Die Urteile sind gesprochen: Lebenslänglich für einen Ankgelagten, neun Jahre Haft für den anderen, der nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde. Foto: privat

Kripo-Ermittlungen zerstreuen Zweifel am Täter: Hechinger Landgericht verurteilt zwei junge Männer.

Hechingen - Abends kurz nach 18 Uhr stehen zwei junge Männer rauchend auf einem kleinen Platz vor einer Sitzbank, nicht weit von einem Automatenspielkasino entfernt. Ein roter Fiat fährt vor, bremst scharf, aus dem offenen Beifahrerfenster fällt aus fünf Metern Entfernung ein Schuss. Das Auto rast davon. Die Kugel trifft Umut K. mitten ins Herz. Ein Jahr zuvor hat er Abitur gemacht. Er träumt vom Jurastudium. Nun verblutet er innerhalb von Sekunden.

Auf offener Straße wurde der junge Mann mitten in Hechingen erschossen. Das Landgericht verurteilte am Mittwoch den Todesschützen zu lebenslanger Haft, seinen Komplizen zu neun Jahren. Als klaren Mord, heimtückisch und aus Habgier begangen, stufte Hannes Breucker, Vorsitzender Richter im Prozess vor dem Hechinger Landgericht, das ein, was sich am 1. Dezember 2016 in der 20 000-Einwohner-Stadt etwa 20 Kilometer südlich von Tübingen ereignet hat.

Umut K.s Angehörige, eine Großfamilie mit Wurzeln im kurdischen Teil der Türkei, verfolgen den Prozess über Monate stets in großer Zahl. Es gibt Reibereien mit Angehörigen der Angeklagten im Gerichtssaal, zudem anonyme Rachedrohungen gegen die Angeklagten. Sämtliche Verhandlungen werden deshalb von einem großen Aufgebot an schwer bewaffneten Polizisten und Justizbeamten überwacht.

Waffe bleibt trotz intensiver Suche verschwunden

Als das Urteil am Mittwoch fällt, ist für die Familie von Umut K. neben der Verkündung des Strafmaßes eine Feststellung des Richters wichtig: Der 22-Jährige war nicht Ziel des Anschlags gewesen. In die Drogengeschäfte war er kaum verwickelt. Er hatte nur die falschen Freunde. Darunter Giovanni M., der beim Schuss neben ihm stand, und der ihn kurz zuvor telefonisch als Beistand in einem Streit herbeigerufen hatte. Mehrfach vorbestraft, ein stadtbekannter Drogendealer. Ihm galt der Schuss.

Was direkt nach dem Mordanschlag einsetzte, beschrieb Richter Breucker am Mittwoch als "exzellente Arbeit der Ermittlungsbehörden". Polizei und Staatsanwaltschaft leisten ganze Arbeit. Calogero S., ein Insasse des Fiats, wird noch in der Tatnacht verhaftet. Der Fahrer, Carmelo B., stellt sich zwei Tage später.

Ein schneller Fahndungserfolg, aber dann werden die Ermittlungen mühsam. Beide Fahrzeuginsassen, damals 20 und 21 Jahre alt, kennen sich von Kindheit an aus Süditalien. Beide behaupten, nicht geschossen zu haben und von der Tat des jeweiligen Nebensitzers völlig überrascht worden zu sein. Die Waffe bleibt trotz intensiver Suche verschwunden. Im Zweifel für den Angeklagten? Was lässt sich in dieser Lage beweisen?

Ein halbes Jahr lang ermitteln Kripo und Hechinger Staatsanwaltschaft. Ihr Vorteil: Giovanni M., dem der Schuss eigentlich galt, und seiner Dealergruppe war die Kripo längst auf der Spur. Sie wurden seit Wochen überwacht, um noch weitere Namen und Verbindungen herauszubekommen. So liegen bereits Durchsuchungsbefehle vor, die teilweise noch in der Tatnacht vollstreckt werden.

Schlussendlich werden 83 digitale Datenträger beschlagnahmt. Handyspeicherkarten, Laptops, USB-Sticks, dazu Daten aus der Cloud. Tausende Chats und Fotos werden ausgewertet. Aussagen gesammelt. 56 Zeugen sagen am Ende vor Gericht aus, dazu sechs Sachverständige. Dabei wird der Tathintergrund klar: Der Schuss fiel, weil ein Drogengeschäft nicht bezahlt wurde. Die Gruppe um Giovanni M. hatte für 5000 Euro Marihuana von den beiden jungen Italienern erhalten, blieb das Geld aber schuldig. War es Frust und Wut? Hofften die beiden Italiener, durch den Schuss doch noch eine Zahlung zu erzwingen?

Das ausstehende Geld war jedenfalls das Motiv. Aber wer hat geschossen? Auch hier leisten die Ermittler Beachtliches. Ein dreidimensionales Computermodell des Tatorts wird erstellt, die Daten des Schusskanals im Körper von Umut K. eingefügt. Schmauchspuren auf der Kleidung passen am Ende genau zu dem, was auch Giovanni M. aussagt: Der Beifahrer, Calogero S., sei der Schütze gewesen. Das Gericht hält diese Version am Ende für glaubhaft. Ein heimtückischer Mord aus Habgier. Die Strafe: lebenslänglich.

Da nach Auffassung des Gerichts auch der Fahrer, Carmelo B., in die Anschlagspläne eingeweiht war und diese mittrug, wurde auch er wegen Mordes verurteilt. Er war zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt. Das Gericht kam zur Auffassung, dass hier Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Neun Jahre Haft werden als Strafe festgesetzt.

Nach dem Urteil erklärten die Strafverteidiger der Angeklagten, dass sie vermutlich eine Revision des Urteils anstreben.