Bei VfB-Heimspielen kann es, hier wie rund um den Abstieg im vergangenen Jahr, auch mal zu tumultartigen Szenen kommen. Foto: Pressefoto Baumann

In Teilen der Gesellschaft und Politik haftet der Eindruck, der Stadionbesuch sei wegen angeblich zunehmender Gewalt nicht mehr sicher. Doch stimmt das? Die Polizei gibt vor dem ersten Heimspiel des VfB Stuttgart nach der Winterpause Antworten.

Stuttgart - – Gehen Sie eigentlich gern ins Stadion, Herr Engelhardt?
Klar – aber nur beruflich. Ich leite 80 Prozent unserer Einsätze rund um die VfB-Heimspiele. Bei den restlichen 20 Prozent bin ich entweder im Urlaub oder anderweitig verhindert.
Betrachten Sie die Einsätze ganz nüchtern oder drücken Sie dem VfB heimlich die Daumen?
Ich bin Stuttgarter und habe deshalb schon Sympathien für den VfB. Ich zähle mich sicher nicht zu den Hardcore- Fans, aber ich ärgere mich über Niederlagen und ich freue mich, wenn die Mannschaft gewinnt – genauso wie alle anderen Anhänger auch.
Wie viel Verständnis können Sie für die Fankultur und das Verhalten von Ultras aufbringen?
Für die positiven Seiten der Fankultur habe ich volles Verständnis. Das, was die Ultras an Stimmung in den Kurven produzieren und transportieren, ist schon toll. Aber es gibt auch Schattenseiten.
Welche?
Rituale wie der Schalraub. Das sind die negativen Auswüchse, für die ich kein Verständnis habe. Ein Schalraub ist ein Raubdelikt, weil der Schal unter Androhung von Gewalt erlangt wird. In den Fanszenen wird das teilweise bagatellisiert. Das ist eine Fehlentwicklung. Aber eines muss man auch sagen . . .
Bitte.
Wir haben rund ums Stadion im Schnitt zwischen sechs und sieben Straftaten pro Spieltag. Das ist nicht sonderlich besorgniserregend. Und die meisten davon sind Hausfriedensbrüche und Betäubungsmitteldelikte.
Damit zerstören Sie das Bild der vielen Krawalle, das Teile der Bevölkerung im Kopf haben. Hand aufs Herz: Wie steht es in Bad Cannstatt um Gewalttaten beim Fußball?
Wenn bestimmte Gruppierungen aufeinandertreffen, kommt es schon zu körperlichen Auseinandersetzungen – auch mit der Polizei. Das sind aber einzelne Spiele, der überwiegende Teil der Spieltage verläuft friedlich. Da kommt es eher zu Verkehrsproblemen, als zu Problemen mit oder zwischen den Fans.
Wie würden Sie denn das Verhältnis zwischen der Polizei und den Fans beschreiben?
Aus meiner Sicht haben wir ein sprachloses Verhältnis. Man kennt sich, aber man redet nicht miteinander. Ultras sprechen nicht mit der Polizei. Die Kommunikation läuft nur über den Verein. Mein Eindruck ist dennoch, beide Seiten wissen von der anderen, was sie will, und passen sich dem weitestgehend an. Es gibt Linien, die von den Ultras nicht überschritten werden, und es gibt gewisse Freiräume, die wir ermöglichen, weil wir in manchen Situationen ein Auge zudrücken – wie zum Beispiel beim Fanmarsch zum Stadion.
Und im Stadion sind Sie dann strikter?
Im Stadion haben wir keine Aufgaben – so lange alles friedlich bleibt. Wir gehen bewusst nicht in die Fanblöcke in der Cannstatter Kurve hinein. Das ist die Wohlfühlzone der Heimfans. Das tolerieren wir. Ich halte das Geben-und-Nehmen-Prinzip für wichtig. In Bad Cannstatt funktioniert das ganz gut.
Wenn es so gut funktioniert, warum sind dann die Einsatzstunden im vergangenen Jahrzehnt so erheblich gestiegen?
