Die Kripo-Ermittler haben Handschuhe getragen – anders als die ersten Polizisten am Tatort. Foto: Lück

Erste Polizeistreife hinterlässt selbst Spuren. Keine Handschuhe getragen. Eklatante Erinnerungslücken.

Horb - "Kein Wunder, dass in der Bevölkerung das Vertrauen in den Rechtsstaat weniger wird", sagt ein Prozessbeteiligter im Gespräch mit unserer Zeitung. Immer wieder wurden an den vergangenen Verhandlungstagen im Mord-Prozess Riecher erhebliche Mängel in der Ermittlungsarbeit offensichtlich.

Ebenfalls erschreckend: Bei den Aussagen von Ermittlern ergaben sich teilweise eklatante Erinnerungslücken - obwohl sie die Protokolle der Vernehmungen stets zur Vorbereitung zur Verfügung hatten. So fragte Richter Karlheinz Münzer in der vergangenen Woche mit verständnislosen Blick bei einem Kriminalbeamten nach: "Aber Sie hatten doch die Unterlagen zur Verfügung, oder?" Der Ermittler nickte und wirkte beschämt. Ein Prozessbeteiligter kommentiere in der Verhandlungspause: "Einige Ermittler waren wirklich ausgezeichnet vorbereitet. Aber bei anderen konnte man nur die Hände vor den Kopf schlagen."

Siehe auch: Goldmünzen bestellt - aber nicht abgeholt

In der vergangenen Woche wurde auch das Verhalten der Einsatzkräfte in den ersten Stunden nach dem Leichenfunden bekannt - und auch hier mangelte es teilweise an professionellem Verhalten.

Fast ohne Vorinformationen seien die Beamten zum Tatort gerufen worden

Nachdem schon das Zusammenspiel zwischen Notarzt, Einsatzleitung und Leichenbeschauerin nicht passte - letztere zog Riecher sogar Hemd und Hose aus, obwohl eine unklare Todesursache vorlag – war auch das erste Eintreffen der Horber Polizei von Missgeschicken begleitet.

Fast ohne Vorinformation sei man zum Tatort gerufen worden, berichtete der zuerst eintreffende Polizeibeamte. Zunächst sei der Fall auch als nicht so dringend bewertet worden. "Deshalb haben wir uns zunächst um einen kleineren Unfall gekümmert. Doch danach wurde uns dann mitgeteilt, dass wir doch mal nach Nordstetten fahren sollten", berichtete der Zeuge. Das war um zirka 12.45 Uhr, also fast drei Stunden, nachdem der Notarzt den Tod von Michael Riecher festgestellt und bereits erkannt hatte, dass es Ungereimtheiten gibt. Dem Notarzt waren die eindeutigen Verletzungen im Kopfbereich aufgefallen, der Leichenbeschauerin später nicht. Und auch der Polizist, der mit einer Praktikantin am Tatort erschien, bemerkte "nichts Auffälliges".

Das Streifen-Team sah sich grob in der Wohnung um. Der Praktikantin sei aufgefallen, dass die Terrassentür nicht verschlossen gewesen sei. Sie habe die Tür dann auch ausprobiert, er selbst dann auch noch einmal, so der Polizist. "Haben Sie denn Handschuhe getragen?", fragte Richter Münzer nach. "Nein, haben wir nicht", antwortete der Polizist.

Einige Zuhörer im Gerichtssaal schüttelten den Kopf. "Warum tragen Sie da keine Handschuhe?", hakt ein Nebenkläger-Anwalt nach. "Gute Frage, habe ich nicht dran gedacht."

Die nächste Panne folgte gleich: Die Polizisten blieben bis zum Eintreffen des Kriminaldauerdiensts vor Ort und "sicherten" den Tatort ab – vor dem Haupteingang mit Blick auf die Wohnungstür. Die offene Terrassentür ließen sie aber unbeobachtet. Es wäre also durchaus möglich gewesen, sich von hinten zum Haus zu begeben, ohne dass es die Horber Polizeistreife gemerkt hätte.

Die damalige Praktikantin, die mittlerweile als Polizistin im Raum Stuttgart arbeitete, war für das Gericht dann eine vollkommen unbrauchbare Zeugin. Denn sie erinnerte sich tatsächlich an nichts. So wusste sie auch nicht mehr, dass sie die Schiebetür geöffnet hatte.

Auch der Ermittler, der für die Auswertung der Zugfahrten des zweiten Angeklagten Iyad B. und des "Friseurs" zuständig war, konnte wenig Erhellendes beitragen. So wusste er nicht, warum auf dem möglichen Zugticket von B. bei Start- und Zielort kein Ort stand, sondern nur ein Strich. Diesen Auftrag habe er nicht bekommen, erklärte er. Er hatte sich von der Deutschen Bahn alle Tickets für einen gewissen Zeitraum, die Horb betrafen, übermitteln lassen. "Wurden auch die Online-Tickets überprüft", fragte Verteidiger und erntete vom Zeugen ein Nein.

Nur noch, dass es in Riechers Wohung "gerumpelt" hat, konnte der Zeuge bestätigen

Auch andere Zeugen haben erhebliche Probleme mit der Erinnerung - so wie der Angestellte der Tankstelle in Tübingen, in der der mutmaßliche Mörder Mohammed O. zusammen mit seiner Frau am Tatabend gewesen sein soll. Irgendwann gegen 22 Uhr soll das gewesen sein, doch so genau weiß er das nicht mehr. Eigentlich wird um diese Zeit der Nachtschalter aktiviert - "aber manchmal kommt man erst später dazu". Die Frau von O. soll nach einem Toilettenschlüssel gefragt haben. Daran könne er sich genau erinnern, weil ihm die Frau leid getan habe, weil er den Schlüssel nicht rausgeben durfte. "Auf dem Klo lagen die Zeitungen, die zurückgegeben wurden." Allerdings: Vor Gericht sagt er aus, die Frau habe kein Kopftuch getragen, bei den Vernehmungen hatte er das noch angegeben. Auch beim Begleiter ist er sich unsicher. Den beschreibt er als "älteren, korpulenten Mann" - eine Beschreibung, die definitiv nicht zum Tatverdächtigen O. passt.

Ähnlich schwer tut sich auch der Zeuge, der mit Riecher im gleichen Haus wohnte. Er sei am Tag der Tat im Fitnessstudio und beim Einkaufen gewesen. All das irgendwann zwischen 16 und 21 Uhr. "Ich schaue nicht auf die Uhr, wenn ich zum Fitness gehe." Die Ermittler versuchten, den richtigen Einkaufsbon des "bekennenden Veganers" zu finden. Nur einer passte da: Gurken, Tomaten, aber ein Getränk mit Melone - das habe er eigentlich nicht gekauft.

Er konnte bei seiner Zeugenaussage nur noch beitragen, dass es in der Wohnung Riechers immer mal wieder "gerumpelt" hatte (der Unternehmer knackte regelmäßig Walnüsse mit einem schweren Stein) und dass sein Nachbar ein "netter Mann mit Eigenarten" gewesen" sei.

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