Bei der Razzia der Polizei in mehreren Bundesländern gegen die türkischnationalistische Rockergruppe wurden allein in Baden-Württemberg acht Objekte – darunter dieser Fitnessklub in Jettingen.– durchsucht. Foto: Feyder

Polizisten stürmen Jettinger Muckibude. Acht Objekte der "Osmanen Germania" durchsucht – darunter im Kreis Böblingen.

Jettingen - Von der Decke hängen kindsgroße Boxsäcke an eisernen Ketten. Ein Tau liegt im Schaufenster. Daneben ein blaues Polster, das Boxer brauchen, um sich bei Trainingskämpfen vor Schlägen gegen Brust und Bauch zu schützen. Damit lädt ein Jettinger Kampfsport- und Fitnessstudio diejenigen ein, Schweiß zu vergießen, die – so heißt es im einem hauseigenen Werbeslogan – "keine Maschinen brauchen, um eine Maschine zu werden".

Das könnte sich schon bald für einige der Kerle ändern, die auf Fotos gerne breitbeinig und mit eingewickelten Armen posieren. Oft im schwarzen Jogginganzug, auf dem Herzen einen rot vermummten Ritterhelm und den Schriftzug "Osmanen Germania" auf dem rechten Oberschenkel. Denn am Dienstagmorgen um 6.17 Uhr haben sich durch das Dämmerlicht die Strahlen von Taschenlampen gebahnt und sind über die Sandsäcke in der Muckibude in Jettingen bei Nagold geglitten. Wenig später führten maskierte Polizisten den Inhaber des Studios in Handschellen aus dem Studio in seine benachbarte Wohnung. Der Mann ist zugleich Präsident des Nagolder "Osmanen Germania Boxklubs". Das Fitnesscenter dient seinem Gefolge – davon sind Kriminalbeamte überzeugt – als Klubhaus.

Ziel der Razzia: Um ein Verbot der offiziell als Boxklub auftretenden, mehrheitlich von türkischstämmigen Männern gebildeten "Osmanen Germania" vorzubereiten, wollten Fahnder bei der Durchsuchung von 59 Objekten in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Erkenntnisse über Strukturen und Aktivitäten der Gruppe gewinnen. Ihr werfen Staatsanwälte und Ermittler vor, Teil eines den Süden und Westen Deutschlands überspannenden Netzwerkes zu sein, das dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sehr nahe steht.

Dazu gehören der Lobbyverein Union der Europäisch Türkischen Demokraten (UETD), Abgeordnete der Regierungspartei AKP, der türkische Nachrichtendienst MIT und die Osmanen. Um dem zu begegnen bot der scheidende Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Dienstag mehr als 800 Polizisten auf. Unter ihnen auch Spezialkräfte. Sie durchsuchten in Nordrhein-Westfalen und Hessen Wohnungen und Geschäftsräume mutmaßlicher Osmanen-Mitglieder wie auch in Baden-Württemberg.

Hier waren mehr als 100 Beamte bei Durchsuchungen in Crailsheim und Gerabronn (beide im Kreis Schwäbisch Hall), Jettingen (Kreis Böblingen), Mannheim sowie in den Gefängnissen Offenburg und Stuttgart-Stammheim aktiv.

Nagolder Chapter gilt als mannstärkste Gruppe

In den Justizvollzugsanstalten sitzt derzeit das frühere Welt-Führungsduo der Gruppierung, Mehmet Bagci und Selcuk Sahin, in Untersuchungshaft. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft Stuttgart mehrere Gewaltverbrechen vor. Der Prozess gegen sie und sechs Mitangeklagte beginnt am 26. März vor dem Landgericht Stuttgart. Die Ankläger werfen der Gruppe Straftaten von räuberischer Erpressung über Menschenraub und -handel bis hin zu schwerer Körperverletzung und versuchtem Mord vor. Bagci und Sahin waren im Sommer vergangenen Jahres – wie auch der Präsident der Stuttgarter Osmanen-Sektion, Levent Uzundal – festgenommen worden.

Unter Führung des baden-württembergischen LKA hatte die Ermittlungsgruppe "Meteor" nachgeforscht. Der Sonderkommission gehörten außerdem Beamte der Bundespolizei und der Polizeipräsidien Ludwigsburg und Stuttgart an. Sie gingen vor allem gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Osmanen und Anhängern der kurdisch beherrschten Rockergruppe "Bahoz" (kurdisch für Sturm) nach.

