Ermittler sichern nach dem Mord in Nordstetten Spuren. Foto: Jürgen Lück

Prozess geht nach Sommerpause weiter. Vernehmung des Angeklagten darf eventuell nicht verwertet werden.

Horb - Ermittler L. hat den Hauptteil der Vernehmungen von Mohammed O. im Mordfall Riecher übernommen. Doch sind diese korrekt verlaufen? Die Verteidiger pochen darauf, dass die Ergebnisse der Zeugenvernehmung von O. nicht verwertet werden dürfen.

Nach einer kurzen Sommerpause ging am Dienstagmorgen die Verhandlung im Mordfall Michael Riecher vor dem Landgericht Rottweil weiter. Der Vormittag wurde wieder zu einem zähen Unterfangen. Mehr als vier Stunden lang wurde ein entscheidender Mann der Kriminalpolizei – man kann es nicht anders sagen – in die Mangel genommen. Alle vier Verteidiger der beiden Angeklagten Mohammed O. und Iyad B. versuchten, Schwachstellen der Vernehmungen von O. herauszuarbeiten. Und ein gewisser Erfolg war ihnen dabei nicht abzusprechen.

Ermittler L. bringt jahrzehntelange Erfahrungen bei der Kriminalpolizei mit. Ein Vorteil oder macht die Routine auch nachlässig? Klar ist: Die Vernehmungen von O., der den Unternehmer Michael Riecher zusammen mit dem Mitangeklagten getötet haben soll, haben Relevanz für die Anklage. Denn O., so kristallisiert sich heraus, erzählte unterschiedliche Versionen, was am Tatabend im vergangenen Jahr geschah.

Anwälte prasseln mit Fragen auf Beamten ein

So erzählte er bei der dritten Zeugenvernehmung am 9. November nach einem Gespräch mit seinem von ihm eingeschalteten Anwalt folgenden Verlauf: Er habe am Freitagabend, 2. November – an dem Abend, als sein "väterlicher Freund" starb – Riecher besuchen wollen. Alles sei dunkel gewesen, aber die Schiebetür der Terrasse habe offengestanden. Er sei reingegangen und von einem maskierten Mann festgehalten worden. Der Mann habe ihm den Mund zugehalten. Ein weiterer maskierter Mann wäre ebenso in der Wohnung gewesen. Er sei mit dem Fuß gegen irgendetwas gestoßen, was er aber nicht habe erkennen können. Beide Männer hätten Deutsch ohne Akzent gesprochen. Dann hätte ihm der Mann, der ihn festhielt, ein Hemd in die Hand gedrückt, das er mitnehmen sollte. Als er die Wohnung verlassen durfte, habe er das Hemd im Flur auf den Boden geworfen.

Soll es das blutverschmierte Hemd von Riecher gewesen sein, das man später in einem Baumstumpf in der Garage des Wohnhauses von O. gefunden hatte? Die Ermittler gehen davon aus, dass sich O. diese Geschichte ausgedacht hat. Aber darf das überhaupt, so wie andere Aussagen von O. auch, verwertet werden?

Denn die Verteidiger prasselten mit Fragen auf den Ermittler ein, die offensichtlich einige problematische Methoden von ihm aufzeigen.

Wurde O. am 7. und 9. November als Zeuge vernommen, obwohl er schon längst als Verdächtiger in den Fokus der Ermittler rückte?

"Nur" Zeuge oder von Anfang an Verdächtiger?

Die Verteidiger hinterfragten erneut, warum von O. DNA und Fingerschmutz genommen wurde – auch wenn O. seine Einwilligung gab. "Das ist so üblich. O. hat angegeben, dass er die Leiche berührt habe. Seine DNA wollten wir mit Spuren an der Leiche abgleichen", so der Ermittler. Die Verteidiger fragten, ob das denn auch bei der Nachbarin von Riecher vorgenommen worden sei. Sie habe ja auch die Leiche gefunden.

Und warum bat man um die Herausgabe von O.s Handy? "Es ist so, dass man alles Be- und Entlastende zusammenträgt", antwortete L. Doch warum habe man bei O., der "nur" Zeuge zu diesem Zeitpunkt gewesen sei, entlastendes Material zusammentragen müssen? Eine konkrete Antwort darauf blieb aus.

Als O. am 9. November zunächst noch als Zeuge vernommen wurde – was sich im Verlauf des Gesprächs noch änderte – ging es auch um einen Einkauf von O. bei einem Lebensmitteldiscounter am Bahnhof im möglichen Zeitrahmen der Tat. O. hatte angegeben, dass er eine Wassermelone gekauft habe. Dies wurde noch vor dem 9. November überprüft. "Beim Discounter haben wir für diesen Zeitraum einen Einkauf mit einer Wassermelone und Zigaretten gefunden." Doch warum überprüften das die Ermittler, wenn O. nur einer von mehreren Zeugen gewesen sei? "Unserem Mandanten wurden ganz gezielt Fragen gestellt, die nur einem Verdächtigen gestellt werden: Er wurde nach einem Alibi gefragt. Er wurde gefragt, ob er was mit dem Tod von Michael Riecher zu tun hatte." Die Verteidiger hinterfragten auch, warum O. als Zeuge am 7. November sogar an seinem Arbeitsplatz aufgesucht wurde und warum dann sogar Schubladen an seinem Schreibtisch angeschaut wurden.

