Voller Einsatz: In der Behinderten-Auswahl geht es zur Sache Foto: Baumann

In Baden-Württemberg gibt es erstmals eine Fußball-Auswahlmannschaft für Menschen mit geistiger Behinderung. Mittelfristig sollen die Spieler im Sinne der Inklusion in ortansässige Clubs integriert werden.

In Baden-Württemberg gibt es erstmals eine Fußball-Auswahlmannschaft für Menschen mit geistiger Behinderung. Mittelfristig sollen die Spieler im Sinne der Inklusion in ortansässige Clubs integriert werden.

Stuttgart - Auf den Rasenplatz der Sportschule Ruit ergießt sich ein heftiger Wolkenbruch, doch die 22 Fußballer in den roten T-Shirts stört der Regen nicht. Sie freuen sich über neue Trainingsanzüge, Trikots und Bälle, die ihnen Peter Reichert, der Fanbeauftragte des VfB Stuttgart, geschenkt hat. Sie tragen das neue Outfit voller Stolz. Die jungen Männer zählen zu einem ganz besonderen Kreis.

Sie bilden die neu gegründete baden-württembergische Fußball-Auswahlmannschaft für Menschen mit geistiger Behinderung. Zusammen mit ihrem Trainer Fritz Quien, Mitglied im Lehrstab des Württembergischen Fußballverbandes (WFV), absolvieren sie ein dreitägiges Trainingslager in Ruit, um sich auf die deutsche Meisterschaft in Saarbrücken vorzubereiten (2. bis 5. Juni).

Einer der Glücklichen ist Alexander Englisch, der quasi als Geschenk zu seinem 21. Geburtstag in den vorläufigen Kader berufen wurde. „Das ist für mich eine Ehre und ich werde alles tun, um im 18er-Kader dabei zu sein“, sagt Englisch. Er arbeitet in der Cafeteria der Remstalwerkstätten in Schorndorf und spielt bisher in der Werkstattmannschaft Fußball. „Mein Ziel ist es aber, möglichst bald in einem richtigen Verein zu spielen“, sagt der Stürmer.

Damit dieses Projekt verwirklicht werden konnte, haben sich die drei Behindertensportverbände sowie die drei Fußballverbände des Landes gemeinsam engagiert. So entstand die erste Mannschaft im Land, die Spieler aus Baden und Württemberg vereinigt. Finanziert wird die Aktion mit 10 000 Euro durch das Förderprogramm „Impulse Inklusion“ des Sozialministeriums. Eingebunden ist auch das Inklusionsprojekt Bison (Baden-Württemberg inkludiert Sportler ohne Norm). „Bei Menschen mit Behinderung übt der Fußball die gleich große Faszination aus, wie bei Menschen ohne Handicap“, sagt Bison-Projektleiter Martin Sowa.

Es ist immer wieder erstaunlich, welche Kraft im Fußball steckt. Auch Alexander Englisch fühlt sich auf dem Rasen auf sicherem Terrain. Neben dem Platz braucht auch er in vielen Alltagssituationen Hilfe, er kann beispielsweise nicht selbstständig nach Ruit kommen. „Das scheitert oft schon am Fahrkartenautomat“, sagt Heiner Stockmayer, von Special Olympics Württemberg, der das Projekt koordiniert. Alexander Englisch ist ein Spieler ganz nach dem Geschmack von Trainer Fritz Quien, der im Verband auch für die Ausbildung von Trainern für Behindertenmannschaften zuständig ist. Der Stürmer verfügt über einen starken Schuss, hat gleichzeitig ein Auge für die Mitspieler und auch Defensivqualitäten. „Die meisten sind sehr offensiv orientiert und wollen Tore schießen“, sagt Quien.

Immer wieder zupft ihn ein Spieler an der Trainingsjacke mit der Frage: „Darf ich auch mal in den Sturm?“ Der Auswahltrainer wird sich deshalb auf die Abwehrarbeit konzentrieren, und das erfordert Geduld. Auch wenn hin und wieder derb-lockere Sprüche fallen wie in anderen Männermannschaften, fällt Quien auf, dass die Aggressivität fehlt.

Taktikschulung ist in einfacher Form möglich. Für Fritz Quien hat Fußball nur bedingt etwas mit kognitiver Intelligenz zu tun. Hoch komplexe Spielzüge kann er mit seinen Jungs zwar nicht einstudieren, aber ihr ohnehin feines Gespür für den Ball lässt sich weiter verbessern. Manchen Akteuren traut er sogar den Sprung in die Landesliga zu, wenn sie regelmäßig gefördert werden. Abdullah Soytürk ist auf einem guten Weg. Der Schulsprecher der Klosterbergschule Schwäbisch Gmünd spielt bereits für die A-Junioren der TSGV Waldstetten.

Das Trainingslager soll auch nur ein Anfang sein. „Falls die Fußballer nicht schon in einem Verein integriert sind, wollen wir die Inklusion fördern“, sagt Martin Sowa. Eine Rolle dabei spielt auch der VfB Stuttgart, der seit April Exklusivpartner von Bison ist. „Wenn sich der VfB engagiert, dann werden auch andere Vereine aufmerksam“, sagt Martin Sowa.

Peter Reichert beobachtet interessiert das Training. „Ich bin nicht nur gekommen, um die Trikots abzugeben. Unser Engagement geht tiefer“, sagt Reichert. Welche Fortschritte die Landesauswahl in den Tagen von Ruit gemacht hat, kann der ehemalige Profi-Stürmer schon bald analysieren. Am 27. Mai um 18 Uhr findet auf dem Trainingsgelände des VfB Stuttgart ein Testspiel der Behindertenauswahl gegen die Mannschaft des Landtags statt.