Was das Foto zeigt: Die Beschädigung ist an der linken Seite des Zuges (aus Leserperspektive) deutlich größer. Die Fensterfront ist nicht komplett zerstört. Der Aufprall hätte also noch heftiger sein können. Foto: Lück

Beinahe-Katastrophe: Zug erwischte Lkw an harmlosester Stelle. Fahrgäste hatten Glück im Unglück.

Horb - Gut sechs Stunden nach dem schlimmen Zugunfall war der Bahnübergang zwischen Industriegebiet und Talheim noch voll mit Rettern, Bahn- und Bergungsspezialisten. Und alle sind sich einig: Was hatten die Fahrgäste für ein Riesen-Glück im Unglück!

Das bestätigt auch Polizeisprecher Thomas Kalmbach: "Es war tatsächlich ein Glück, dass der Triebwagen den Lastzug nur am leicht beladenen Anhänger erwischt hat, sonst wäre dieser Unfall sicher anders ausgegangen." Denn: Bis auf den Lkw-Fahrer haben die sechs Fahrgäste und der Zugführer (48) nur "leichtere Blessuren" erlitten, so der Polizeisprecher.

Am Donnerstag war um 12.45 Uhr die Regionalstadtbahn 311 zwischen Freudenstadt und Eutingen auf einen Lkw mit Brummi geprallt. Ein Bahn-Sprecher: "Unsere Spezialisten waren vor Ort. Die erste Überprüfung hat festgestellt, dass die Sicherheitsanlage ordnungsgemäß funktioniert hat." Klartext: Der 60-jährige Lkw-Fahrer muss das rote Blinklicht übersehen haben.

Blick auf die Frontscheibe der Regionalstadtbahn. Der Sitz des Zugführers (48), der nach Informationen des Schwarzwälder Boten ein Mitarbeiter der DB Regio ist und den Zug für die AVG fuhr, ist in der Mitte. Von ihm rechts aus gesehen ist der Frontholmen mit der Scheibe eingedrückt. In der Mitte vor dem Fahrer ist das Glas zwar gerissen, aber noch in der alten Form. Wo er gesessen hatte, war offenbar nichts dramatisches im Wege. Neben dem eingedrückten Holm steht der vordere Teil des Lkw-Gespanns. Das heißt: Die Regionalstadtbahn hat offenbar den vorderen Teil des Hängers erwischt. Und während der vordere Teil des Lkw mit schweren PVC-Platten beladen war, liegen auf dem Hänger nur Kunststoffrohre.

Die Aufprallenergie ist natürlich umso höher, je schwerer und massiver das Hindernis ist. Der Zug fährt hier, so bestätigt die Deutsche Bahn, 80 km/h. Nicht auszudenken, wenn die tonnenschwere Regionalstadtbahn auf die Zugmaschine oder eine Ladung mit Steinen oder schweren Maschinen prallt.

Das bestätigt auch ein Bergungsspezialist der Firma Schmidbauer vor Ort: "Hätte die Regionalstadtbahn die Zugmaschine erwischt, wäre der Aufprall viel stärker gewesen. Und damit auch das Verletzungsrisiko der Beteiligten."

Wie Augenzeugen berichten, hatte der Zugführer sofort eine Notbremsung eingeleitet, als der das Gespann gesehen hatte. Der Polizeisprecher dazu: "Ob die eingeleitete Notbremsung in ihrer ›Kürze‹ überhaupt noch eine Wirkung entfalten konnte, müssen Fachleute bewerten." Klar ist eins: Ohne diese schnelle Notbremsung wäre der Zug schneller Richtung Lkw gewesen – und damit natürlich die Wahrscheinlichkeit, doch die Zugmaschine zu erwischen. Doch die ist unbeschädigt.

Hat der Lastzug überhaupt gebremst oder stand er auf dem Bahnübergang, als das Unglück passierte?

Die Ermittler hatten vor dem Bahnübergang Spuren markiert. Der Polizeisprecher: "Die Spuren am Unfallort sind Schleifspuren, keine Bremsspuren."

Doch wie konnte es zu dem Unglück kommen? Verkehrssicherheitsexperte Franz Schilberg aus Bergisch-Gladbach: "Wenn man von Talheim Richtung Industriegebiet fährt, ist es denkbar, dass der Fahrer des Lastzugs wegen der Links-Kurve hinter dem Bahnübergang sich auf die Enge konzentriert hat. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er langsam den Bahnübergang passiert hat. Fraglich, ob er das Blinklicht überhaupt gesehen hat oder ob er durch die vor ihm liegende enge Kurve abgelenkt war. Es spricht viel dafür, dass der Lastzug zum Zeitpunkt des Unfalls langsam unterwegs war." Möglicherweise sind auch die roten Blinklichter und die Sonnenabschirmung falsch platziert. Schilberg: "Es ist sicherlich zu klären, ob die Kombination der Blinklichter und der Sonnenabschirmung dazu führt, ob die Warn-Leuchten wirklich von jeder Fahrerposition aus zu sehen sind." Der Experte wirft auch die Frage auf, ob die Lampen überhaupt lange genug geblinkt haben: "Es sollte dringend überprüft werden, ob man die Zeit zwischen dem roten Blinklicht und dem Überqueren des Zuges verlängern muss." Teilweise gebe es Bahnübergänge, bei denen das Blinklicht lediglich zehn Sekunden vor der Durchfahrt des Zuges angeht. Angesichts der Situation zwischen Industriegebiet und Talheim sei dies hier eine Frage, die auch zu beantworten sei.

Sicherlich habe, so Verkehrsexperte Franz Schilberg, die enge, kurvige Straßenführung hier einen "nicht zu unterschätzenden" Anteil am Bahnunfall von Horb.

Horbs OB Peter Rosenberger hatte angesichts des Unglück gefordert, dass der Bahnübergang endlich sicherer gemacht wird. Ein Sprecher der Deutschen Bahn: "Die Beseitigung der Gefahrenstelle dort ist im Jahr 2018 geplant. Dort wird eine Brücke nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz gebaut."

Wird jetzt wenigstens eine Halbschranke eingebaut, um die gefährliche Stelle bis zum Neubau zu entschärfen? Der Bahn-Sprecher antwortet: "Das dürfen wir gar nicht. Der Bahnübergang ist vom Eisenbahnbundesamt so genehmigt worden. Es handelt sich um einen lokführerüberwachten Bahnübergang. Das heißt: Wenn der Zug einen bestimmten Kontakt überfährt, fängt das Rote Licht am Andreaskreuz an zu blinken. Erst, wenn das funktioniert, darf der Lokführer fahren. Ohne diese Bestätigung muss er vor dem Bahnübergang halten, muss sich langsam rantasten und mit einem Pfeifen die anderen Verkehrsteilnehmer warnen. Diese Sicherheitsausstattung ist nach den Vorschriften mehr als ausreichend. Selbst wenn wir als Bahn dort eine Halbschranke einbauen wollen, würden wir dafür keine Genehmigung bekommen."