Vor einem halben Jahr ereignete sich hier nachts eine Prügelei, für die ein 68-Jähriger nun eine zweimonatige Haftstrafe absitzen muss. Foto: Stopper Foto: Schwarzwälder Bote

Amtsgericht: 68-Jähriger ist nüchtern ruhig und besonnen, rastet aber im Suff regelmäßig aus

Bei diesem Prozess saß der falsche Mann auf der Anklagebank. Nett, ruhig, hilfsbedürftig. Kein Vergleich mit dem aufbrausenden Randalierer, in den er sich verwandelt, wenn er betrunken ist. Aber nun muss er für diesen Berserker ins Gefängnis.

Hechingen. Dabei kann er sich nicht einmal mehr erinnern an die Tat, die ihm vor dem Amtsgericht zur Last gelegt wurde. Filmrisse nach Besäufnissen hat er jetzt öfters. Wieder nüchtern ist ihm alles furchtbar peinlich, was ihm dann erzählt wird. Dieser nette Mensch sitzt nun auf der Anklagebank. Dort sitzen aber müsste eigentlich seine andere, berserkerhafte Persönlichkeit, die im Suff über ihn kommt und über die er keine Kontrolle hat.

Die 68 Lebensjahre, davon über 40 als Alkoholiker, haben tiefe Falten ins Gesicht des Angeklagten gegraben. Er wirkt unsicher, ruhig, sehr höflich, drückt sich gewählt aus. Traurige Augen, zitternde Hände. Kaum zu glauben: Dieser Mann hat im Suff im Sommer auf dem Marktplatz mit der Faust auf eine Taxifahrerin eingeschlagen.

"Ich kann mich daran überhaupt nicht erinnern", sagt er dem Richter. Rechtsanwalt Fritz Westphal hat ein Herz für solche Menschen. Er hat schon mehrere verteidigt, über die andere nur noch den Kopf schütteln würden. Er zeigt Mitgefühl, will konstruktive Lösungen erzielen, übersetzt die oft konfusen Erklärungen seiner Klienten in die juristische Sprache, die vor Gericht zählt.

Die Tat wird gar nicht abgestritten, aber Westphal will erreichen, dass der 68-Jährige noch eine Chance kriegt, dass er trotz vieler Vorstrafen nicht ins Gefängnis muss, dass er weiter von der Bruderhaus-Diakonie betreut werden kann, die wohl der letzte Halt vor der Obdachlosigkeit ist, und sich für eine weitere Entzugstherapie für den Mann einsetzt. Vielleicht ist dieser Mann doch zu retten. Man möchte Westphals Optimismus teilen, den Richter aber überzeugt er diesmal nicht.

Der will vom Angeklagten wissen, wann und warum er Trinker wurde? Der 68-Jährige weiß es auch nicht. Er sei "in einer guten Familie" aufgewachsen. Der Vater, ein Malermeister, habe ihn in eine Lehre bei einem Schmied vermittelt, "weil ich keine Ahnung hatte, was ich selber will." Das sei nicht schlecht gewesen. Guter Lehrbetrieb, gute Qualifikation. Was auffällt: Im Anschluss wechselte er oft die Arbeitsstelle, "obwohl das alles gute Betriebe waren." Und mit 30 habe er das Saufen angefangen. "Einfach so, keinen besonderen Grund". Erst ein Jahr später sei ihm aufgefallen, dass er ein Alkoholproblem habe.

Nüchtern ein liebenswürdiger Kerl

Der Beginn einer langen, aber beständig schiefen Bahn. Drei mehrwöchige Entzugskuren, Rückfälle. Vorstrafen sammeln sich an. Beleidigung, Randalieren, Gewaltdelikte. Alles im Suff. Nüchtern sei er ein "liebenswürdiger und ruhiger, reflektierender Mensch", versichert ein Sozialarbeiter. Aber der Suff hat ihn im Griff, das zeigen 37 Einträge im Strafregister, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben. Anfangs Bewährungen, später Haft.

Ist es vernünftig, ihn erneut ins Gefängnis zu schicken? Was dagegen spricht: Die Tat auf dem Hechinger Marktplatz hatte geringe Folgen. Mit 1,8 Promille im Blut hatte er in der Tatnacht die Taxifahrerin bestellt. Dass er betrunken war, wunderte diese nicht. "Das sind eigentlich die meisten, die wir nachts befördern", sagt sie als Zeugin aus. Wenn die Leute "dummes Zeug" reden, höre sie einfach nicht zu, wenn es Ärger gebe, rufe sie die Polizei.

Und die rief sie auch in dieser Nacht. Denn auf dem Marktplatz angekommen, wollte der 68-Jährige nicht zahlen, sei aufbrausend aggressiv gewesen, dann wieder weinerlich. Dann packte er sie am Arm und wollte sie mit der Faust ins Gesicht schlagen. Er streifte sie aber nur.

Die 30-Jährige Taxifahrerin hatte nach diesem Vorfall die Nacht über Schmerzen, am nächsten Tag konnte sie wieder arbeiten. Ob sie der Vorfall noch beschäftige, wollte der Richter von ihr wissen. "Nö, eigentlich gar nicht", antwortete sie. Auf die Entschuldigung des Angeklagten legte sie keinen Wert.

Für so etwas zwei Monate ins Gefängnis? Das wirkte besonders hart, weil ein Mitarbeiter der Bruderhaus-Diakonie, die auch in Hechingen präsent ist, berichtete, wie sehr man sich seit Monaten um den Mann bemüht. Es ging darum, eine Wohnung zu suchen, eine feste Tagesstruktur durch ein regelmäßiges Mittagessen zu schaffen, seine Einkünfte zu verwahren, um Alkoholeinkäufe zu erschweren, auf eine Entzugstherapie hinzuarbeiten und abends bei dem Mann vorbeizuschauen, "ob alles in Ordnung ist". Nur leider war immer wieder nichts in Ordnung. Regelmäßig gab es Rückfälle, Suff, Randale. Anwalt Fritz Westphal bat trotzdem darum, von einer Haftstrafe abzusehen, denn sonst sei die Betreuung gefährdet und nach der Haft drohe Obdachlosigkeit.

Der Richter machte es sich in seinem Urteil nicht einfach, griff auch diese Überlegungen auf und erklärte dem Angeklagten genau, weshalb er auf die Haft nicht verzichten will. Angesichts der ständigen Rückfälle und der langen Vorstrafenliste sehe er keinerlei Anhaltspunkte, weshalb sich das Geschehen auf dem Marktplatz nicht jederzeit wiederholen könne. Damit sei Bewährung kaum zu begründen. Ob eine Haft helfe, wisse er nicht, es sei aber eben die gesetzlich vorgesehene Strafe für diese Tat. Der Angeklagte nahm das Urteil fast regungslos auf. Ein kurzer, scheuer Blick in die Zuschauerreihen. Er wirkte tief beschämt.