Die Hintergründe des Mordes von Nordstetten sind weiterhin Thema vor Gericht. Foto: Jürgen Lück

Angeklagter soll Michael Riecher als "Aufreißer" bezeichnet haben. Geldforderung drei Wochen vor der Tat.

Horb/Rottweil - Deutet sich ein neues Mordmotiv für Mohammed O. an, dem vorgeworfen wird, den Immobilienunternehmer Michael Riecher (57) erwürgt zu haben?

Fakt ist: Am Tag nachdem O. gemeinsam mit Dawoud (*Name geändert) die Leiche gefunden hat, weigert er sich zu, für seinen toten Gönner zu beten. Und sagt: "Michael war ein Aufreißer!"

In der bisherigen Beweisaufnahme im Mordprozess gegen den syrischen Flüchtling Mohammed O. und Iyad B. im Mordfall Michael Riecher hatte sich folgendes Bild abgezeichnet: Wochen- oder monatelang versuchte O., Bekannte zu überreden, seinen Gönner Michael Riecher zu überfallen. Weil er viel Geld hatte. Er soll Riecher dann erwürgt haben, nachdem Iyad ihm 3000 Euro abgepresst hatte.

Doch in den vergangenen beiden Prozesstagen dreht es sich plötzlich um Riecher, Frauen, Sex. Welchen Frauengeschmack er hatte, ob es Spuren seiner sexuellen Vorlieben in den Datenträgern gibt, die die Ermittler ausgewertet haben. Dabei habe es keine Auffälligkeiten gegeben, das bestätigen die zuständigen Ermittler im Gerichtssaal.

Fakt ist auch: Auffällig häufig wird von Verteidigern, aber auch von der Nebenklage, gefragt: Stand Michael Riecher auf südländische oder arabische Frauen? Eine seiner großen Lieben, über die Riecher jahrelang nicht hinweggekommen sein soll, sei eine Türkin gewesen. Am vergangenen Montag fragt beispielsweise Wido Fischer, Verteidiger von Iyad, Riechers Zwillingsschwester: "Stand ihr Bruder auf den dunklen, exotischen Typ? Er hatte wohl eine Griechin, Brasilianerin, Türkin." Die Zwillingsschwester: "Er hat auch deutsche, blonde Freundinnen gehabt. Michael stand nicht nur auf dunkelhaarige." Fischer hakt nach: "Gab es auch arabische Freundinnen?" Die Zwillingsschwester: "Mein Bruder hatte nie verheiratete Freundinnen. Weil Mohammed O.s Frau verheiratet war, hat er sie nie angebaggert."

Mohammed O. berichtete Riecher von einem angeblichen Familienstreit

Doch am jüngsten Prozesstag, am Mittwoch, wird die deutsche Übersetzung eines Gesprächs vorgelesen, welches Mohammed O. am Tag nach der Entdeckung von Riechers Leiche geführt hatte. Dawoud – ein tiefgläubiger Moslem und Familienvater. Er hatte mit Mohammed O. die Leiche von Michael Riecher gefunden.

Ein Schock für den Familienvater. Das merkt man auch noch bei seiner zweiten Vernehmung am Mittwoch. Er will unbedingt dem Hauptangeklagten Mohammed Fragen stellen: "Warum ist er mit mir dreimal zu Michael gefahren? Warum hat er mich gefragt, mit ihm mitzukommen?"

Denn: Der Anblick der Leiche hat den Familienvater wieder traumatisiert. Wegen der erneuten Vernehmung am Mittwoch musste er seinen Termin bei einem Nervenarzt in Horb absagen.

Wie traumatisiert der Familienvater war, kommt auch im 47-minütigen Gespräch heraus. Dawoud hatte es heimlich aufgenommen. Dabei sagt er in der deutschen Übersetzung zum Angeklagten O.: "Das mit Michael hat mich sehr ergriffen. Ich dachte immer, es wäre mein Vater." Später erklärt Dawoud: "Mein Vater ist genauso gestorben. Als junger Mann kam ich mitten in der Nacht nach Hause. Da lag mein Vater – so wie Michael. Das Bild hat sich in meinem Kopf eingebrannt. Wie, wenn mein Vater dagelegen wäre."

Flehende Nachrichten an späteres Opfer

In seiner Verzweiflung und Traumatisierung fragt Dawoud den Hauptangeklagten, ob man für Michael bei Allah um Erbarmen bitten könne. Mohammed O. hat Bedenken, für den Toten "zu beten": "Ich weiß nicht, ob es gestattet ist, bei Allah um Erbarmen für Michael zu bitten." Riecher sei ein "Aufreißer" gewesen. Schon davor, als Riecher noch lebte, soll Mohammed O. negativ über Riecher gesprochen, sogar dessen Tod gewünscht haben. "Er spricht zu Leuten sehr von oben herab", soll Mohammed O. gesagt haben.

Vor der Verlesung dieses 47-minütigen Gesprächs hatte die Richterin der Schwurgerichtskammer noch Mails vorgelesen, die offenbar vom Smartphone des Hauptverdächtigen in Michael Riechers Posteingang gefunden wurden.

Am 12. Oktober – gut drei Wochen vor der Tat – schrieb Mohammed: "Hallo Herr Riecher. Schlechte Nachricht von meiner Familie. Brauche Hilfe. Bitte letzte Mal mir helfen. Du kannst alles von mir haben. Ich kann alles tun, was du brauchst." Am 25. Mai folgende Mail des Hauptangeklagten: "Bitte Herr Riecher. Ich habe mit Familie meiner Frau gestritten. Muss mich scheiden lassen. Ich brauche das Geld morgen. Ich mache alles, was du willst. Ich kann dir meine Lunge geben."

Laut Riechers Zwillingsschwester hatte das Opfer COPD. Diese chronische Krankheit sorgt dafür, dass die Lungenfunktion nach und nach zurückgeht. Zuletzt hatte Riecher laut Mohammed O. lediglich 33 Prozent Lungenfunktion. Gesund sind mindestens 70 Prozent. Eine Möglichkeit der Heilung: Eine Lungentransplantation. Das hatte Riecher laut der Zwillingsschwester immer abgelehnt.

Hatte Riecher als Gegenleistung für die Geldforderung von Mohammed O. Sex mit der Ehefrau des Angeklagten gefordert? Darauf könnten die intensiven Fragen der Verteidiger und Nebenkläger nach sexuellen Vorlieben und dem Frauengeschmack von Riecher in der bisherigen Beweisaufnahme hindeuten.

Für den weiteren Prozess sind derzeit Terminen bis Mitte September angesetzt.

Mehr zum Mord in Nordstetten auf unserer Themenseite.