Der Trumpf-Patriarch Berthold Leibinger blickt über den Tellerrand seiner Profession hinaus. Foto: factum/Weise

Der Trumpf-Seniorchef Berthold Leibinger ist einer der wichtigsten Mäzene des Landes. Gerade hat seine Stiftung geholfen, die Thomas-Mann-Villa in Kalifornien für Deutschland zu bewahren. Ein Gespräch über Neugier, Verantwortung und Donald Trump.

Stuttgart - Heitere Weltzuversicht – vielleicht kann man es so nennen, was der Mann ausstrahlt, der einem da in seinem Büro in der Trumpf-Zentrale in Ditzingen gegenübersitzt. Und das ist doch etwas entschieden anderes, als die Selbstzufriedenheit eines erfolgreichen Unternehmers, der mit Genugtuung auf sein Lebenswerk zurückblicken könnte. Im November hat Berthold Leibingerseinen 86. Geburtstag begangen. Doch gefeiert wird er zur Zeit vor allem als Mäzen.

Herr Leibinger, es gibt über einen großen Zeitraum die verschiedensten Maschinen, die mit Ihrem Namen verbunden sind: von der Kopiernibbelmaschine, die Sie als junger Student Ihrer späteren Firma vorgeschlagen haben, bis zu der Silbermann-Truhenorgel, deren Nachbau Sie als gereifter Mäzen der Stuttgarter Bachakademie im letzten Jahr ermöglicht haben. Wie hängen diese Apparaturen zusammen?
Das eine ist eine Maschine, um Blechteile auszuschneiden, das andere eine, um Töne zu erzeugen. Als man gemerkt hat, dass das 2013 aufgefundene, schwer beschädigte Truhenpositiv von dem berühmten Orgelbauer Silbermann stammt, war das eine besondere Entdeckung. Eine alte Kopiernibbelmaschine dagegen würde wohl niemand als sensationell empfinden. Aber für mich und das damals noch kleine Unternehmen, in dem ich dann angestellt war, bedeutete das einen entscheidenden Schritt.
Um den Bogen über Ihre vielfältigen Interessen zu schlagen: Hätte man Sie auch für den Orgelbau begeistern können?
Man hätte mich wohl für vieles begeistern können. Die Welt ist so interessant und voller Reiz, dass man eigentlich immer nur bedauern kann, dieses oder jenes nicht zu wissen oder kennenlernen zu können. Weltoffenheit und Neugier sind eine Gnade, im Alter allerdings auch eine Bürde: ich bin vor Kurzem 86 Jahre alt geworden, und habe viele Briefe bekommen, in denen mir geraten wurde, langsamer zu treten und mich zu schonen. Ich möchte aber gerade im wissenschaftlich-technischen Bereich nach wie vor verstehen, was wir machen.
Lässt Ihnen der hohe Grad an Spezialisierung überhaupt noch Zeit für anderes?
Ich habe mich immer gerne mit Literatur und Geschichte befasst, so bin ich aufgewachsen, die ganze Familie ist literarisch interessiert. Ich habe dafür immer Zeit gefunden, meine Devise war und ist: weder Golf, noch Jagd, noch Yacht. Dann kann der Mensch viel tun. Es ist ja nicht verboten, neugierig zu sein.
Auf kulturellem Gebiet sind Sie und Ihre Stiftung weiterhin hochaktiv. Die aktuelle Ausstellung „Die Gabe/The Gift“ im Marbacher Literaturmuseum der Moderne ist eine Verbeugung vor den Spendern und Förderern, denen sich eine Institution wie das Deutsche Literaturarchiv verdankt. Sie ist Ihnen gewidmet. Schmeichelt Ihnen das?
Ich habe mir die Ausstellung schon zweimal angesehen. Ich wusste, dass etwas zu dem Thema geplant war, hatte aber keine Ahnung, dass das etwas mit mir zu tun haben sollte. Die beiden Kuratorinnen haben sehr gute Arbeit geleistet. Mich hat besonders die Bilderwand in einem der Säle beeindruckt: Schiller, Humboldt und das prächtige Porträt Johann Friedrich Cottas in der Mitte.
Cotta, der von seinem Verlagsimperium aus in technische und naturwissenschaftliche Innovationen investierte und mit der Wollproduktion und Dampfschifffahrt befasst war – ein Mann in Ihrem Sinn?
Ich glaube, dass ein neugieriger, interessierter Mensch auf vielen Feldern tätig sein kann. Bei Bewerbungsgesprächen mit Technikern habe ich früher immer auch Wert auf ihre Deutschnote gelegt. Wenn jemand dann gesagt hat, das interessiere ihn nicht, er hätte sich voll und ganz auf das Ingenieurwesen, auf Mathematik, Physik und die Naturwissenschaften konzentriert, dann hatte er eher schlechte Karten.
Haben Sie deshalb Ihre Tochter, eine Germanistin, zu Ihrer Nachfolgerin gemacht.
Das wurde als sehr ungewöhnlich empfunden. Eine Frau, und dann noch eine Literaturwissenschaftlerin. Aber die Entscheidung hat sich in jeder Hinsicht bewährt. Sie beherrscht die Kunst, dieses ganze Gebilde strategisch voranzutreiben und auch menschlich zusammenzuhalten. Ich bin sehr glücklich, dass das gelungen ist. Die größte Schwierigkeit in der ganzen Sache war ich womöglich selbst. Wenn Sie so etwas fünfzig Jahre gemacht und aus kleinen Anfängen aufgebaut haben – das loszulassen, ist ein ganz schwieriger Prozess.

