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Der Skandal um Dutzende Missbrauchsfälle in den 70er und 80er Jahren am Berliner Elitegymnasium Canisius-Kolleg könnte sich auf Sankt Blasien im Südschwarzwald ausweiten.

Berlin/St. Blasien - Der Missbrauchsskandal am katholischen Canisius-Kolleg in Berlin wirft seine Schatten auch auf den Südschwarzwald: Der geständige, ehemalige Pater des Jesuiten- Gymnasiums unterrichtete Anfang der 80er Jahren auch am traditionsreichen Kolleg in St. Blasien (Kreis Waldshut), bestätigte Direktor Pater Johannes Siebner am Sonntag. "Ich muss davon ausgehen und gehe davon aus, dass es durch ihn auch am Kolleg St. Blasien Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben hat", sagte Pater Siebner.

Ihn habe das Geständnis des Paters wie "aus heiterem Himmel" getroffen, sagte Siebner. Er kenne den heute 65-Jährigen, weil er selbst zu der Zeit Schüler am Berliner Canisius-Kolleg war, als es dort zu Dutzenden Missbrauchsfällen durch den Pater gekommen sein soll. "Ich war selbst aber nicht betroffen, kenne aber einige Opfer - von denen ich aber bisher selbst nicht wusste, dass sie Opfer waren." Er empfinde "Trauer, Zorn und Scham ob der Verbrechen unserer ehemaligen Mitbrüder". Der Pater trat 1991 aus dem Orden aus und lebt jetzt in Südamerika.

Reue-Brief an die Opfer

Laut "Spiegel" soll sich der 65-Jährige im Januar in einem Brief an die Opfer gewandt und Reue gezeigt haben. Zwischen 1975 und 1982 sollen an der Berliner Elite-Schule mindestens 22 Kinder und Jugendliche missbraucht worden sein. Wieviele es im Kolleg in St. Blasien gewesen sein könnten, müssten die angekündigten Ermittlungen des Ordens zeigen, sagte Siebner. Das Kolleg werde alles tun, um den Orden bei der Aufklärung zu unterstützen, versprach der Pater.

Der Skandal wirft auch ein Schlaglicht auf den Umgang der Kirche mit solchen Fällen. Zum Vorwurf, die Jesuiten hätten seit Jahrzehnten von dem vielfachen Missbrauch gewusst, sagte Pater Siebner: "Es ist wohl offensichtlich, dass es ein Versagen im Orden gegeben hat." Zurecht gebe es Pater, die "eine Kultur des Wegschauens und Nicht- Wissen-Wollens" beklagen.

Der "Spiegel" zitierte aus dem Schreiben des früheren Sportlehrers an seine Opfer: Es sei "eine traurige Tatsache, dass ich jahrelang Kinder und Jugendliche unter pseudopädagogischen Vorwänden missbraucht und misshandelt habe". Der Geistliche hat demnach 1991 seinen damaligen deutschen Provinzialoberen eingehend über seine verbrecherische Vergangenheit informiert. Danach trat er aus dem Orden aus.

Vatikan war im Bilde

Der Vatikan in Rom war dem ehemaligen Canisius-Sportlehrer zufolge frühzeitig über die Verfehlungen im Bilde. Der Provinzial der Jesuiten in Deutschland, Stefan Dartmann, bestätigte die Angaben. In einer Stellungnahme kündigte er an, die Aufklärung des Falles am Elite-Gymnasium in Berlin vorantreiben zu wollen. Es gehe darum, welches Wissen es um die Vorfälle damals bei den Verantwortlichen gegeben habe. Auch müsse geklärt werden, welche Konsequenzen dies für die Täter hatte. Unterdessen berichteten ehemalige Schüler des Canisius-Kollegs über ihr Leid. Die "Berliner Zeitung" vom Samstag zitierte einen Betroffenen, der zwischen 1975 und 1979 von einem der beschuldigten Patres mehrfach im Keller der Schule misshandelt wurde. 1981 hätten er und sieben Mitschüler einen Brief an ihre Schule und das bischöfliche Ordinariat geschrieben. "Es kam nie eine Reaktion."

Kritik an katholischer Kirche

Die Vorfälle kamen ans Licht, nachdem Rektor Klaus Mertes sich in einem Brief an etwa 600 ehemalige Schülerinnen und Schüler gewandt hatte. Er kritisierte erneut die katholische Kirche. "Die Kirche leidet an Homophobie. Homosexualität wird verschwiegen. Kleriker mit dieser Neigung sind unsicher, ob sie bei einem ehrlichen Umgang mit ihrer Sexualität noch akzeptiert werden", sagte Mertes dem "Tagesspiegel am Sonntag".

Die Berliner "BZ am Sonntag" zitierte einen früheren Leiter des Kollegs St. Blasien. Pater Hans Joachim Martin war der Vorgsetzte des geständigen 65-jährigen, als dieser in den Jahren 1982 bis 1984 im Südschwarzwald unterrichtete. Martin sagte: "Es gab immer wieder Gerüchte, dass er einigen Jungen nachmittags Nachhilfe gab und bei Ungehorsam ihnen den nackten Hintern versohlte." Er habe zwar alles geleugnet - "aber ich habe ihn trotzdem entlassen und an den Orden berichtet." Laut Martin habe niemand reagiert.