Lea Streisand las diverse Kolumnen, die sie in Hausach während ihres Aufenthalts geschrieben hat, und eine Passage ihres Buchs, das im Herbst 2019 erscheinen soll, vor. Foto: Jehle Foto: Schwarzwälder Bote

Stadtschreiberin: Berlinerin lässt Zeit im Schwarzwald Revue passieren / Abschied mit Lesung

"Es ist doch völlig egal, ob das, was ich erzähle, wirklich so passiert ist. Wichtig ist, dass es stimmt." Unter dieser Maxime hat Stadtschreiberin Lea Streisand am Sonntag im Hausacher Rathaussaal Rückblick auf drei Monate schriftstellerische Arbeit gehalten.

Hausach. Mit einem Sack voller Vorurteile ist sie hergekommen, hat viel gelernt und dabei auch ihren Blick auf das Leben in Berlin geschärft, erklärte sie bei ihrer Abschiedslesung.

Die hiesige Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft allerdings ist ihr immer noch nicht ganz geheuer. "Anfangs kam ich mir sogar verscheisßert vor" bekannte Streisand. Durch und durch eine Großstädterin, ausgestattet mit dem berühmten "Berliner Schnauze" – Mundwerk, schilderte sie im vollbesetzten Rathaussaal mit Witz die Akklimatisation im Kinzigtal.

Die gelang so sehr, dass sie vom Schwarzwald fast schon "versaut" wurde. Letzthin habe sie bei einem Kurzaufenthalt in Berlin einen Fahrradkurier freundlich angelächelt und ihm Platz auf dem Radweg gemacht. "Der ist fast vom Fahrrad gefallen", amüsierte sich Streisand.

Der Berliner an sich wird ihrer Ansicht nach mit dem Gefühl geboren, irgendwie benachteiligt zu sein. Im Vergleich dazu sind die Menschen im Süden "notorisch tiefenentspannt". Streisand selbst ist im Osten Berlins geboren und dort aufgewachsen.

Beim Mauerfall war sie erst zehn Jahre alt, aber ist ihre ganze Familiengeschichte eine ostdeutsche. Ihr zweiter Roman mit dem Arbeitstitel "Hufelandstraße / Ecke Bötzow", beschäftigt sich mit der Wende aus der Sicht eines Kindes mit autobiografischen Anleihen. Eine ausgewählte Passage las Streisand am Sonntag vor.

Ihre Schilderung des familiären Umzugs in den Prenzlauer Berg Mitte der Achtziger Jahre zeichnet ein Bild vom Alltag der Kinder im noch von Altbauten geprägten Bezirk. Ursprünglich Arbeiterviertel und später Intellektuellen-Szene, ist er heute laut Streisand ein Quartier der Reichen.

"Wie hat es denn funktioniert mit der Arbeit im Molerhiisle, so mit Mann und Kleinkind?", erkundigte sich José F.A.Oliver nach der Lesung. Gut, meinte Streisand.

Die Ruhe zu arbeiten hätte sie zu Hause nicht gehabt und trotz Kind habe sie in die Versenkung des Schreibens gefunden.

Ohne soziale Verpflichtungen weiteren Blick bekommen

Die Figuren des Romans haben sich hier entwickelt, obwohl inhaltlich weit entfernt vom Schwarzwald, antwortete die Schriftstellerin auf die Frage Olivers nach dem Einfluss von Ort und Stimmung auf die Arbeit.

Ohne den Druck sozialer Verpflichtungen konnte sie einen viel weiteren Blick darauf bekommen, wie die Geschichte erzählt werden soll. Im Januar soll das Buch fertig sein und im Herbst erscheinen.

Streisand wurde 1979 im Ostteil Berlins geboren. Sie studierte neuere deutsche Literatur und Skandinavistik an der Humboldt-Universität in Berlin und liest seit 2003 auf Lesebühnen und Poetry Slams im deutschsprachigen Raum. Streisand schreibt unter anderem Kolumnen für die "Taz" und die "Berliner Zeitung".

Seit 2014 spricht sie bei Radio Eins ihre wöchentliche Hörkolumne "War schön jewesen". Ihr erstes Hörbuch "Wahnsinn in Gesellschaft" erschien 2009 bei Periplaneta Berlin. 2016 erschien ihr erster Roman "Im Sommer wieder Fahrrad" im Ullstein Verlag zusammen mit dem Erzählband "War schön jewesen".

Die Stadt Hausach hat erstmals 2009 in Kooperation mit der Neumayer-Stiftung zwei Arbeits- und Aufenthaltsstipendien im Molerhiisle ausgeschrieben. Zur Sparte "Lyrik oder Prosa" und "Literatur für Kinder und Jugendliche" kam 2012 das Gisela-Scherer-Stipendium hinzu, das vom "Verein zur Förderung des Hausacher LeseLenzes" getragen wird. Wie José F.A. Oliver informierte, wird die Amanda-und-Erich-Neumayer-Stipendiatin Julia Willmann am 15. Oktober im Molerhiisle erwartet. Mitte Februar tritt Timo Brandt das Gisela-Scherer-Stipendium an.