José F. A. Oliver moderiert die Abschlussveranstaltung des Leselenz 2017 in der Kulturgarage in Hausach. Foto: Kornfeld

José F. A. Oliver blickt im Interview zurück auf die Anfänge der Literaturveranstaltung

Hausach. Nachdem die Objekte der Ausstellung "Die Kunst der Wissenschaft" in den Schaufenstern Hausachs von Zehra Cirak abgeholt wurden, ist der 20. Hausacher Leselenz abgeschlossen. Das ist ein Anlass für den SchwaBo mit José F .A. Oliver zurückzublicken.

Herr Oliver, haben Sie vor 20 Jahren erwartet, dass sich der Leselenz so etabliert?

Nein, nie und nimmer. Ich hatte allerdings immer die Haltung, wenn einem etwas fehlt, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Dass man geht, dass man es woanders sucht oder dass man bleibt und das, was man vermisst, erfindet oder aufbaut. Ich gehöre eher zu den Gründernaturen. Das, was mir fehlt, versuche ich zu initiieren oder umzusetzen. Der Leselenz selber hängt unmittelbar mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis zusammen, den ich 1997 erhielt. Der damalige Bürgermeister Gerhard Scharf verlieh mir aus diesem Anlass in der Aula der Graf-Heinrich-Schule, ein metaphorischer Ort, den "Kleinen Ehrenteller" der Stadt Hausach. Ich erinnere mich noch genau daran, was ich erwiderte. Dass ich diese Auszeichnung nämlich nur annehmen könnte, indem sie für mich eine Verpflichtung wäre, und ich deshalb meiner Heimatstadt etwas zurückgeben müsste. Der Gemeinderat war auch anwesend, und ich wurde gefragt, was mir den vorschwebe. Meine Antwort kam schnell und klar: "Literaturtage". Und genau so prompt versprachen mir die Gemeinderäte 5000 Mark. Danach sind wir noch ein bisschen feiern gegangen, in der Blume in Hausach. Zu vorgerückter Sunde dachte ich dann "Oh, Gott was mache ich denn mit 5000 Mark?". Aber Herr und Frau Pastor, die Wirtsleute der "Blume", beruhigten mich und meinten, ich solle mit dem Geld die Reisekosten und die Honorare bezahlen und die Autoren könnten in der "Blume" kostenlos essen, trinken und schlafen. Das haben die beiden fünf Jahre lang so praktiziert. Eine unglaubliche Hilfe.

Wie ging es dann weiter?

Der Leselenz erfuhr immer mehr Zuspruch und konnte sich stetig weiterentwickeln. Es wurde mit möglichen Geldgebern verhandelt, auch mit der Stadt, und ich fand in unserem heutigen Bürgermeister und in den nachfolgenden Stadträten eine mir wohlgesinnte Unterstützung.

War Ihnen der Ablauf des Leselenz von vorneherein klar?

Für mich war klar, dass ich eine Struktur brauchte, die einen Wiedererkennungswert hätte. Ich habe mich dabei an der heimischen Fastnacht orientiert. Heute als Vizezunftmeister der Freien Narrenzunft Hausach. In der "Husacher Fasent" hat jede traditionelle Veranstaltung ihren eigenen Tag und ihr besonderes Publikum. Die einen gehen gern zum Schnurren, die nächsten sehen sich mit Leidenschaft den großen Närrischen Umzug am Sonntag an, andere wiederum machen die Elfemess mit. Manche sind bei fast allem mit von der Partie. Ich brauchte folglich einzelne Formate oder Reihen, damit ich im Lauf der Zeit ein Stammpublikum bekäme. Am Anfang habe ich alles noch selber kuratiert, doch bald wurde mir bewusst, dass ich ein paar Autorinnen und Autoren ins Boot holen musste, denen es vielleicht ebenso Spaß machen würde, Programme zu entwerfen. Ich begriff meine Rolle eher als diejenige eines Intendanten, der Regisseure beauftragt. Ja, mein Ziel war immer eine Struktur, die für Vielfalt sorgt und Vieles auffangen kann. Mit-Kuratorinnen und -Kuratoren, Werkstattleiter und Moderatoren wechseln ja nicht jedes Jahr. Das bedeutet, du hast ein Team.

Wie entstehen die Ideen für den Leselenz?

Sie fügen sich im Laufe eines Jahres, nein, eigentlich erstreckt sich die Planungszeit mindestens über zwei Jahre hinweg. Das Leselenz-Motto ist mir meistens schon zwei Jahre vorher im Sinn. Heuer waren die "Metropolen" ein Leitfaden und nächstes Jahr wird es ein dazu ergänzendes Motiv geben: "Sprachränder / Rändersprachen", vielleicht gar ein Gegenthema im Hinblick auf die zivilisatorischen Zentren. Es geht dabei nicht primär um den ländlichen Raum, sondern um Sprachgrenzen, um Sprachminderheiten. Ich denke zum Beispiel an das Sorbische in Deutschland, eine Sprache, die ja große Dichterinnen und Dichter hervorgebracht hat. Oder an das Alemannische. Auch das Aquitanische in Südfrankreich reizt mich. Mir schweben außerdem Autoren vor, die mehrere Begabungen in sich vereinen, sprich neben oder mit ihrem Schreiben als bildende Künstler tätig sind oder als Musiker den Dialog mit der Literatur suchen; oder andere, die mit den Neuen Medien arbeiten.

