Bildung: Vizekanzler der California University im Hermann-Hesse-Kolleg / Deutsches Studium für Kalifornier ist Gewöhnungssache

Psychologiestudentin Nicole beugt sich konzentriert über den Tisch – Deutsch pauken im Hesse-Kolleg. Dass sie hier so fleißig ist, hat sie ihrem Ehrgeiz zu verdanken. Und dahinter steckt jede Menge Arbeit und knallhartes Sparen.

Horb. Der Vizekanzler der California State University und Leiter des dortigen akademischen Auslandsamtes ist zu Besuch im Hermann-Hesse-Kolleg. Van Cleve: "An den 23 Standorten der staatlichen Universität von Kalifornien studieren 475 000 Studenten. Wir sind sehr stolz darauf, dass sich im Durchschnitt 60 im Jahr davon entscheiden, am größten universitären Austauschprogramm zwischen Baden-Württemberg und Kalifornien teilnehmen." Aber sind 60 von 475 000 Studenten nicht ein bisschen wenig? "Das ist viel. Man darf nicht vergessen, dass 70 Prozent unserer Studenten arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren. 30 Prozent davon arbeiten sogar Vollzeit."

Anita Binder, Programmkoordinatorin des Austauschprogrammes aus Tübingen: "Viele von den Studenten wohnen sogar noch bei den Eltern. Wenn sie nach Deutschland gehen, ist der Lebensunterhalt hier zwar günstiger für die Kalifornier, aber sie müssen natürlich für ein Jahr die finanziellen Reserven haben. Nur wenige ziehen deshalb ein Auslandsjahr in Erwägung."

Doch für viele Kalifornier wie Nicole lohnt sich der Deutschland-Aufenthalt. Binder: "Zwar habe ich aus Datenschutzgründen keine konkreten Daten. Aber es gibt viele Kalifornier, die nach diesem Austauschprogramm entweder in Deutschland Karriere machen oder in Kalifornien bei deutschen Firmen. So hat beispielsweise die zuständige Mitarbeiterin im deutschen Konsulat in San Francisco, die sich um deutsche Investoren kümmert, auch das Hesse-Kolleg durchlaufen." Welche Rolle spielt das Hesse-Kolleg, um die Kalifornier Deutschland-fit zu machen? Van Cleve erklärt: "Die meisten unserer Studenten haben in Kalifornien erst ein Semester Deutsch studiert und einige kommen sogar ohne die geringsten sprachlichen Vorkenntnisse. Unser sechswöchiges Programm in Horb ist wichtig, um sie für ihr Studium in Deutschland vorzubereiten."

Leben in den Gastfamilien

Horb kommt dabei eine wichtige Rolle zu. "Die Zeit in Horb ist ein wichtiges Fundament für die Studenten. Hier in der Kleinstadt lernen sie das Familienleben in den Gastfamilien und den deutschen Alltag kennen. Sie müssen lernen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln umzugehen und haben mehr Möglichkeiten, Deutsch zu sprechen als in einer Großstadt", sagt van Cleve.

Binder fügt hinzu: "Um die Kultur zu begreifen, ist es wichtig, das alltägliche Familienleben kennenzulernen. Gerade in einer Kleinstadt wie Horb lernt man das Spezielle der deutschen Kultur und Lebensart am besten kennen, weil das Leben hier ganz anders ist als in den Groß- und Universitätsstädten. Auch, weil dort fast jeder englisch spricht, während sie in Horb gezwungen sind sich auf Deutsch zu unterhalten."

Auch gut: Nach dem sechswöchigen Sprach- und Lebenskurs im Hermann-Hesse-Kolleg melden die Lehrkräfte die Stärken und Schwächen der kalifornischen Studenten an die neuen Sprachlehrer der Uni Tübingen weiter. Binder: "Damit können wir natürlich noch genauer auf die Schüler eingehen und unser Ziel noch besser erreichen, sodass sie dann in ihrem normalen Studium an einer baden-württembergischen Hochschule auch die Lerninhalte verstehen."

Der Deutschlandaufenthalt der Kalifornier: sechs Wochen Sprachkurs in Horb, ein Semester Sprachkurs und Fachunterricht in Tübingen und dann noch ein Semester Studium in der gewünschten Fachrichtung an einer Hochschule im Südwesten. Egal, ob Architektur in Biberach, Wirtschaft in Nürtingen oder Musik in Trossingen.

Van Cleve geht auf die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA ein: "Das Studium bei uns ist sehr schulisch geregelt. Für jedes Fach gibt es konkrete Wochenaufgaben. Auch deshalb, weil viele Studenten nebenbei arbeiten." Binder: "Das deutsche Studium ist viel selbstständiger organisiert. Man merkt an den Kaliforniern, dass sie sich erst einmal an die Freiheit im Stunden- und Lernplan gewöhnen müssen."

Für Hesse-Kolleg-Leiter Eden Volohonsky hat der Austausch große Bedeutung: "Wir sind froh, dass wir seit mehr als 20 Jahren Station im landesweit größten Austauschprogramm zwischen Baden-Württemberg und den USA sind. Viele unserer ehemaligen Schüler kommen immer noch gerne vorbei."