Rechtsanwältinnen haben Zweifel an Zeitangaben des mutmaßlichen Opfers. Zweites Gutachten.

Hechingen/Haigerloch - Mit dem Glaubhaftigkeitsgutachten wurde am Montag die Verhandlung gegen einen 49-Jährigen wegen sexuellen Missbrauchs seiner Stieftochter fortgesetzt. Die Gutachterin, Psychologin Judith Arnscheid, verwarf dabei die "Falschaussagen-Hypothese", die die Verteidigerinnen Anne Patsch und Jasmin Wanka- Bachmayer aufgestellt hatten.

Für das Verfahren spielt es eine entscheidende Rolle, wann die sexuellen Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr begonnen haben und in welchen Fällen das Mädchen unter 14 Jahre alt war, da es sich dabei um schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes handeln würde.

Die Verteidigung argumentierte vor allem damit, dass das Mädchen die einzelnen Geschehnisse, die sich eigenen Angaben nach in ihrer Kindheit ab einem Alter von elf Jahren abgespielt hatten, zeitlich und manchmal auch räumlich nicht genau zuordnen konnte.

Dies, so die Gutachterin, sei bei so vielen Ereignissen – verhandelt werden 37 Fälle – nicht ungewöhnlich und spreche nicht pauschal gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin. "Was sie aussagt, hat sie erlebt", betonte die Psychologin. In welchem Alter, sei schwer zu sagen, es gebe keine psychologischen Mittel, das herauszufinden. Hätte sie bewusst die Unwahrheit gesagt, als ihre Mutter sie im Dezember 2015 erstmals nach dem Missbrauch gefragt hatte, so hätte sie schon damals wissen müssen, dass Missbrauch eines Kindes weit schwerer wiegt als etwa bei einer 16-Jährigen, argumentierte die Gutachterin.

Die Verteidigung beantragte, ein alternatives Gutachten einzuholen, um zu beweisen, dass die zeitlichen Angaben des Mädchens nicht stimmen. Sie bezeichnete das vorliegende Gutachten als "unbrauchbar", weil es die Hypothese der "teilweise erfundenen Falschaussage hinsichtlich der Zeit" nicht geprüft habe.

Der Angeklagte hatte vor Gericht zugegeben, ein sexuelles Verhältnis mit seiner Stieftochter gehabt zu haben, als diese 17 Jahre alt gewesen sei, nicht aber als sie noch Kind gewesen sei. Sollte dies stimmen, würde die Anklage des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern wegfallen.

Weiter kritisierten die Verteidigerinnen, dass das Gutachten die "Fremdsuggestion durch die Mutter" nicht geprüft habe. Diese habe möglicherweise eine Chance gesehen, ihren Ehemann loszuwerden und vor allem aus der Firma zu werfen und habe deshalb die Tochter gedrängt, den Missbrauch im Kindesalter zu erfinden.

Möglicherweise seien auch Rachegedanken wegen des sexuellen Verhältnisses ihres Ehemannes mit ihrer Tochter im Spiel gewesen. Diesen Aspekt habe das Gutachten ebenfalls nicht berücksichtigt.

Staatsanwalt Markus Engel appellierte ans Gericht, den Antrag abzulehnen. Das Gutachten entspreche den erforderlichen Standards und sei darüber hinaus in so einem Fall nicht einmal zwingend notwendig. Das Gericht dürfe sich eigene Sachkunde zutrauen, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen. "Die Sache ist entscheidungsreif, auch wenn das der Verteidigung nicht gefällt", so Engel. Der Vertreter der Nebenklage schloss sich dieser Auffassung an.

Der Vorsitzende Richter Hannes Breucker wird die Entscheidung über den Antrag am Mittwoch, 8. Februar, um 9 Uhr bekannt geben. Wird der Antrag abgelehnt, wird an diesem Tag auch plädiert und am 9. Februar das Urteil verkündet. Sollte ein zweites Gutachten eingeholt werden, wird sich das Verfahren wohl noch einige Zeit hinziehen.