Keinen leichten Stand hatte der Angeklagte vor dem Gericht. Foto: Archiv

Mit Glas zugeschlagen und Opfer schwer verletzt. Angeklagter gelobt Besserung. Staatsanwältin hat Zweifel.

Horb/Rottweil - Der Horber Amtsgerichtsdirektor Albrecht Trick hatte Anfang Juni einen hiesigen Gastronomen wegen gefährlicher Körperverletzung zu elf Monaten Strafhaft verurteilt. Und dies ohne Bewährung. Gegen dieses Urteil legte der Mann Berufung ein und hatte damit am Landgericht Rottweil Erfolg.

Die elfmonatige Freiheitsstrafe blieb zwar bestehen, doch der Vorsitzende Richter Thomas Geiger und seine beiden Schöffen drückten alle sechs Augen zu und setzten die Strafe zur Bewährung aus.

"Ich will doch nicht dafür verantwortlich sein, dass Sie hier weiter durchs Dorf ziehen und Leute zusammenschlagen. Diesen Schuh ziehe ich mir ganz bestimmt nicht an", sagte Richter Trick damals gegen Ende des Prozesses im Rahmen seiner Urteilsbegründung. Er schob auch nach, dass der Täter seiner Einschätzung nach alkoholkrank und Lichtjahre von einer Bewährungsstrafe entfernt ist. Richter Thomas Geiger sah das jetzt anders. So unterschiedlich können die Bewertungen für ein und dieselbe Tat ausfallen.

An der Bewertung der Vorgeschichte, die zu den beiden Verhandlungen geführt hatte, änderte sich nichts. Vorausgegangen war eine Straftat der gefährlichen Körperverletzung, die sich am 16. März morgens um 3 Uhr in der Horber Kaiserpassage abspielte. Der beschuldigte Wirt hatte zuvor in seinem eigenen Lokal in der Innenstadt nach eigenen Angaben eine halbe Flasche Raki geleert und war dann nach Mitternacht Richtung Neckarstraße ins sogenannte "Bermudadreieck" marschiert. Dort konsumierte er angeblich in einer der Gastwirtschaften noch bis zu zehn Whisky pur und einige Whisky-Cola. "Wenn Sie das alles getrunken und keine Ausfallerscheinungen hatten, wie von allen Zeugen bestätigt, dann sind Sie schwerer Alkoholiker", stellte Geiger spontan fest.

Spät in der Nacht soll es dann vor einer der Wirtschaften zuerst zu einem verbalen und später zu einem handgreiflichen Streit gekommen sein. Eine Zeugin feierte dort mit ihren Bekannten feuchtfröhlich in einem der Lokale, als der Angeklagte mit der Bedienung, mit der er früher ein Verhältnis hatte, vor dem Lokal Streit anfing. Die Zeugin, nicht mehr ganz nüchtern, wie sie unumwunden zugab, mischte sich ein. Sie und der Täter beschimpften sich gegenseitig recht deftig, und die beiden rückten sich immer näher auf die Pelle, wie ein weiterer Zeuge aussagte. Der Angeklagte packte sie darauf mit der linken Hand am Hals und drückte zu.

Dies sah ein Bekannter der Frau. Er wollte ihr beistehen, doch ehe er sich versah, hatte er das Glas, das der Angeklagte die ganze Zeit in der rechten Hand hielt, an der linken Backe. Das Glas zersplitterte, und der Helfer fing sich zwei tiefe Schnitte im Gesicht ein. Das Opfer blutete so heftig, dass es noch vor Ort notärztlich versorgt werden musste. Später wurden die Wunden im Nagolder Krankenhaus mit zehn Stichen genäht.

Die Spuren dieser Nacht wird der junge Mann nun immer mit sich herumtragen. Für den Vorsitzenden war die Tatsache, dass der Helfer, der nur schlichten wollte und nun durch die Narben möglicherweise für immer gezeichnet ist, die Überlegung wert, ob man hier nicht §226 des Strafgesetzbuches, der eine Freiheitsstrafe von einem Jahr vorschreibt, anwenden soll.

Die vier Zeugen beschrieben den Tathergang relativ emotionslos und in recht neutraler Weise. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stellte fest, dass hier Zeugen aussagten, die im Kern ihrer Erzählungen alle das Gleiche sagten. Mit kleinen Abweichungen in den Details zwar, doch ohne irgendwelchen Belastungseifer an den Tag zu legen. Sie fragte auch jeden der Zeugen, ob es möglich gewesen wäre, dass der Angeklagte, als er vom Geschädigten weggeschubst wurde, durch Rudern der Arme seine Balance zurückgewinnen wollte und dabei aus Versehen dem Geschädigten das Glas ins Gesicht gehauen haben. Alle Zeugen verneinten. Daher stand für die Staatsanwältin fest, dass der Schlag Vorsatz war. "Spätestens dann, wenn man die Faust ballt, stellt man fest, dass man etwas in der Hand hat. In diesem Fall ein Glas, ein gefährliches Werkzeug", lautete ihr Fazit.