Weil die Ultragruppierungen schon bereit sind für Auseinandersetzungen. Die maßgebliche Größe bei unserer Einsatzplanung sind auch nicht die 2000 oder 5000 Ultras – sondern die absolute Zuschauerzahl.
Das bedeutet im Umkehrschluss, die Einsatzstunden werden auch bei gut besuchten, aber völlig risikoarmen Spielen angesammelt.
Wir haben den Personalansatz bei risikoarmen Spielen bereits optimiert. Klar könnte man mal versuchen, ein Fußballspiel zu veranstalten, bei dem gar keine Polizei vor Ort ist. Das Problem ist nur: Wer will das Risiko eingehen und tragen, sollte etwas passieren?
Sie vielleicht?
(Lacht.) Auf keinen Fall! Das Stadion ist wie ein Fuchsbau mit vielen Ein- und Ausgangsmöglichkeiten. Wenn ein Fall eintritt, in dem man es geordnet leerbekommen muss, benötigt man ein gewisses Gerüst an Beamten vor Ort, die die Menschenmassen lenken können. Sonst läuft jeder wieder so heim, wie er auch hergekommen ist. Wenn der Heimweg dann zu ist, kann das verheerende Auswirkungen haben.
Was schlagen Sie vor, um die Gesamtzahl der Einsatzstunden beim Fußball zu reduzieren?
Für meinen Bereich sehe ich unter den aktuellen Voraussetzungen keinen Spielraum mehr. Wenn das Stadion nur mal mit 20 000 Zuschauern belegt sein würde, wäre die Situation wieder eine andere.
Der Zuschauerschnitt des VfB liegt nach der Hinrunde in der zweiten Liga fast so hoch wie in der ersten. Hat sich für die Polizei durch den Abstieg denn überhaupt etwas verändert?
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Hannover 96 und dem SV Sandhausen. Der besteht vor allem darin, wie viele Fans der Gastverein mitbringt. Sieht man von Karlsruhe und Dresden ab, ist das Konfliktpotenzial in der zweiten Liga geringer. Die alten Fan-Feindschaften mit Köln, Frankfurt, Berlin oder inzwischen auch Dortmund fehlen.
Lässt sich also doch sagen, dass die Belastung für die Polizei durch den Abstieg gesunken ist?
Es ist unmöglich, schon jetzt für das ganze Jahr eine Bilanz zu ziehen. Die Heimspiele gegen Dresden und Karlsruhe, zwei Hochrisikospiele, stehen noch aus.
Einige Innenpolitiker erwägen zwei Instrumente, um die Polizei rund um Fußballspiele zu entlasten: personalisierte Tickets und eine Reduzierung des Gästekartenkontingents. Was erachten Sie davon als sinnvoll?
Personalisierte Karten wären das Optimale. Das wäre zwar ein logistischer Aufwand für beide Vereine. Aber es würde uns die Arbeit erleichtern, wenn wir die Namen hätten.
Wobei es bei der Strafverfolgung nichts bringt!
In Kombination mit gewisser Videotechnik würde eine solche Liste schon helfen.
Wie soll das funktionieren? Von einem Gesicht lässt sich doch nicht auf den Namen schließen.
Aber zum Beispiel lassen sich aus der namentlichen Erfassung der Inhaber von Eintrittskarten in einem Block erfolgversprechende Ermittlungsansätze gewinnen.
Kennen die szenekundigen Beamten die sogenannten Problemfans denn nicht sowieso?
Na ja. Die Alteingesessenen, die uns bekannt sind, sind in der Regel nicht die Straftäter. Das Problem sind die, die in der Organisation vorankommen und auf sich aufmerksam machen wollen.
Und was das Gästekartenkontingent betrifft?
Einen Block freizulassen neben dem Gästebereich als Pufferzone kann bei bestimmten Spielen durchaus sinnvoll sein. Aber um ehrlich zu sein, ist mir jeder, der im Stadion ist, lieber, als ein anderer, der trotzdem angereist ist und außerhalb des Stadions oder gar in der Innenstadt wild herumläuft.