Nachgerade ein Synonym für den langen Arm einer gigantischen Medien-, Freizeit- und Unterhaltungsindustrie, die im Tarnkleid des Sports gute Geschäfte macht. Dass Putin und seine Höflinge im Bemühen, die alte Staatsmacht unter den Augen der Welt wieder ein wenig aufzupolieren, wesentliche Werte der olympischen Charta wie Meinungsfreiheit oder den Schutz vor Diskriminierung bisweilen mit Füßen treten, rückt die Spiele in ein Licht, das vor allem die Athleten nicht verdient haben. Sie haben vier Jahre lang hart und ausdauernd trainiert, um den Höhepunkt ihrer Karriere feiern zu können. Friedlich, ohne Angst vor Terroranschlägen, ohne den Druck, sich bei jeder Gelegenheit politisch positionieren zu müssen. „Sport ist nicht der Knüppel der Politik“, mahnte einst Willi Weyer, Präsident des Deutschen Sportbunds. Was nicht bedeutet, dass der Sport gänzlich unpolitisch ist. Das weiß auch Thomas Bach, seit September vergangenen Jahres der neue starke Mann an der Spitze des IOC. Er warnt zu Recht davor, politische Forderungen an Russland auf die Olympischen Spiele zu übertragen. Das würde das Fest unter den fünf Ringen überfordern. Olympia kann bestenfalls zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen, lösen kann es die Probleme in Russland nicht. Aber auch ohne politische Mission stößt das olympische Spiel längst an seine Grenzen. Weil Kommerzialisierung, Korruption, Gier, Größenwahn und Doping-Tricksereien in den Augen der Öffentlichkeit inzwischen zum Programm gehören, unterliegt die Völker verbindende Idee einem dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust und Werteverfall. Begegnen kann IOC-Präsident Thomas Bach dieser Erosion der Ethik nur mit maximaler Transparenz der Entscheidungen in seiner Organisation. So lange der berechtigte Verdacht besteht, wirtschaftliche Interessen der Olympia-Sponsoren oder staatliches Geltungsbedürfnis könnten die Wahl des nächsten Austragungsortes stärker beeinflussen als die Belange des Sports und seiner Athleten, bleibt der erste Verlierer – die olympische Idee.

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