Der Beschuldigte selbst konnte sich auch in der erneuten Beweisaufnahme nur noch bruchstückhaft an die Vorgänge erinnern. Seiner Meinung nach war das Ganze ein gezieltes Komplott gegen ihn. "Meine Ex hat die drei Zeugen extra aus der Wirtschaft geholt, um mich anzustressen", brachte er zu seiner Verteidigung hervor.

Er selbst sei völlig friedlich auf einen Absacker in die Kneipe gegangen, als die Zeugin, die er überhaupt nicht gekannt habe, mit ihm den Streit anfing. "Dass ich mit dem Glas zugeschlagen habe, das war blöd, und das bereue ich heute sehr. Ich habe mich deshalb auch beim Geschädigten vor ein paar Wochen entschuldigt", erklärte er relativ kleinlaut dem Gericht. Insgesamt kam der Täter zu dieser Verhandlung auch wesentlich besser vorbereitet als zu seinem "Auftritt" in Horb. Dort erschien er gleich gar nicht, musste von der Polizei vorgeführt werden und benahm sich auch recht großspurig.

Zur aktuellen Verhandlung dagegen hatte er einen Rechtsbeistand dabei, gab sich reumütig und hob hervor, dass er nun ein besseres Leben führen wolle. "Ich habe mit einem Kollegen einen Imbiss gepachtet und habe nun feste Arbeitszeiten." Sein Lokal in Horb werde er über kurz oder lang aufgeben, "denn ich will raus aus der Kneipen-Szene und mir ein besseres Leben aufbauen."

Den Wechsel zu einem Imbis s sieht die Staatsanwältin als "wirtschaftliche Überlegung", aber nicht als Verbesserung der Lebenssituation des Angeklagten. Dies auch vor dem Hintergrund, dass dadurch sein Schuldenberg erheblich gewachsen ist, wie er selbst erklärte. Seine einzigen festen Einnahmen seien derzeit zudem die Erträge aus den Geldspielautomaten des bisherigen Lokals.

Was die Staatsanwältin besonders ärgerte, war ein Satz des Gastronomen, der sich darüber mokierte, dass man ihn, der nur zwei einschlägige Vorstrafen habe, wegen dieser Geschichte "gleich aufhängen" wolle. "Es gibt Dinge, bei denen reicht eine Entschuldigung einfach nicht. Und wir müssen nicht zuschauen und warten, bis Sie noch ein paar Verurteilungen einkassieren, um Sie in Strafhaft zu schicken. Manchmal reichen dazu auch zwei vorausgegangene Taten." Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stellte in ihrem Plädoyer zudem fest, dass sie bei dem Angeklagten, der als "Mann mit zwei Gesichtern" charakterisiert wurde, keine innere Abkehr von der Gewalt feststellen kann. Deshalb beantrage sie, die Berufung zu verwerfen und das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen.

Der Anwalt des Beschuldigten kämpfte um Nuancen. Er sah die elf Monate ohne Bewährung als zu beherzt an. "Eine reale Haftstrafe ist nicht erforderlich, um meinen Mandanten auf den richtigen Weg zu bringen", glaubte der Nagolder Rechtsanwalt. "Er will weg vom Alkohol, weg von den Kneipen, und da wäre es nicht gut, wenn man ihn jetzt wegsperren würde", sagte er und forderte – wenn überhaupt – eine Haftstrafe von maximal zehn Monaten und diese unter Auflagen zur Bewährung ausgesetzt.

Richter Geiger und seine Schöffen folgten beiden Anträgen. Sie hielten elf Monate für gerechtfertigt, setzten die Strafe jedoch zur Bewährung aus. Die Bewährungsfrist beträgt drei Jahre, der Täter muss sich den Weisungen eines Bewährungshelfers unterstellen, mit dem er monatlich mindestens ein Gespräch nachweisen muss. Weiterhin muss er ein Anti-Aggressionstraining absolvieren und an den Geschädigten innerhalb eines Jahres 2400 Euro, in Raten zu je 200 Euro, zahlen. Natürlich trägt er auch die Kosten des Verfahrens.

Richter Geiger erklärte dem Täter ganz eindringlich, dass er heute richtig Glück gehabt habe. "Sie sind mit einem blauen Auge davongekommen – schauen Sie es sich noch lange im Spiegel an und erinnern Sie sich daran", lautete sein Rat, bevor er die Sitzung nach fünf Stunden Verhandlungsdauer schloss.