Ein Soldat trainiert mit einem Sturmgewehr vom Typ G36. Wer die Nachfolgerwaffe liefern wird, steht noch immer in den Sternen. Foto: Kraufmann

Ministerium lässt Patentrechtsverletzungen prüfen. Heckler & Koch wartet Ergebnis ab. Vorwürfe aufgearbeitet.

Berlin/Oberndorf - Laut griechischer Mythologie wurde dem Helden Sisyphos – weil er die Götter verärgert hatte – als Strafe auferlegt, einen großen Felsbrocken einen Steilhang hinaufzurollen. Doch immer kurz vor dem Erreichen der Schwelle entglitt dem geplagten Helden besagter Fels und er musste von vorne anfangen – immer wieder.

So werden auch heute noch Arbeiten, die scheinbar nie zum Ziel führen, als Sisyphusarbeit bezeichnet. In solch einem Dilemma scheint aktuell auch das Verteidigungsministerium zu stecken. Nur muss hier kein Fels verschoben werden, sondern ein neues Sturmgewehr für die Bundeswehr beschafft werden.

Das ist einfacher gesagt als getan. Der bisherige Vergabeverlauf von Anfang an: Im April 2017 macht die Bundeswehr den Auftrag über mehrere Hunderttausend neue Sturmgewehre öffentlich. Ein knappes Jahr später ist klar, dass zwei Unternehmen um den begehrten knapp 250 Millionen Euro schweren Auftrag ringen werden – der langjährige Bundeswehr-Lieferant Heckler & Koch (HK) mit Sitz in Oberndorf (Kreis Rottweil) und der Thüringer Waffenhersteller C.G. Haenel aus Suhl. So schickt HK mit den Modellen HK416 und HK433 zwei mögliche Nachfolger-Sturmgewehre für das bisherige G36 ins Rennen, Haenel bietet sein MK556 an.

Alle drei Modelle werden zunächst auf Herz und Nieren getestet. Laut einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums ging es hier um die Grundpräzision sowie "die Beeinflussung der Waffe durch schussinduzierte Erwärmung und durch Veränderung der Klimabedingungen". Gut möglich, dass bereits hier schon der erste Ärger im Vergabeprozess provoziert wurde. Vor wenigen Wochen bemängelte HK-Chef Jens Bodo Koch gegenüber unserer Zeitung, dass die Messmethodik zu nicht reproduzierbaren Ergebnissen geführt habe.

Oppositionspolitiker äußern schwere Vorwürfe gegen die Behörden

Die sogenannte Vergleichserprobung, durchgeführt von der Wehrtechnischen Dienststelle (WTD) für Waffen und Munition in Meppen, ergab laut Ministeriumsmitteilung: Keines der getesteten Gewehre erfüllt alle Muss-Forderungen. Bis Februar 2019 haben die Bieter Zeit, ihre Waffen entsprechend nachzurüsten. Im zweiten Check erhalten alle drei Modelle grünes Licht.

Bekanntlich ist jedoch da wo Licht ist, auch Schatten. Am Rande der Vergleichserprobung, so gibt das Ministerium bekannt, erhielt das Beschaffungsamt der Bundeswehr bereits Kenntnis über mögliche Patentverletzungen. So soll Haenel bei der "Over-the-Beach-Fähigkeit" bei den Schwarzwäldern gespickt haben. Dabei geht es schlicht darum, dass die Waffe auch nach Untertauchen in Wasser noch immer in der Lage ist zu schießen. Da noch keine finalen Angebote abgegeben wurden, war das Beschaffungsamt laut Verteidigungsministerium zu dieser Zeit nicht verpflichtet, diesen Hinweisen nachzugehen – das sollte sich später ändern.

