Schon bald nach der Gefangennahme des Karsthans, der in Horb eine evangelische Gemeinde um sich geschart hatte, forderte Sebastian Lotzer in seiner ersten Flugschrift "Eine heilsame Ermahnung an die Einwohner von Horb" dazu auf, an der evangelischen Überzeugung festzuhalten und Luthers Septembertestament zu kaufen. Foto: Kultur- und Museumsverein Foto: Schwarzwälder Bote

Historisches: Die Nachtwächter erinnern beim Umgang am Samstag an Horbs vergessenen Sohn Sebastian Lotzer

Die Nachtwächter laden am Samstag, 27. April, vor dem Horber Rat- und Wachthaus zur zweiten gemeinsamen Weckruf-Veranstaltung des Kultur- und Museumsvereins, des Projekts Zukunft, der katholischen Erwachsenenbildung Kreis Freudenstadt und der Kreisvolkshochschule Freudenstadt ein.

Horb. Die Nachtwächter erinnern beim Umgang durch die Altstadt an Sebastian Lotzer von Horb. Beginn ist um 20 Uhr.

Ausgerechnet der obere Neckarraum, den die altgläubige Hegemonialmacht Österreich nach der Vertreibung des württembergischen Herzogs Ulrich bis 1534 fast vollständig kontrollierte, wurde mit frühreformatorischen Flugschriften fast überrollt. Dabei erscheint die vorderösterreichische Grafschaft Hohenberg mit den Städten Rottenburg und Horb geradezu als Gravitationszentrum der literarischen Reformation in Schwaben.

Die Horber sind schon evangelisch gewesen, als es die Freudenstädter noch gar nicht gegeben hat

An sieben Schauplätzen der Horber Reformationsgeschichte erinnern die Nachtwächter an Sebastian Lotzer von Horb. Dank des Sebastian-Lotzer-Platzes, des Sebastian-Lotzer-Denkmals von Markus Wolf, der Bauernkriegsstele von Lutz Ackermann sowie der Querelen um das sogenannte Sebastian-Lotzer-Haus ist der Name dieses vergessenen Horber Sohnes mittlerweile zwar in aller Munde, aber die wenigsten Horber wissen mit dieser Person etwas anzufangen.

Sebastian Lotzer der Jüngere erblickte um 1490 in Horb das Licht einer janusköpfigen, faustischen Welt. Mitten in einem flächigen Analphabetentum breiteten wenige hoch studierte Humanisten ihre elitäre Gelehrsamkeit aus, neben kulturellem Überfluss stand schamloseste Ausbeutung, künstlerische Verfeinerung paarte sich mit viehischer Brutalisierung, höfisch-manierierte Etikette stellte sich neben soziale Grobschlächtigkeit, außer den schönen Madonnen eines Veit Stoß von Horb erblickte man die abgewrackte Hässlichkeit dargestellter Hexen und neben der unter dem Banner der Vernunft angetretenen Glaubenserneuerung brodelte ein Sudelkessel voll des ältesten Aberglaubens. Alles stand zugleich neben- und gegeneinander.

Auch in Lotzers Heimatstadt schlugen im Jahr 1523 die Wellen der Reformationsbewegung hoch, und es war von einer "Zwayung der Briesterschaft und Untertanen in Horb" die Rede. Zu den Anhängern der christlichen Erneuerung zählten hier der Horber Bürgermeistersohn Konrad Startzler, der am hiesigen Chorherrenstift als Organist und Stiftsprediger tätig war, sowie der Schulmeister und Humanist Ägidius Krautwasser, der vor 1521 von Stuttgart nach Horb gekommen war, um hier an der Lateinschule zu unterrichten.

Die Horber sind schon evangelisch gewesen, als es die Freudenstädter noch gar nicht gegeben hat. Zur Fastnacht 1523 scharte der gleichfalls aus Horb stammende Johann Murer nach Auftritten in Freiburg, Basel und Straßburg in seiner Heimatstadt viel Volk um sich. Der akademisch gebildete Murer nannte sich Karsthans nach einer 1521 erschienenen Spottschrift, die auch Lotzer bekannt war. Der Bauer mit der Karst genannten zweizinkigen Hacke galt vor dem Bauernkrieg als Vertreter und Inbegriff des redlichen, unzufriedenen und reformverlangenden Bauernstandes.

In den Zwölf Artikeln des Sebastian Lotzer von Horb fand das bäuerliche Reformationsverständnis seinen Niederschlag. Die "brüderliche Liebe" als theologische Umschreibung des im dörflichen Alltag unentbehrlichen Nachbarschaftsprinzips und der "gemeine Nutzen", womit die nicht am Gewinn, sondern die an der Auskömmlichkeit orientierte Norm landwirtschaftlicher Produktion gemeint war, bildeten die zentralen ethischen Werte der auf das Diesseits gerichteten bäuerlichen Theologie. Lotzers biblisch-radikaler dritter Artikel rüttelte an den Grundfesten des Feudalsystems und forderte die Abschaffung der Leibeigenschaft.

Zu diesem Nachtwächterumgang der besonderen Art ist jedermann eingeladen, um eine Spende wird gebeten. Bei Regen fällt der Umgang aus.