Schöpferischer Ingenieur

Ihr jüngster mäzenatischer Coup ist mit der Thomas-Mann-Villa in Kalifornien verbunden, die sie geholfen haben, für Deutschland zu sichern. Bei Thomas Mann liegen Kunstsinn und Kaufmannsgeist immer im Konflikt: Je entwickelter der eine, desto mehr geht es mit dem anderen bergab.
Die „Buddenbrooks“ habe ich viermal gelesen. Thomas Mann war ein sehr pessimistischer Mensch. Sein Leben lang kämpfte er in allen Facetten um seine bürgerliche Existenz. Er sah sich immer gefährdet, sein Künstlertum erlebte er als stete Bedrohung für den bürgerlichen Menschen, der er so gerne gewesen wäre. Aber die Buddenbrooks scheitern nicht an der Theaterneigung der Handelnden, sondern an ihrer Unzuverlässigkeit und Unfähigkeit zur Kontinuität, zur Disziplin.
Sind Ihre literarischen Interessen nicht auch bisweilen in Widerspruch geraten zu ihren unternehmerischen?
Im Laufe meines Lebens nicht, nach dem Abitur schon: Ich hatte eine starke Neigung zu Philosophie, Literatur oder auch Theologie. Aber nach den Ereignissen des Krieges wollte ich etwas Konkretes tun. So kam ich zum Maschinenbau. Da hören Sie auf zu denken, es geht es darum, dass Sie es schaffen. Irgendwann überwältigte mich die Faszination, etwas Neues machen zu können, etwas, was es bisher noch nicht gegeben hat. Dieser kreative Teil des Maschinenbaus hat es mir immer wieder angetan. Ich war ein leidenschaftlicher Entwickler, immer Neues, Anderes.
Das klingt sehr fortschrittsoptimistisch.
Junge Ingenieure genießen in Deutschland heute eine hochkarätige Ausbildung, aber sie werden nicht dazu angeleitet, über ihr Tun zu reflektieren, auch über die technischen Möglichkeiten hinaus. Nirgends hören sie etwas darüber, welche Bedeutung Technik in der Gesellschaft hat. Das ist mein Lebensthema. Das Klischee, immer wieder als schwäbisch-pietistischer Unternehmer-Archetyp apostrophiert zu werden, stört mich weniger als die Bemerkung: ah, Sie sind Ingenieur, aber ein ungewöhnlicher Ingenieur. Darauf antworte ich: Nein, ich bin ein ganz typischer Ingenieur. Ich habe nie einen Gegensatz gesehen zwischen dem schöpferischen Tun im musikalischen, literarischen Bereich und der Entwicklung auf technischem Gebiet.
Aber es gibt doch viel Trennendes. Stellt Kunst nicht auch die Welt infrage, in der ein erfolgreicher Unternehmer agiert?
Kritik hat immer auch eine moralische Qualität. Wenn sie berechtigt und gut ist, kann sie ein Anstoß sein, über die Dinge nachzudenken, die man tut. Manchmal ärgert man sich, aber man sollte es doch auf jeden Fall zur Kenntnis nehmen.
Hat Mäzenatentum auch mit Abbitte zu tun?
Weniger mit Abbitte. Aber mit Dankbarkeit. Vielleicht auch mit der Grundüberzeugung, dass Erfolg auch eine Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl einschließt. Die Luther‘sche Formulierung, ohn‘ mein Verdienst und Würdigkeit – das ist schon immer dabei. Dieses Gefühl, dir ist etwas zugefallen und gelungen, wofür du dankbar sein musst und wofür du eine Verpflichtung übernommen hast. Das ist mir ein großes Anliegen.
Spricht da der „schwäbisch-pietistische Unternehmer-Archetyp“?
Ich bin in Korntal, einer pietistischen Gemeinde, aufgewachsen. Ich habe mich kräftig gegen den Pietismus gewehrt und war alles andere als einverstanden. Aber manche der Maximen, vor allem die Sekundärtugenden, Fleiß, Bescheidenheit, Selbstverantwortlichkeit, sinken in einen ein, danach handelt man, auch wenn man sich erst gewehrt hat. Ich habe meinen Frieden damit gemacht, es hat viel Positives bewirkt. Mich ärgert es, wenn der Pietismus immer wieder auf Frömmelei und Kehrwoche reduziert wird.
Sie sagen, die Welt sei voller Reiz: wie verträgt sich das mit der unglaublichen Weltverneinung mancher pietistisch geprägten Kantatentexte Bachs?
Es heißt aber auch „Jauchzet Gott in allen Landen“. Aber es stimmt schon: die Erde als Jammertal zu sehen, war zweifellos eine protestantisch-pietistische Eigenart. Ein Irrtum, wie ich finde. Die Barockzeit hat sehr drastische Bilder. Aber der Musik tut das ja keinen Abbruch. Da gibt es eine ganz innerliche Hinwendung zu Dingen, die jenseits unserer Möglichkeiten liegen.
Motiviert Sie als Mäzen nicht auch ein heimlicher Unsterblichkeitswunsch?
Ich möchte, dass mit dem, was in dieser Generation erarbeitet wird, sinnvolle Dinge geschehen. Mir liegt sehr am Herzen, dass aus dieser Stiftung etwas wird, dass etwas bleibt, das von dem zeugt, was mir im Leben wichtig ist.
Wie sehr darf man sich einmischen?
Ich setze Prioritäten und fördere das, wovon ich überzeugt bin. Unsere Stiftung engagiert sich für Wissenschaft, Kultur, Kirche und wir sind im sozialen Bereich aktiv, so steht es in der Satzung. Nicht vertreten sind wir im Bereich des Sports - diese Religion unseres Jahrhunderts braucht keine zusätzlichen Opfer. Als Mäzen darf man zwar Akzente setzen, die inhaltliche Ausgestaltung muss aber anderen überlassen bleiben, da halte ich mich raus.