Im Juni dieses Jahres ist es so weit: Beide Unternehmen geben ihre finalen Angebote ab. Dann heißt es warten auf die vermeintlich endgültige Entscheidung, welche das Beschaffungsamt der Bundeswehr am 15. September den Bietern mitteilt. Es folgt der Schock in Oberndorf. Nicht HK, sondern Haenel erhält den Auftrag. Doch während man sich in Suhl womöglich schon die Hände reibt, bereitet HK den Gegenschlag vor – kampflos, das wurde schnell klar, wollen die Oberndorfer das Feld nicht räumen.

Mit einer Rüge an das Beschaffungsamt kurz nach der Entscheidung sowie einem Nachprüfantrag bei der 1. Vergabekammer des Bundes beim Kartellamt bringt HK einen Stein ins Rollen, der auf einmal Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihr Ministerium ins Visier nimmt. Am 9. Oktober wird die Zuschlagserteilung an die Thüringer aufgehoben. Eine entsprechende Patentrechtsverletzung durch Haenel zulasten des Bieters HK sei nicht auszuschließen, heißt es beim Ministerium.

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Doch Oppositionspolitiker wie der Verteidigungsexperte Tobias Lindner – für die Grünen im Bundestag – äußerten noch viel schwerwiegendere Vorwürfe, laut denen das Beschaffungsamt die Firma Haenel durch unerlaubte Hilfen im Vergabeverfahren begünstigt hat – in Form von geheimen Tipps, wie eingereichte Papiere zu Vorteilen der Thüringer umgestaltet werden müssen. Kramp-Karrenbauer hat daraufhin angeordnet, diesen Vorwürfen auf den Grund zu gehen. Genau das ist jetzt erfolgt: Man habe das "bisherige, noch nicht abgeschlossene Vergabeverfahren zur Nachfolge des G36 detailliert aufgearbeitet. Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass das Gebot der Gleichbehandlung der Bieter sichergestellt war. Auch die weiteren vergaberechtlichen Grundsätze von Wettbewerb und Transparenz wurden eingehalten." Das ist die aktuelle Lesart.

Aus Oberndorf ist zu den neuesten Entwicklungen nichts zu hören

Dennoch will das Haus von AKK laut eigenen Angaben alles daran setzen, in künftigen Vergabeverfahren "die größtmögliche Klarheit zu schaffen". Geschehen soll dies etwa durch eine unabhängige Bewertungskommission, die im Beschaffungsamt gebildet wird, sobald ein Vergabeverfahren von mehr als 25 Millionen Euro ausgeschrieben wird. Dazu müssen laut Mitteilung Bieter bereits zu Beginn eines Verfahrens "noch deutlicher darauf hingewiesen werden, auch mittelbar betroffene Schutzrechte, beziehungsweise Patente und vorhandene Lizenzen in Bezug auf den Auftragsgegenstand anzugeben".

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Grünen-Politiker Lindner allerdings traut dem ganzen Braten immer noch nicht wirklich: "Der Bericht lässt viele Fragen offen und mogelt sich um die entscheidende Frage, ob die Nachverhandlungen vergaberechtswidrig sind, herum. Das Ministerium versucht, mit Allgemeinplätzen den Eindruck zu erwecken, dass beim Vergabeverfahren alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Stand heute ist es unklar, ob das Verfahren noch zu halten ist", sagte er unserer Zeitung. Der Verteidigungsausschuss des Bundestages will am Freitag bei einer Sondersitzung vom Ministerium Aufklärung über die weitere Suche nach einem neuen Sturmgewehr.

Und HK? Aus Oberndorf ist zu den neuesten Entwicklungen nichts zu hören. Dort wartet man ab, was der nun eingesetzte unabhängige Patentanwalt zu den weiter im Raum stehenden Patentrechtsverletzungen in seinem Gutachten schreibt. "Auf Basis dieses Gutachtens wird zu bewerten sein, welche Konsequenzen im Vergabeverfahren zu ziehen sind", erklärt das Verteidigungsministerium. Bis dahin bleibt es offen, wie oft der Felsbrocken noch entgleitet, ehe er vielleicht ja doch einmal auf der Schwelle zum Stehen kommt.