Gebannt lauschten die Zuhörer Jörg Armbruster bei seiner Lesung im Nordstetter Berthold-Auerbach-Museum. Foto: Frank Foto: Schwarzwälder-Bote

Zeitgeschichte: Der ehemalige ARD-Nahost-Korrespondent Jörg Armbruster liest in Nordstetten aus seinem neuen Buch

"Kommst du aus Überzeugung oder aus Deutschland?" Mit dieser Aussage wurden viele vor dem Nazi-Regime geflüchtete Juden bei ihrer Ankunft im Nahen Osten begrüßt. Diesen Schicksalen ist Jörg Armbruster in seinem neuen Buch nachgegangen. Am Mittwoch präsentierte er es in Nordstetten.

Horb-Nordstetten. "Über Ägypten beziehungsweise den Arabischen Frühling und Syrien habe ich bereits Bücher geschrieben. Israel war mal dran", antwortet Jörg Armbruster lachend auf die Frage, warum er sich gerade das Thema "Deutschstämmige Juden in Israel" vornahm. Das Gesicht des Autors dürfte vielen bekannt sein: Als ARD-Korrespondent berichtete Armbruster aus dem Nahen und Mittleren Osten, moderierte den ARD-Weltspiegel und war anschließend als Auslandskorrespondent in Kairo tätig.

Sein im September letzten Jahres erschienenes Buch "Willkommen im Gelobten Land? – Deutschstämmige Juden in Israel" stellte er am Mittwoch im Berthold-Auerbach-Museum auf Einladung des Rexinger Synagogenvereins, des Projekts Zukunft und des Berthold-Auerbach-Literaturkreises vor.

Armbruster beschreibt in seinem Buch auch seine Begegnung mit "Shavei Zion" (auf deutsch "Rückkehr nach Zion"), einer Gemeinde im Norden Israels, die 1938 von Rexinger Juden gegründet wurde. Zwei Jahre habe er für das Buch gebraucht, erzählt Armbruster und fügt hinzu: "Die Auswanderergeschichten konnte ich zum Teil von Stuttgart aus vorbereiten, und ich hatte Helfer vor Ort zur Vorbereitung. Außerdem kannte ich Israel ja schon von früheren Reisen. Zweimal war ich in der Zeit in Israel, insgesamt fünf Wochen."

Bei der Lesung am Mittwoch herrscht viel Andrang. Stühle müssen geholt werden, manch einer sitzt halb im Vorraum. Nach der Begrüßung durch den Synagogenverein erklärt Armbruster zunächst den wichtigen Begriff des "Jecken". "Jecken" waren die Einwanderer, die ihr "Deutschtum" mitbrachten und korrekterweise nie ihr Jackett auszogen. War diese Bezeichnung früher eher negative behaftet, sei ein "Jecke" heutzutage durchaus etwas Positives – es stehe für diejenigen, die stets zuverlässig und pünktlich seien. Auch er werde regelmäßig als "Jecke" bezeichnet, fügte Armbruster mit einem kleinen Lächeln hinzu.

Sein Buch gliedert sich in drei Teile, aus jedem der Abschnitte las er in Nordstetten etwas vor. Der erste Teil beschäftigt sich mit denjenigen, die bis 1939 ausgewandert sind, der zweite Teil befasst sich mit KZ-Überlebenden, im dritten Teil kommen schließlich deren Kinder zu Wort. Die Geschichten sind entlang von persönlichen Schicksalen erzählt.

"Ich sah nichts als Hakenkreuze" – so beginnt die Textstelle aus dem ersten Teil, die Armbruster vorliest. "Hakenkreuze?", fragt man sich verwundert, "sollte es hier nicht um Israel gehen?" Richtig, doch Armbruster steigt zu einer Zeit ein, in der die naziverehrende, deutsche Sekte der Templer in Israel, genauer gesagt in der Stadt Haifa, noch präsent war. "Ich dachte, ich sei Hitler entkommen, aber er war schon da, wie bei Hase und Igel", denkt sich der Protagonist des Kapitels. Ein weiterer interessanter Aspekt, den Armbruster in diesem Teil des Buchs aufgreift: Viele deutschstämmige Einwanderer sprachen sich damals für einen binationalen jüdisch-arabischen Staat aus – ein Ziel, das heutzutage in immer weitere Ferne rückt.

Der zweite Teil fängt an mit dem Albtraum einer KZ-Überlebenden, der die Zuhörer prompt fesselte: Als achtjähriges Mädchen sitzt sie in einem Konzentrationslager in Transnistrien am Krankenbett ihrer Mutter. Die Mutter stirbt langsam an Typhus, doch das Mädchen hat keine Möglichkeit, ihr zu helfen. Sie habe den Traum nach wie vor jede Nacht, erzählte die Überlebende Armbruster bei seinem Besuch in einem speziellen Altersheim für Holocaust-Überlebende. Da viele Überlebende der Schoah unter der Armutsgrenzen leben würden, fügte Armbruster in Nordstetten hinzu, könnten sie sich "normale" Altersheime nicht leisten.

Im dritten Teil gehe es "auch um Traumata, nur anders", so Armbruster bei seiner Lesung. Die Kinder von KZ-Überlebenden hätten oft die Rolle der Eltern für ihre Eltern übernommen. Ein Beispiel in seinem Buch zeigt absolute Selbstaufopferung: Eine Tochter wollte immer "ein gutes Mädchen sein" und stellte ihre eigenen Wünsche und Pläne stets zurück, um ja nicht die Eltern zu verärgern.

Im Anschluss an die Lesung waren die Zuhörer noch zu einer Diskussionsrunde eingeladen, an der sie sich rege beteiligten. Es kamen Fragen dazu, wie es der dritten Generation, also der Enkelgeneration, gehe, wie gut die Integration der deutschen Einwanderer letztendlich gelungen sei und ob einige Einwanderer nach wie vor Angst vor Deutschland hätten. Armbruster nutzte die Gelegenheit auch, um mit Vorurteilen aufzuräumen. Jüdischer Glaube und Islam seien nicht grundsätzlich inkompatibel, wie ein Zuhörer es vermutete. Der Nahostkonflikt sei kein Glaubenskonflikt, es gehe um Macht und Gebietsansprüche. Seiner Meinung nach sei die Zweistaatenlösung nach wie vor die beste Lösung, doch er sehe keine Bereitschaft dazu.

Abschließend kam die Frage, wie man das Thema Holocaust heute noch verbreiten könne. "Kleine Initiativen schaffen sehr viel, insbesondere in der Jugendarbeit", meinte Armbruster, und lobte damit gleich die Arbeit des Rexinger Synagogenvereins. Auch nach Ende der Veranstaltung wurden noch etliche Fragen an den Autor gestellt.