Wann beginnen sie mit den konkreten Vorbereitungen?

Unmittelbar nach dem Leselenz und schon vorher. Ein Beispiel: Im nächsten Jahr wird "kinderleicht & lesejung" wieder von der Baden-Württemberg-Stiftung unterstützt und da war das Antragsverfahren 2018 schon im April dieses Jahres , das heißt, es ist eigentlich ständig Leselenz. Nehmen Sie allein die Präsenz der Stipendiaten, das sind ja neun Monate im Jahr oder die Poetik-Dozentur an der PH in Karlsruhe, die im Herbst und Winter stattfindet. Viel Zeit beansprucht auch unsere neue Auszeichnung, der "Leselenz-Preis für Junge Literatur". Der Hausacher Leselenz ist eine Ganzjahres-Aufgabe und -Herausforderung. Ich fange jetzt bereits an, Autoren für 2018 einzuladen. Das Organisatorische für dieses Jahr läuft noch aus und hat gleichzeitig auch für das kommende schon begonnen. Jetzt sind wir gerade in der Phase, in der wir alles abrechnen. Es geht ja um ein großes Budget. Zurzeit trudeln die letzten Rechnungen ein, und wir haben schon wieder Anträge gestellt für das nächstjährige Festival.

Rückblick auf den Leselenz 2017: Was hat sie am meisten beeindruckt?

Also vorweg bemerkt: in den Kategorien "das Beeindruckendste" oder "das Schönste" denke ich nicht. Man fragt mich oft, "Wie willst du das noch toppen?". Es geht mir gar nicht ums Toppen, es geht mir in erster Linie darum, das Niveau zu halten und jedes Jahr so zu gestalten, dass es nicht mit dem vorherigen zu vergleichen ist. Mittlerweile hat der Leselenz einen sehr guten Namen. Man weiß, dass Ungewöhnliches passiert und dass es Überraschungen gibt. Für mich war es in diesem Jahr sehr berührend, dass die einzelnen Veranstaltungen ausgesprochen gut besucht wurden. Wir hatten noch nie so viel Publikum. Es sind nicht nur viele aus Hausach und der Umgebung zu den Lesungen gekommen, sondern es haben sich auch mehr auswärtige Gäste für ein Wochenende lang hier im Kinzigtal eingemietet. Es waren einige Hotels, Appartements und Ferienwohnungen auf den Bauernhöfen ausgebucht.

Und der Rückblick in Bezug auf den Inhalt?

Die Besucherzahlen sind das eine, der Inhalt der Veranstaltungen das andere. Und doch hängt beides miteinander zusammen. Ich weiß, dass die erste Veranstaltung mit der letzten im Dialog steht. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht gleich ersichtlich wird. Der Leselenz ist für mich eine Komposition. Fragen Sie mich nicht, wie es schließlich zu einem Ganzen wird. Es ist für mich ein Gedicht mehr. Im Grunde ist der Leselenz ein zusammenhängender Text. Ich weiß, jetzt stimmt es oder da fehlt noch etwas, da brauche ich noch irgendeinen Akzent. Mehr kann ich nicht dazu sagen. Ihre Frage ist, als würden Sie mich bitten: Erklären Sie mir Ihr Gedicht. Es ist einfach diese kompositorische Liebe bis ins Detail. Und dann weiß ich genau, welche Person für welche Autorin, welchen Autor die Einführung hält oder wie die Reihenfolge zu sein hat, wenn beispielsweise zwei an einem Abend lesen. Es ist alles durchdacht, damit jeder Programmpunkt seine Stimmigkeit erfährt, aber auch der ganze Leselenz diese Spannung hält. Da ich experimentierfreudig bin und den Menschen etwas zutraue, kann es zu ganz ungewöhnlichen Momenten kommen.

Wie sehen Sie den Bezug Leselenz - Hausach?

Das Schönste ist, dass ich spüre, wie sich der ganze Ort mittlerweile mit dem Festival identifiziert. Also selbst diejenigen, deren Welt nicht unbedingt die Bücher sind, oder die mit Literatur nicht so viel anfangen können, dass auch diese Menschen trotzdem versuchen, eine gastfreundliche Atmosphäre zu schaffen und für die Leselenz-Stimmung sorgen. Das ist natürlich ein großes Geschenk. Das ist für mich das Beeindruckendste. Hinzu kommt, dass mittlerweile eine ganze Generation herangewachsen ist, die in den direkten Kontakt mit Autoren und deren Literatur erleben konnte. Literatur ist für sie selbstverständlicher geworden. Deshalb kann ich jetzt allmählich anfangen, manches in jüngere Hände zu geben. Es gibt einige junge Menschen, denen ich den Leselenz nicht mehr erklären muss: 20 Jahre sprechen für sich.

Die Fragen stellte Christina Kornfeld

INFO

Der Leselenz 2017 hat von 5. Juli bis 14. Juli,stattgefunden. Er stand unter dem Motto "Metropolen". Es gab Ausstellungen zu den Städten Sao Paulo, Tokyo, Kaito, New York, Istanbul und Aleppo. Eingeladene Autoren und Künstler waren unter anderem Konstantin Wecker, Anna Weidenholzer Philipp Winkler, Yvonne Owuor, Els Moors, Jan Koneffke und andere. Den Leselenz-Preis der Thumm-Stiftung ging an Finn-Ole Heinrich.