Globalisierungskritiker Heiner Geißler über die Krise und die Rolle der Kanzlerin.

Stuttgart - Der Globalisierungskritiker und frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen Vorwürfe verteidigt, sie nehme in der Schuldenkrise ihre Führungsrolle nicht ausreichend wahr. Solche Vorwürfe kämen von „denjenigen, die selbst keine Konzepte haben“, sagte Geißler. Natürlich sei das Griechen-Management nicht frei von Widersprüchen. „Die Situation könnte man mit der deutschen Einheit vergleichen. Auch damals konnte man nicht in Lehrbüchern nachlesen, wie man so etwas macht“, sagte der 81-Jährige. In einer solchen Situation könne man „nur Schritt für Schritt vorangehen. Und dann erleben Sie auch, dass ein Schritt mal wirklich falsch war. Dann muss man wieder zurück und muss etwas Neues versuchen.“

Geißler lobt Merkels Mut zur Kurskorrektur

Angela Merkel erfülle ihre Aufgabe gut, denn sie habe den „Mut, den Kurs zu korrigieren, wenn etwas nicht richtig klappt“. Das Grundübel in der gegenwärtigen Lage bestehe darin, dass „wir in 16 Staaten eine einheitliche Währung haben, aber diese Staaten nach wie vor so tun, als ob sie Nationalstaaten wären“. Würden etwa Bremen oder Berlin in eine Schuldenkrise wie Griechenland geraten, die für Deutschland in etwa das gleiche Gewicht haben wie Griechenland für die EU, wäre es für Deutschland „ein Leichtes, diese Stadtstaaten vor dem Konkurs zu retten. An Griechenland dagegen arbeitet sich die ganze EU jetzt schon seit fast zwei Jahren ab“. Es sei überfällig, dass es in Europa eine einheitliche Regierung und ein kompetentes Parlament gebe. Derzeit fehlten der EU die wirtschaftspolitischen Instrumente, um auf die Situation angemessen zu reagieren. „Europa kann keine eigenen Steuern erheben. Es hat nicht einmal Finanzbeamte.“

Die weltweit wachsenden Proteste gegen die Allmacht der Finanzmärkte sind für Geißler ein Zeichen dafür, dass sich das kapitalistische System dem Ende zuneigt. „Der Kapitalismus ist gescheitert, weil es für ihn keinen Konsens mehr gibt“, betonte Geißler. An den internationalen Finanzmärkten regiere ein „absurdes System: Es gibt auf der Erde Geld wie Heu, aber bei den falschen Leuten“. Nach den Worten des 81-Jährigen müsse die Politik endlich die Beschlüsse der G20-Staaten für eine neue globale Finanzordnung umsetzen. Dazu gehört auch eine Finanztransaktionssteuer, um die Zockergeschäfte einzudämmen.

Das Interview mit Heiner Geißler lesen Sie in der Montagsausgabe der Stuttgarter Nachrichten.