Das Christentum ist nicht bedroht

Welche Akzente wollen Sie in der Thomas-Mann-Villa setzen?
Das soll ein Stipendiatenprogramm für Doktoranden und Wissenschaftler aller Fachrichtungen werden. An dem Ort, an dem Thomas Mann gut zehn Jahre gelebt hat, sollen sie sich in seinem Geist mit Fragen der Migration und Integration auseinandersetzen. Ich möchte einen intellektuellen Austausch zwischen Deutschland und Amerika anregen. Jeder Amerikaner weiß, dass unser Land eine wichtige Wirtschaftsnation ist, und jeder weiß, die haben Hitler hervorgebracht und die halbe Welt zerstört. Aber dass es ein geistiges Deutschland mit einer unerhörten Tradition gibt, das einen Beitrag zur Weltkultur geleistet hat - das ist nicht so bekannt.
Werden nicht eher wir künftig Bedarf haben, Amerika zu verstehen?
Man muss sich schon fragen, wie ein Herr Trump die Präsidentschaftswahl gewinnen konnte. Aber für mich waren beide Kandidaten schwierig. Der große Verlierer ist nun Amerika. Wir verdanken dem Land in politischer Hinsicht viel. Aber heute sind wir in Deutschland in einer wesentlich besseren Situation. Ich bin sehr froh, hier leben zu können.
Trotz des Erfolges einer Partei wie der AfD?
Ein paar Dummköpfe gibt es nun einmal in jedem Land.
Die Geschichte der Migration, an die sie in Amerika erinnern wollen, holt uns gerade ein.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bundeskanzlerin im letzten Jahr gar keine andere Wahl hatte, als zu sagen, wir nehmen Flüchtlinge in großer Zahl auf. Ich bin ebenso überzeugt, dass wir das gut bewältigen können. Und ich bin drittens der festen Überzeugung, dass das Christentum durch den Islam nicht gefährdet ist. Das ist ein Popanz, den man vorschiebt, um sich davor zu drücken, Flüchtlingen die Hilfe zu erweisen, die sie verdienen. Für mich als bekennenden protestantischen Christen ist das aber eine klare Aufgabe. Solange wir unsere Überzeugung leben und öffentlich vertreten ist das Christentum nicht bedroht.