Katja Müller, die vor wenigen Jahren noch als Waschweib mit den Horber Nachtwächtern unterwegs war, überraschte mit ihrer nicht ganz dreijährigen Tochter Joline die drei Herren zu Beginn ihres Umgangs. Die Kleine versorgte jeden Nachtwächter mit einem Fläschchen Bier, damit deren Stimme beim geschichtsträchtigen Umgang geölt blieb. Foto: Kultur- und Museumsverein Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Die Nachtwächter tappten am Freitagabend auf dem Marktplatz erstmals komplett im Dunkeln

Vereinskassierer Stefan Reichel zählte mehr als eine halbe Hundertschaft an Teilnehmern, die sich für den drittletzten Nachtwächterumgang des Kultur- und Museumsvereins interessierten.

Horb. Für diesen Umgang hatte Obernachtwächter Joachim Lipp eigens eine neue Führung zusammengestellt, die beim Gang durch die Oberstadt in einer Doppelstunde die Geschichte Horbs beleuchtete: vom Horber Mammut vor 16 000 Jahren bis zur Kreisreform 1973.

Zum ersten Mal nach 14 Jahren konnten Bruno Springmann, Heinrich Raible und Joachim Lipp ihre Gäste nicht vor dem Wachthaus empfangen, weil auf der Nordseite des Marktplatzes zumindest drei Straßenlaternen ausgefallen waren, sodass selbst die Nachtwächter völlig im Dunkeln tappten. Unter der Teilnehmerschar hegte man schon die Befürchtung, dass in Horb bald sämtliche Lichter ausgehen werden. Ebenso war der Burggarten so spärlich beleuchtet, dass sich die drei Herren trotz mitgeführter Hellebarde nicht hineintrauten.

Vor dem beleuchteten Torbogen, der zur Marktsteige führt, erwartete die Nachtwächter zu Beginn des Umgangs eine Überraschung. Katja Müller und ihre nicht ganz dreijährige Tochter Joline erschienen als Waschweiber gewandet und spendierten jedem Nachtwächter ein Fläschchen Bier, damit sie während des Umgangs ihre Stimme ölen konnten. Selbst Stefan Reichel kam als steter Begleiter nicht zu kurz, als ihm die kleine Joline eine von ihm so geliebte Flasche Coca-Cola zusteckte.

Danach ging es bei den Nachtwächtern Schlag auf Schlag. Der Fund des Horber Mammutschädels belegt, dass die Gegend um das Neckarknie schon seit der Altsteinzeit bewohnt war, während das unwirtliche Hochplateau am Ostrand des Nordschwarzwalds selbst noch zu Zeiten der Kelten, Römer oder Alemannen aus gutem Grund gemieden wurde. Nicht einmal das heutige Milliardenvolk der Chinesen wagte sich an den Rand des Christophstals vor. Dabei verwiesen die Nachtwächter anhand der Ortsnamen Müh-reng, Bil-da-cheng, Rä-tseng, Ih-leng, Det-teng oder Det-leng auf eine vermeintlich frühchinesische Besiedlung. Von den Leuten aus Müh-la, Da-la, Al-da, Die-ßa, Bet-ra oder Dä-tsai hieße es ja heute noch, sie wären halbe Mongolen.

Während des Mittelalters weckte die Grafschaft Hohenberg, zu der Horb nach dem Aussterben des Geschlechts der Pfalzgrafen von Tübingen gehörte, zahlreiche Begehrlichkeiten. Hätte der badische Schwiegersohn des letzten hohenbergischen Stadtherren von Horb damals seine Ansprüche durchsetzen können, wären die Horber "Gelbfüßler" geworden. Da die Horber wie alle anderen Hohenberger weder Badener noch Württemberger werden wollten, verpflichteten sie sich freiwillig zur Übernahme eines Teils der Kaufsumme, die Herzog Leopold III. von Österreich 1381 alleine nicht aufbringen konnte.

Die weitere Erwerbs- und Abrundungspolitik der Erzherzöge von Österreich, die eine habsburgische Integration im deutschen Südwesten bringen sollte, war dagegen zum Scheitern verurteilt, was ein namhafter Historiker sogar als einen der tragischsten Züge der gesamtdeutschen Geschichte bezeichnete. So blieb den badischen und württembergischen Landesteilen mit dem fehlenden "Felix Austria" eine besonders glückliche Veranlagung oder Lebensart für immer verwehrt.

Mit dem Horber Vertrag hatte der spätere Kaiser Maximilian I. 1498 den Bock zum Gärtner gemacht. Der von ihm eingesetzte Herzog Ulrich von Württemberg führte 36 Jahre später die Reformation in seinem Herzogtum ein, die schwäbisch-österreichische Grafschaft Hohenberg wurde zu einer katholischen Insel der Seligen inmitten eines protestantischen Meeres. Infolge der zunehmenden Konfessionalisierung der Territorien im deutschen Südwesten gelangte das Gebiet am oberen Neckar in den Verkehrsschatten. Das Zeitalter der Glaubensspaltung ließ die Finanz- und Wirtschaftskraft der Stadt Horb an zunehmender Schwindsucht leiden.

Die Gründung Freudenstadts sollte für das Herzogtum Württemberg nicht nur finanziell zu einer Art Stuttgart 21 werden. Wie schlecht es um das württembergische Freudenstadt einst bestellt war, belegt die Tatsache, dass die Freudenstädter im Jahr 1771 glatt verhungert wären, wenn das vorderösterreichische Horb nicht mit Fruchtlieferungen ausgeholfen hätte.

Infolge der napoleonischen Flurbereinigung wurden die Horber nach mehr als 400 Jahren doch noch Württemberger. Als die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt im Juni 1848 den habsburgischen Erzherzog Johann zum Reichsverweser gewählt hatte, begann das Herz der Horber noch einmal ganz heftig für Österreich zu schlagen. In den Straßen Horbs ging folgender Reim um: "Es gibt nur eine Kaiserstadt und das ist Wien. Es gibt nur ein Räubernest und zwar Berlin."

Diesem preußischen Räubernest hatten die Horber letztlich zwei Weltkriege zu verdanken und eine Stadt, in der aufgrund eines abstrusen Rassenwahns keine Juden mehr leben, die ehemals das Horber Geschäftsleben bereicherten. Solch politischem Geschacher setzte letztlich der baden-württembergische Landtag die Krone auf, indem er in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch eine Verwaltungsreform die Horber zu Beutebadenern im Regierungsbezirk Karlsruhe werden ließ und im Zuge der Kreisreform den Kreis Horb auflöste. Dessen Osthälfte wurde ausgerechnet dem neuen Landkreis Freudenstadt zugeschlagen und damit zu ewigem Siechtum verurteilt.

Für solch bahnbrechende Politik fand Obernachtwächter Joachim Lipp an Ende des Umgangs eine passende schwäbische Erklärung: "Politik ka‘ ma am beschta erklära, we’ ma se mit Forschung ond Religio vergleicht. Forschung isch, we’ ma emma stockdonkla Raum an schwarza Hond suacht. Religio dagega isch, we’ ma emma stockdonkla Raum an schwarza Hond suacht, mo gar koaner do isch. Ond Politik isch, we’ ma emma stockdonkla Raum an schwarza Hond suacht, mo gar koaner do isch, ond ma‘ sait, ma‘ hot’n!"