Die Kriminalität unter Kindern und Jugendlichen nimmt zu - auch in der Region. (Symbolfoto) Foto: Oliver Berg/dpa

Diebstahl, Körperverletzung oder die Erstellung von kinderpornografischen Inhalten: Immer mehr Kinder und Jugendliche begehen Straftaten wie diese - auch in der Region. Verantworten müssen sie sich dafür allerdings erst ab 14 Jahren. Ist eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters also sinnvoll? Ein Kriminologe bezieht dazu klar Stellung.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich dafür ausgesprochen, die Strafmündigkeit ab 14 Jahren zu überprüfen. Hintergrund dafür sind die gestiegenen Zahlen tatverdächtiger Kinder und Jugendlicher, die aus der aktuellen polizeilichen Kriminalstatistik hervorgehen.

Im Vergleich zum Vorjahr ist 2023 die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen in Baden-Württemberg um rund acht Prozent gestiegen. Das heißt: Unter 21-Jährige begingen 2023 mehr Straftaten. Dabei liegt der Schwerpunkt der Jugendkriminalität mit rund einem Drittel vor allem beim Diebstahl, insbesondere dem Ladendiebstahl. Fast jeder fünfte Fall ist ein Aggressionsdelikt und 14 Prozent stellen Betrugsdelikte dar. Dieser Anstieg sei ein Warnzeichen, erklärte Kretschmann am vergangenen Dienstag in Stuttgart. „Das muss man ernst nehmen.“ In erster Linie müsse man dafür die Ursachen erforschen. Was genau zum Anstieg der Jugendkriminalität, sowohl in Baden-Württemberg als auch in ganz Deutschland, geführt hat, ist noch nicht geklärt.

Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen, erklärt gegenüber unserer Redaktion, welche Gründe dafür verantwortlich sein können: "Zum einen kann dazu beigetragen haben, dass wir in diesen Altersgruppen einen größeren Zuzug nach Deutschland erlebt haben." Daneben könnten auch sogenannte 'Nachholeffekte' nach der Corona-Pandemie für einen Anstieg verantwortlich sein. Zudem mag die schlechte wirtschaftliche Lage eine Rolle spielen, so die Einschätzung des Kriminologie-Professors. "Insgesamt gilt nach wie vor, dass Kinder und Jugendliche eher kleinere Straftaten begehen. Darüber hinaus darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass sie auch Opfer von Straftaten werden."

Jugendkriminalität auch in der Region gestiegen?

Doch wie sieht es in der Region aus? Auf Nachfrage bei den

wird deutlich, dass die Kinder- und Jugendkriminalität auch in der Umgebung weiter zunimmt. Wichtig zu wissen ist, dass in diesem Zusammenhang die Zahl der Verdächtigen und nicht die Anzahl der Fälle von der Polizei ermittelt wurde.

Esslingen, Reutlingen, Tübingen und Zollernalbkreis

In der Region des Polizeipräsidiums Reutlingen, zu dem die vier Landkreise Esslingen, Reutlingen, Tübingen und der Zollernalbkreis gehören, ist die Jugendkriminalität stark angestiegen. Die Zahlen der Kriminalstatistik zeigen deutliche Anstiege der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen. Insgesamt 15,6 Prozent mehr Kinder sind tatverdächtig geworden. Die Polizei spricht hier von einem „Zehn-Jahres-Hoch“. Bei den tatverdächtigen Jugendlichen ist die Zahl um 9,3 Prozent gestiegen – so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr. Von den 1285 tatverdächtigen Kindern waren 435 Mädchen und 850 Jungs.

Bei den Straftaten handelte es sich überwiegend um Diebstähle und Körperverletzungen. „Seit 2003 wurden noch nie so viel Körperverletzungen durch tatverdächtige Kinder begangen“, fasst die Polizei aus Reutlingen zusammen. Bei gefährlichen und schweren Körperverletzungen ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder um über 50 Prozent gestiegen. Auch hier ist die Zahl innerhalb der letzten zehn Jahre besonders hoch. Die Straftaten der tatverdächtigen Jugendlichen sind insbesondere auf Diebstahls- und Körperverletzungsdelikte zurückzuführen. Aus den Zahlen des Reutlinger Polizeipräsidiums geht hervor, dass die Gewaltkriminalität und die schweren Körperverletzungen der Jugendlichen im Zehnjahresvergleich ein Hoch darstellen.

Calw und Freudenstadt

Einzig im Bereich des Polizeipräsidiums Pforzheim zeigt sich die Entwicklung der Tatverdächtigen im Kindes-, Jugend- und Heranwachsendenalter grundsätzlich positiv. Benjamin Koch, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Pforzheim, bestätigt das mit den Angaben aus den Landkreisen Calw und Freudenstadt. Bei den kriminellen Kindern sind die Zahlen in beiden Kreisen ähnlich wie im Vorjahr. 