Wurde O. vor den Vernehmungen korrekt belehrt?

Was in fast jedem Fernsehkrimi mit penetranter Genauigkeit vorkommt, wirkt in einigen Vernehmungen im Mordfall Michael Riecher lax. "Ich belehre jeden Zeugen nach Paragraf 55", beteuerte der befragte Ermittler. Doch in Protokollen mehrerer Vernehmungen, die der Ermittler mit verschiedenen Personen geführt hat, fehlt an entsprechender Stelle das Häkchen. Beim ersten und zweiten Protokoll bezeichnete L. es noch als Versehen der Protokollantin, bei zwei weiteren Protokollen wirkte er nur noch perplex.

 Warum wurde nicht immer ein Dolmetscher hinzugezogen?

Auch hier verstrickte sich der Ermittler am Dienstag in einen Widerspruch. So erklärte er zunächst in Bezug auf eine Vernehmung von O.: "Ein Dolmetscher war notwendig, weil O. nicht flüssig Deutsch sprach." Dies sei nach der ersten Vernehmung eines Kollegen von L. deutlich geworden.

Doch als Ermittler L. am 7. November am Arbeitsplatz von O. erschien, war kein Dolmetscher dabei. "Mein Kollege hatte mir mitgeteilt, dass O. Deutsch gut versteht." Die Verteidiger fragen: "Versteht Herr O. denn Rechtsbegriffe in Deutsch?" Denn auch die Belehrung ist dann wohl nicht übersetzt worden. Beim Verhör am 9. November legte er, so bestätigt es der Ermittler, mit der Vernehmung schon los, obwohl der hinzugerufene Dolmetscher noch gar nicht da war. Als er eintraf, war O. schon 15 Minuten vernommen worden. Auch die Belehrung sei am Anfang erfolgt.

Der Ermittler verzichtete auch auf einen Dolmetscher, als er am 11. November – da war O. mittlerweile schon Verdächtiger und sollte vor den Haftrichter geführt werden – eine qualifizierte Belehrung machte. Das bedeutet, dass der Verdächtige einwilligt, dass seine Aussagen, die er noch als Zeuge gemacht hatte, verwertet werden dürfen. O. hätte das auch ablehnen können. Doch neben dem Dolmetscher fehlte auch sein Verteidiger. Dieser, so werfen die Anwälte von O. vor, hätten vorher benachrichtigt werden können. Die Verteidigung gab deshalb zu Protokoll: "Zeuge L. weiß nicht, was eine qualifizierte Belehrung ist und wie man diese macht." Als der Ermittler die qualifizierte Belehrung ab 10.47 Uhr vornahm, befragte er O. auch noch weiter – nach dem Navi seines Autos. Zur gleichen Zeit gab es an anderem Ort eine "Fallbesprechung" von Sonderkommissions-Leitung und Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwältin riet um 10.55 Uhr laut Protokoll davon ab, weitere Verdächtigenvernehmungen ohne anwaltlichen Beistand vorzunehmen. Handelte der Ermittler parallel eigenmächtig? Oder lief etwas in der Kommunikation schief?

Und wie lief das mit dem Wechsel des Anwalts?

Zunächst hatte O. am 9. November einen Anwalt aus Horb hinzugezogen, der in Immobilienfragen für Riecher arbeitete. Der Ermittler erinnerte sich nicht mehr genau, ob dieser Anwalt am 9. November schon von Anfang an dabei war oder erst später dazukam. Als den Ermittlern belastende Neuigkeiten mitgeteilt wurden, beendeten sie die Zeugenvernehmung und starteten die Verdächtigenvernehmung. Der Anwalt blieb. Die Verteidiger von O.: "Er war anwesend, obwohl er als Vertreter von Herrn Riecher im Interessenkonflikt stand. Es war ihm nicht zuzumuten, dass er einen potenziellen Tatverdächtigen vernünftig vertritt." Der Horber Anwalt kontaktierte auch in einer Pause eine andere Kanzlei, die O. auch heute noch vertritt. Dennoch blieb Riechers Anwalt bis zum Schluss der Vernehmung.

Ermittler L. wirkte zum Teil zornig und genervt, als ihn die Verteidiger in die Mangel nahmen. Auch Richter Münzer scheint nicht zufrieden zu sein. Als L. angibt, dass er die Reihenfolge der Verhöre möglicherweise nicht immer genau wiedergeben könne, stellt er fest: "Aber Ihnen standen ja die Protokolle der Vernehmungen zur Vorbereitung zur Verfügung."

Als der Ermittler aus dem Zeugenstand entlassen wurde, gaben die Verteidiger von O. erneut – das hatten sie auch schon an den ersten Prozesstagen – zu Protokoll, dass die Vernehmungen von O. vom 7., 8., 9., 10. und 11. November nicht verwertet werden dürfen. Und Ermittler L. muss möglicherweise noch einmal in den Zeugenstand – wenn es noch einmal um die Vernehmung des "Friseurs" geht.

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