Die Wohnung des Vorsitzenden der UETD Rhein-Neckar – Mannheim, Yilmaz Ilkay Arin wurde nun – zum wiederholten Mal – ebenfalls durchsucht. Über ihn, so ein Bericht einer deutschen Sicherheitsbehörde, ließ der türkische Geheimdienstkoordinator, Abgeordnete der Regierungspartei AKP und Jugendfreund Erdogans, Metin Külünk, den "Osmanen Germania" Geld für Waffenkäufe zukommen.

Etwa 100 Osmanen vermuten Ermittler im Südwesten. Sie sollen derzeit in sechs "Chapter" genannte Ortsgruppen aktiv sein. Dazu gehören die Sektionen in Heilbronn, Pforzheim – und das zum Jahresende 2016 gegründete Chapter Nagold, eine Abspaltung der Stuttgarter Osmanen. Gegründet hat die Abteilung im Nordschwarzwald der frühere Stuttgarter Vizepräsident Ahmet B. Sein Haus in Jettingen wurde ebenfalls durchsucht. Die Nagolder Osmanen gelten als das mannstärkste und stabilste Chapter der rockerähnlichen Gruppe in Baden-Württemberg.

Vier Mitglieder der Osmanen befanden sich Ende Juli 2017 nach der Messerstecherei mit einem Toten vor dem Real-Markt in Horb. Ende Juni war es zu einer bundesweiten Razzia gekommen. Der Vorstand berichtete damals: "Wir haben uns im Januar gegründet. Es gibt Osmanen-Mitglieder, die zwar im Kreis Calw wohnen, aber nichts mit unserem Chapter zu tun haben. Das sieht man auch daran, dass drei Objekte durchsucht wurden: eines in Nagold, eines in Mötzingen und eines in Jettingen. Der Osmane aus Jettingen gehört zu uns. Bei ihm wurden weder Waffen noch Drogen noch überhaupt etwas gefunden."

Mitglieder im Umfeld der Horber Messerstecherei

Kriminelle Machenschaften bestritten die Osmanen aus Nagold damals. O-Ton: "Wir sind alle sportlich tätig, um den Frust abzulassen. Wir haben weder Machtansprüche, noch werden wir öffentlich Präsenz zeigen. Das gibt es nur bei Gruppierungen, die beispielsweise mit Drogen oder Prostitution zu tun haben. Wer das bei uns im Chapter Nagold macht, ist fehl am Platz. Der kann nicht unser Bruder sein."

Allerdings bilden sich – wie in der Region Ludwigsburg – offenbar auch neue Strukturen. Eine Entwicklung, über die sich Steffen Mayer, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, den Kopf zerbricht. Bei den Männern "handelt es sich nicht um eine harmlose Gruppierung, die gesellschaftliche und ehrenwerte Ziele verfolgt. Sie hat auch in Baden-Württemberg in der jüngsten Vergangenheit viel Schaden angerichtet und muss ungezählte Straftaten verantworten."

Info: "Osmanen Germania Boxklubs"

40 Ortsgruppen

Der "Osmanen Germania Boxklub" gilt als größte rockerähnliche Gruppierung in Deutschland. Gegründet wurde er im Frühjahr 2015. Weltweit werden der Gruppierung rund 500 Mitglieder zugerechnet, die sich auf 40 Ortsgruppen (Chapter) verteilen. In Deutschland sind 33 Chapter mit 400 Mitgliedern bekannt. Das Innenministerium geht von sechs Chaptern in Baden-Württemberg mit 100 Mitgliedern und Unterstützern aus. Die meisten sind türkische Staatsangehörige oder stammen aus der Türkei.

100 Ermittlungsverfahren

Die "Osmanen" unterliegen nicht der Beobachtung durch den Verfassungsschutz. In 100 Ermittlungsverfahren zum blutigen Konflikt zwischen den "Osmanen" und der kurdisch geprägten Gruppe "Bahoz" wurden 31 Haftbefehle gegen beide erwirkt – etwa gegen den Weltpräsidenten und den Weltvizepräsidenten der "Osmanen".