Anitra Eggler stellt fest, dass viele ihren Bildschirm mehr beachten, als die nächsten Menschen in der Umgebung. Foto: Störr Foto: Schwarzwälder-Bote

Anitra Eggler rät Publikum in Vortrag zum "Glück der Unerreichbarkeit" / Studie als Impuls zum Umdenken

Von Christine Störr

Haslach. Wenn sich der Segen der Technik zum Fluch wandelt und man selbst zur "Post-Pest" im E-Mail-Fach seiner Mitmenschen wird, könnte die Digital-Therapie von Anitra Eggler helfen. Die 41-Jährige präsentierte ihr Erste-Hilfe-Programm beim Sinnlos-Surf-Syndrom, dem nahenden E-Mail-Wahnsinn oder der um sich greifenden Handy-Hysterie.

Mit "zuviel Computer – zu wenig küssen" ließe sich die Botschaft des Abends, zu dem die Sparkasse Haslach-Zeill einlud, auf einen kurzen Nenner bringen, wollte man eineinhalb Stunden gute Unterhaltung in wenige Worte fassen.

Sparkassenchef Mathias Wangler hatte schon in seiner Begrüßung darauf hingewiesen: "Man empfängt und sendet immer mehr Informationen mit immer höherer Geschwindigkeit – aber mit immer weniger Wert." Dabei solle die digitale Technik eigentlich den täglichen Stress verringern, die Produktivität und Effizienz steigern und keine wertvolle Zeit für Wesentliches im Beruf und im Leben rauben. Die anschließende Blitztherapie Egglers verspreche – bei sofortiger Wirkung – mehr effektive Lebenszeit.

Diese begann dann erst einmal mit der Anamnese des Publikums, wie reif die Gäste für die Therapie wären. Die erste Erkenntnis lautete: "Wer heute noch nicht geküsst hat, hat garantiert schon E-Mails gelöscht!" Eine Studie habe bei Anitra Eggler das entscheidende Umdenken im Umgang mit den digitalen Medien ausgelöst. Die Studie besagte, dass ein heute 70-jähriger Mensch 23 Jahre seines Lebens mit Schlafen verbracht hat, acht Jahre mit dem Bedienen des Handys, sich sechs Jahre im Internet aufhielt, acht ganze Monate lang E-Mails löschte – und nur 14 Tage küsste. "Ich ahnte, dass bei mir die Bilanz nicht gut aussehen würde."

Die Technologie an sich könne gar nichts dafür, es komme einfach darauf an, was der "Homo connectus" – respektive der Mensch – daraus mache. Der Leidensdruck durch die ständige Erreichbarkeit wachse solange, bis der Stecker gezogen werde. "Mittlerweile beachten viele ihren Bildschirm mehr, als die nächsten Menschen in der Umgebung, die er eigentlich liebt", so Eggler.

Hinzu käme die "Zuvielisation", bei der die Festplatte im Gehirn nicht mehr defragmentiert würde. "Wir schalten gar nicht mehr richtig ab!" Dadurch lebe und arbeite man wie ein Marathonläufer, dem alle elf Minuten der Schuh aufgehe. Irgendwann erreiche man zwar sein Ziel, aber sehr viel langsamer und aufwendiger.

Aus der Dauerablenkung durch ständig eingehende Nachrichten am Handy oder Computer habe sich mittlerweile sogar ein neues Krankheitsbild entwickelt, das ADT oder "Attention Deficit Trait". Damit werde die Unfähigkeit zur Konzentration und die Notwendigkeit der Ablenkung beschrieben. Doch: "Wer alles macht, macht nichts mehr richtig", sagte Eggler. Wieder mal abschalten sei das Gebot – auf allen Ebenen. Das Motto: "Handy aus, Leben an" sei am Anfang ganz schlimm zu ertragen, weil man das Gefühl habe, etwas furchtbar Wichtiges zu verpassen. Doch dann stelle sich "das Glück der Unerreichbarkeit" ein. Weniger sei mehr, und echte Freunde durch nichts zu ersetzen.