Bringen Handy-Daten Licht ins Dunkel? (Symbolbild) Foto: dpa

Verfahren dauert mindestens bis Weihnachten. Zeugen-Handy wird ausgewertet.

Rottweil/Horb - Ali A. (Name geändert) sagt in der Raucherpause vor dem Landgericht Rottweil im Riecher-Prozess: "Vor genau einem Jahr habe ich das Selfie mit Michael gemacht." Zeigt das Foto, das er mit Mohammed O., einer weiteren Person und Michael Riecher vor dem Casino gemacht hat. Zwei Stunden später ist dieses Smartphone ein neuer Beweis, der neue Erkenntnisse bringen könnte.

Der Riecher-Prozess. Eigentlich sollte am Freitag letzter Prozesstag sein. Doch schon jetzt ist klar: Es sind drei weitere Termine angesetzt. Ein Urteil könnte erst kurz vor Weihnachten fallen.

Unter anderem auch, weil am vergangenen Montag ein neues Beweismittel in den Fokus gekommen ist: Das Smartphone von Ali A. Er hatte gemeinsam mit Mohammed O. am 3. November 2018 die Leiche von Michael Riecher gefunden.

Denn: In seiner dritten Vernehmung erzählt Ali A., dass er eine App auf seinem Smartphone hat. Die zeichnet automatisch jedes ausgehende und eingehende Gespräch auf.

A.: "Es war einmal der Fall, dass O. Michael von meinem Handy aus angerufen hat. Michael hat dann zurückgerufen. Ich weiß von einer Aufzeichnung dieses Telefonats auf meinem Handy. Wenn Sie die haben wollen, können Sie sie haben. Mit allen Passwörtern – auch für diese App."

Plötzlich horchen die Verteidiger auf. Kristian Frank, Anwalt von Iyad B.: "Diese automatische Aufzeichnung ist mir komplett neu." Später sagt er: "Ohne dass es unseren Mandanten unmittelbar betrifft: Wir haben jetzt von Gesprächen gehört, die O. mit Riecher unmittelbar zum Tatzeitraum oder den Monat davor geführt hat. Die sind der Verteidigung bisher nicht bekannt. Ich meine, meiner Akte entnehmen zu können, dass uns diese Daten bisher nicht zur Verfügung gestellt wurden."

Rechtsanwalt Alexander Hamburg, Verteidiger von Mohammed O.: "Wir haben erst jetzt Kenntnis, dass ein Gespräch zwischen unserem Mandanten und Michael Riecher stattgefunden hat. Jetzt beginnt die Frage des Strafantrags. O. ist das Opfer."

Dabei geht es um das illegale Aufzeichnen von Telefongesprächen. Laut einem Prozessbeteiligten ein Antragsdelikt. Wobei der Staatsanwalt immer noch darüber zu entscheiden hat, ob das wirklich illegal war oder ob es als Beweismittel dienen kann.

CD mit den Ergebnissen der Datenanalyse

Richter Karlheinz Münzer hebt eine CD hoch: "Der Zeuge hat bereits gesagt, dass er alle Gespräche – gemäß den Gewohnheiten seiner Heimat – aufzeichnet. Wir haben diese CD mit den Ergebnissen der Datenanalyse der Ermittler. Wir sind aber überfragt, ob alle Daten des Handys drauf sind."

Später sagt er: "Die Audio-Dateien sind abgelegt. Der Datenbestand der CD wurde gescannt, das Gespräch zwischen O. und Riecher verschriftlich. Leseabschriften wurden den Verfahrensbeteiligten ausgehändigt. Seit dem 27. Mai habe ich von Ihnen nicht gehört, dass dieses Gespräche für Sie wichtig sind!"

Rechtsanwalt Hamburg fragt A., ob er das Smartphone noch hat. Der Zeuge: "Ja. Ich mache Ihnen alles verfügbar. Ich werde dieses Handy nach dem Prozess zerstören. Ich will es nicht mehr hören."

Warum können die aufgezeichneten Telefonate so brisant sein?

Fakt ist: Weil Mohammed O. die Rechnungen für seinen Handy-Vertrag nicht mehr bezahlt hatte, wurde sein Anschluss gesperrt. Er konnte nur noch angerufen werden oder über WLAN telefonieren. Deshalb hatte er sich in der Zeit rund um die Tat am 2. November immer wieder fremde Smartphones geliehen, um zu telefonieren. Unter anderem am 3. November, als er gemeinsam mit Ali A. die Leiche gefunden hatte. Damals hatten A. oder O. mit einem Flüchtlingshelfer telefoniert.

A. hatte auch berichtet, dass O. ihn nach der Tat um 21.25 Uhr angerufen hätte. Der Zeuge: "O. erzählte mir, dass er die Polizei angelogen hat. Ich sagte ihm: Möge Gott dich dabei nicht zum Erfolge leiten. Die Polizei darf nicht angelogen werden."

Auch dieses Gespräch müsste auf dem Smartphone aufgezeichnet sein. Ebenso wie ein Gespräch, welches O. am 17. Oktober mit Michael Riecher geführt hatte.

In dieser Zeit hatte O. schon das spätere Opfer um Geld angebettelt. Einmal wegen einer OP seiner Mutter in Syrien. O.s Cousin hatte allerdings ausgesagt, dass O.s Mutter Rückenprobleme hatte und ihr die Ärzten nach der ersten gescheiterten OP geraten hätten, keine weitere Operation mehr machen zu lassen.

Auch auf dem Smartphone: Das Gespräch nach dem Leichenfund, welches O. mit der Zwillingsschwester des Opfers geführt hatte.

Es könnte also interessant sein, die aufgezeichneten Telefonate auswerten zu lassen. Falls das noch nicht geschehen ist.

Das dürfte auch im Sinne von Ali A. sein. Immer wieder musste er sich in seinen bisherigen Vernehmungen kritischen Fragen stellen, die darauf abzielen, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen.

Als Richter und Verteidigung ihn fragten, warum er automatisch alle Telefongespräche aufzeichnet, antwortet A.: "Einfach so." In der Raucherpause sagt er: "Du kannst es dir hinterher anhören. Um zu prüfen, ob dich jemand angelogen hat."