Rúnar Sigtryggsson steht vor seiner zweiten Saison mit dem HBW Balingen-Weilstetten. Foto: Eibner

Handball: Trainer Rúnar Sigtryggsson weiß um Risiken des Umbruchs und neuer Spielphilosophie. Mit Interview

Die Mission Wiederaufstieg beginnt für den Handball-Zweitligisten HBW Balingen-Weilstetten am Samstag 26. August, mit dem Heimspiel gegen Altmeister TuSEM Essen (Sparkassen-Arena Balingen, 19 Uhr). Trainer Rúnar Sigtryggsson hat in der Vorbereitung nicht nur einen personellen Umbruch zu bewältigen, sondern impft dem Team eine neue Spielphilosophie ein. Der Isländer äußert sich zum Staus quo und blickt schon mal auf die kommenden Wochen voraus.

Herr Sigtryggsson, Sie haben mit dem HBW einiges vor. Welchen Handball wollen Sie denn in der kommenden Saison spielen lassen?

Wir setzen auf hohes Tempo. Ich denke, das ist die richtige Philosophie für die Mannschaft. Ich habe mir überlegt, welche Spieler wir zur Verfügung haben und was sich mit ihnen am schnellsten und besten Entwickeln lässt, um erfolgreich zu sein. Wir haben viele Spieler, die sehr schnell auf den Beinen sind, deshalb wollen wir über das Tempo kommen.

Die Mannschaft ist im Durchschnitt deutlich jünger geworden – ein gewagter Schritt?

In der vergangenen Saison war das nicht mehr der Balinger Weg. Jetzt setzen wir diesen Weg, junge Leute aufzubauen und einzusetzen, wieder um. Wir sind ein bisschen, wie der SC Freiburg im Fußball. Es gibt eine oberer Grenze im Budget. In diesem Rahmen haben wir talentierte statt fertige Spieler verpflichtet. Natürlich bringt so ein Umbruch immer ein Risiko mit sich. So etwas kann in beide Richtungen ausschlagen: Dass die Spieler vielleicht noch Zeit brauchen, um stabile Leistungen zu bringen, oder dass sie von großen Klubs weggekauft werden. Aber auch die neue Spielphilosophie birgt ein Risiko.

Sie sagen auch, dass die Mannschaft besser ist als in der vergangenen Saison. Meinen Sie den Charakter des Teams oder seine Fähigkeiten?

Der Zusammenhalt ist besser, der Leistungswille ist größer. Spielerisch ist das nur schwer zu vergleichen. In der vergangenen Saison haben wir langsamer gespielt, hatten im Durchschnitt um die 45 Angriffe pro Spiel. Jetzt sind es knapp über 60. Wetzlar hat auch nicht schneller gespielt, hatte aber eine höhere Erfolgsquote. Die Achse Rückraum-Kreis mit Philipp Weber und Jannik Kohlbacher hat immer geliefert, und die HSG hatte starke Torhüter. Wir hatten keine derart dominanten Spieler und insgesamt die schlechteste Torhüterleistung der 1. Liga.

Haben Sie nun ihren Wunschkader beisammen?

Es sind die Leute hinzugekommen, die wir ausgesucht haben und bereit sind, den Schritt zurück zu den Wurzel mitzumachen. Ich halte sehr viel von den Jungs. Sie sind hungrig und haben Spaß am Spielen. Es ist deutlich einfacher, solche Spieler in die Mannschaft zu integrieren. Das bringt sicher ein gewisses Risiko mit sich. In der vergangenen Saison sind wir mit älteren Spielern ebenfalls ein Risiko eingegangen und eine Erfahrung gemacht, die wir nicht noch einmal machen wollen.

Wie gut setzt Ihre Mannschaft die neue Spielphilosophie denn nach fünf Wochen Vorbereitung um?

Die alten Verhaltensmuster sind noch nicht raus. Sie schleichen sich immer dann noch ein, wenn es nicht gut läuft. Aber wir haben mit dem höheren Tempo gute Erfahrungen gemacht. Wenn wir in den schlechten Phasen am schnellen Spiel festhalten, überstehen wir diese auch schneller. Beim 30:29 gegen den österreichischen Meister HC Hard haben unsere Torhüter kaum mal einen Ball gehalten, über das Tempo haben wir trotzdem gewonnen. Wir müssen darauf achten, dass uns die Frische und der Zug zum Tor nie verloren geht. Denn es ist immer einfacher einen Schritt zurückzumachen als in die Ungewissheit zu gehen.

