Hechingens Landgerichtspräsidentin Luitgard Wiggenhauser zeigte Landesjustizminister Guido Wolf am Dienstag die alten Schtränke mit Aktenbündeln, die durch die Digitalisierung nun überflüssig werden. Foto: Stopper

Justiz ist landesweites Pilotprojekt. Justizminister Guido Wolf schaut sich vor Ort um.

Hechingen - Richter, die dicke Akten wälzen – das ist Vergangenheit. Zumindest bei Zivilprozessen im Landgericht Hechingen. Hier werden seit drei Monaten für neue Prozesse alle Schriftstücke digitalisiert. Das beschleunigt die Verfahren.

Das Programm gibt es schon einige Zeit, aber um zu erleben, wie es sich in der Praxis bewährt, ließ sich Landesjustizminister Guido Wolf von Stuttgart nach Hechingen fahren und von Landgerichtspräsidentin Luitgard Wiggenhauser durch die Räume führen.

Wie ein abschreckendes Beispiel wirkten da die meterlangen Regalschränke, vollgestopft mit Akten aktuell laufender Zivilprozesse. "Früher waren das noch viel mehr", erklärte Luitgard Wiggenhauser. In den Regalen liegen nur noch Altfälle, denn seit dem 4. Dezember werden in Hechingen alle Zivilprozesse nur noch mit digitalen Akten geführt. Jedes eingehende Schriftstück wird fein säuberlich und nach genau definiertem System sortiert, in Rubriken geordnet, gescannt – und die sich daraus ergebende Akte ist fortan für jeden im Computer lesbar, der eine Zugangsberechtigung hat.

Was das bringt? Ziemlich viel, erklärte die Landgerichtspräsidentin. Früher waren Akten teilweise monatelang unterwegs. Per Post zum Gutachter, und dann sei auf der Zustellungsurkunde unter Empfänger "bitte keine Werbung" gestanden, erklärt Luitgard Wiggenhauser. Das kann schon mal passieren, wenn der Postbote kaum Deutsch kann. Jetzt ist wird die Akte per Mausklick in Sekundenbruchteilen verschickt. Zweiter Vorteil: Allein in Hechingen werden jährlich viele Tonnen Papier gespart.

Einen dritten Vorteil zählte Guido Wolf auf, denn als Minister ist ihm wichtig, möglichst brillante Juristen für die Justiz zu gewinnen. Und da schrecken Papierakten als altmodische Staubfänger ab, die Verfügbarkeit von Daten über den Computer hat dagegen den Vorteil, dass Richter auch von zu Hause aus arbeiten können. "Damit können wir ganz neue Möglichkeiten bieten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen", so Wolf. Bis Anfang 2022 müssen auch die Anwaltsbüros auf Digital umsteigen. Bereits nächstes Jahr ist geplant, ein Pilotprojekt zu starten, in dem auch Strafverfahren auf digitale Akten umgestellt werden.

Was das bringen wird, zeigte Amtsrichter Fabian Kalmbach im Amtsgerichts-Verhandlungssaal, der schon komplett digital ausgestattet ist. Ein Bildschirm vor dem Richter bietet Zugriff auf die Dateien aller Schriftstücke, die bislang in den Papierakten standen.

Allerdings können Gutachterskizzen oder Fotos auf einen großen Bildschirm an der Wand übertragen werden, und da die Akten nach Schlagworten durchstrukturiert sind und für bestimmte Zwecke markiert werden können, hat ein Richter einen wesentlich besseren Überblick über die oft mehr als tausend Seiten umfassenden Akten. Er kann sogar reinmalen und alles später wieder löschen, "das geht bislang gar nicht, denn das sind Dokumente", wurde erklärt.

Wie sicher die Daten sind? So sicher, wie Daten derzeit nur sein können, so die Antwort eines Experten des Ministeriums, der aus Stuttgart mit angereist war. Alles wird auf zwei getrennten Servern in Stuttgart gespeichert, falls ein Gebäude mal abbrennt, und gegen Hackerangriffe habe man die höchsten Sicherheitsstandards, die derzeit möglich seien.

Der Justizminister war jedenfalls sichtlich stolz auf das, was die Hechinger Justiz in diesem Pilotprojekt auf die Beine gestellt hat. Mit diesem System sei man jetzt "das Flaggschiff" in Land und Bund, verkündete er strahlend. In Europa sei fast noch kein Land mit der Digitalisierung seiner Justiz so weit wie Deutschland". Höchstens Estland, aber da sei die Justiz auch eine sehr kleine Institution. Und er lobte Hechingens Landgerichtspräsidentin in den höchsten Tönen. Sie habe sich mit Begeisterung hinter das Projekt geklemmt, "und das ist spürbar auf alle übergesprungen".