Im Landkreis Calw liegt die Menge der tatverdächtigen und strafunmündigen Kinder bei 101. Im Kreis Freudenstadt bei 76 Tatverdächtigen. Auch bei den Jugendlichen sei der Trend im Kreis Calw leicht rückläufig auf zuletzt 208 Tatverdächtige, so Koch. „Dies stellt im Fünfjahresvergleich den niedrigsten Wert dar.“ Die Zahl der kriminellen Jugendlichen liegt im Kreis Freudenstadt – ähnlich dem Vorjahr – bei 202 Tatverdächtigen.

Die meisten Straftaten, die Kinder und Jugendliche dort begehen, sind Aggressionsdelikte, Verbreitung, Erwerb, Besitz und Herstellung von Kinderpornografie und Besitz, Erwerb von Cannabis.

Rottweil und Schwarzwald-Baar-Kreis

Auch im Landkreis Rottweil hat die Kriminalität von Kindern und Jugendlichen im letzten Jahr zugenommen. Insgesamt zählt die Statistik des Polizeipräsidiums Konstanz dort 310 Tatverdächtige. Die Zahl der tatverdächtigen Kinder ist nur leicht gestiegen, während sich die Anzahl der tatverdächtigen Jugendlichen von 205 (2022) auf 220 erhöht hat. Zu den aufgeklärten Straftaten, die von Personen unter 18 Jahren im Kreis Rottweil am häufigsten begangen wurden, zählen: Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Darunter fallen laut Polizei unter anderem Körperverletzungs- und Raubdelikte, aber auch Nötigungen, Bedrohungen und Freiheitsberaubungen. Hinzu kommen einfache Diebstähle.

Im Vergleich zu 2022 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder im Schwarzwald-Baar-Kreis 2023 weniger geworden. Dennoch wurden mehr Jugendliche straffällig. Insgesamt ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder und Jugendlichen nahezu gleich als im Vorjahr. Mit Blick auf die aufgeklärten Fälle zählen einfache Diebstähle - auch Ladendiebstähle - und Straftaten gegen die persönliche Freiheit, zu den am meisten begangenen Straftaten im Schwarzwald-Baar-Kreis.

Ortenaukreis, Kreis Baden-Baden und Kreis Rastatt

Im Bereich des Polizeipräsidiums Offenburg, welches den Ortenaukreis, den Kreis Baden-Baden und den Landkreis Rastatt umfasst, ist die Anzahl der Tatverdächtigen im Alter zwischen 14 und 18 Jahre im Jahr 2023 auf 2387 angestiegen. „Dies bedeutet eine Zunahme um 28,1 Prozent“, erklärt Wolfgang Kramer, Pressesprecher der Polizei in Offenburg. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der Tatverdächtigen unter 14 Jahren auf 832 gesunken, was einen Rückgang von sechs Prozent bedeutet. Am häufigsten sind bei Kindern und Jugendlichen Diebstähle und Körperverletzungen betroffen. Bei Jugendlichen kommen zusätzlich noch Betrugsdelikte hinzu.

Absenkung des Strafmündigkeitsalters sinnvoll?

Macht eine Überprüfung der Strafmündigkeit ab 14 Jahren aus wissenschaftlicher Sicht Sinn? Jörg Kinzig bezieht dazu klar Stellung: „In der Kriminologie, aber auch bei Personen, die sich speziell mit Jugendstrafrecht beschäftigen, wird eine Absenkung der Strafmündigkeit auf unter 14 Jahren ganz überwiegend abgelehnt. Die seit mehr als 100 Jahren geltende Regelung hat sich bewährt.“ Außerdem sei laut Kinzig nicht erkennbar, dass eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters besonders präventive Effekte hätte.

„Im Gegenteil wäre zu befürchten, dass Kinder - würde man sie zum Beispiel mit älteren Jugendlichen oder Heranwachsenden einsperren - in schlechte Gesellschaft geraten und verstärkt straffällig werden könnten.“ Aus Sicht des Wissenschaftlers wäre stattdessen eine Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit sinnvoller, damit Fehlentwicklungen frühzeitig entdeckt werden.

Einteilung der Altersgruppen

Die Altersgruppen werden in der Kriminalstatistik in folgende Altersgruppen unterteilt: 

  • Kinder: unter 14 Jahre
  • Jugendliche: 14 bis unter 18 Jahre
  • Heranwachsende: 18 bis unter 21 Jahre