Sie haben in der Vorbereitung viele Spiele gewonnen. Beim Turnier in Altensteig setzte es gegen MT Melsungen und den ukrainischen Meister Motor Zaporozhye die einzigen Niederlagen. Die aber fielen deutlich aus. Wo liegt die Wahrheit?

Irgendwo dazwischen. In Altensteig haben wir die beiden Spiele im Angriff verkackt, hatten damals allerdings noch keine großen Wechselmöglichkeiten, weil vier unserer Spieler bei der Junioren-Weltmeisterschaft im Einsatz waren. Wir waren zu sehr von Martin Strobel abhängig. Und wer im Angriff Fehler macht, wird dafür bestraft.

Was nehmen Sie sonst aus der Vorbereitung mit?

Dass sich weder einer im Spiel noch im Training verletzt hat. Das haben wir besonders Co-Trainer Ecki Nothdurft zu verdanken. Er hat vor den Einheiten mit den Spielern sehr viel individuell gearbeitet, Stabilisationsübungen gemacht. Es spielt sicher auch eine Rolle, dass unsere Spieler nicht so anfällig sind, wie im vergangenen Jahr. Und wenn man weniger verletzte Spieler hat, kann man die Belastung besser verteilen und so das Risiko minimieren.

In der Vergangenheit waren Sie stets Außenseiter, jetzt sind Sie in fast jedem Spiel der Favorit. Was bedeutet diese neue Rollenverständnis?

Wir werden in zehn Tagen, vielleicht in zwei, drei Wochen wissen, wie wir damit umgehen. Der wichtigste Faktor ist, das unser Kapitän und Spielmacher Martin Strobel damit klar kommt. Und das wird er. In dieser Hinsicht sind trotzdem alle gefordert.

Wie schätzen Sie das Auftaktprogramm mit dem Heimspiel gegen Essen und danach bei Aufsteiger Eintracht Hagen ein?

Das hört sich prinzipiell gut an, da müssen wir durch. Wichtig ist, dass wir schnell auf eine Welle kommen. Aber wir müssen erst in dieser Liga ankommen. Wir haben in der Vorbereitung gegen keinen Zweitligisten gespielt, wissen also auch nicht, wo wir im Vergleich stehen. Wir sind gut beraten, jedes Spiel einzeln anzugehen und nicht auf die Tabelle schauen. Ich mache mir aber keine Sorgen, dass es die Mannschaft zu locker angehen könnte. Sie wird sich voll reinhauen.

An welchen Dingen müssen Sie vor dem Start noch arbeiten?

Die 6:0-Abwehr ist bisher gut gestanden, die 5:1 müssen wir noch verbessern und die Formation finden, die es am besten hinbekommt. Das Dauerthema ist und bleibt, das Tempo und die Zielstrebigkeit zu halten und immer wieder Gas zu geben. Wenn wir so viel trainieren, wie im Moment, ist das schwierig, weil die Spielweise ordentlich Kraft kostet. Das Tempo darf keine Variante sein, sondern es muss das Ding sein. da geht es auch darum, dass die Spieler akzeptieren, Fehler zu machen. Denn die gehören bei dieser Art Handball dazu.

Worin bestehen die großen Unterschiede zwischen der 1. und der 2. Liga?

Grundsätzlich ist die 2. Liga sehr heimstark. Alle Mannschaften holen ihre Punkte zu Hause. Wer aufsteigen will, muss also auswärts punkten. Insgesamt ist alles ein bisschen kleiner – die Hallen, die Körpergrößen der Spieler, die Qualität der Mannschaften. Das gilt aber nicht für Schnelligkeit und Härte. Die meisten Mannschaften haben eine gute erste Sieben, wenn alle verletzungsfrei durchkommen, können sieben Mannschaften um die beiden Aufstiegsplätze mitspielen.

Wen sehen Sie als ihre Hauptkonkurrenten?

Der Bergische HC hat in der Vorbereitung sehr gute Spiele abgeliefert. Als sehr stark schätze ich auch Coburg, den ASV Hamm-Westfalen und auch den VfL Schwartau-Lübeck ein. Schwartau hat eine seit Jahren gewachsene Mannschaft und will wieder nach oben.

 Die Fragen stellte Ulrich Mußler