Pro Auto braucht Experte Volker Birkenhauer, um jedes Auto genau auf Hagelschäden zu untersuchen. Foto: Buck

Dunkle Gewitterwolken brauen sich am Himmel zusammen, dann kommt der Hagel. Viele Autos zieht das arg in Mitleidenschaft. Versicherer wickeln das meist vor Ort mit einer Hagelaktion ab. Wir waren in Neubulach exklusiv dabei.

Neubulach - Eine Halle im Neubulacher Gewerbegebiet in Oberhaugstett. Darin warten Volker Birkenhauer, sein Kollege Thomas Clemens und Dominko Cobic auf Kundschaft. Denn der hat es bereits im August sprichwörtlich die Stimmung verhagelt – genauer ihre draußen geparkten Autos. 90 Fahrzeuge hat das Unwetter im Sommer teils böse verbeult.

Jetzt schleust die Württembergische Versicherung in wenigen Tagen sämtliche Wagen im Rahmen einer Hagelaktion durch, begutachtet den Schaden und erstellt ein Gutachten. "Jedes Fahrzeug wird komplett angeschaut, um jede Delle zu finden", erklärt Cobic. Er ist vom Hagelschadeninstandsetzer HPI aus Gärtringen und macht bei erwünschter Reparatur direkt einen Werkstatttermin mit den Betroffenen aus.

Zwei Methoden bei Dellenbeseitigung

Zwei Methoden unterscheidet der Experte bei der Dellenbeseitigung: Entweder wird die Delle mit Hebel- und Drückwerkzeugen vorsichtig herausgehebelt oder aber herausgezogen mit Hilfe eines Klebepunktes. Eines dieser Verfahren muss bei jeder einzelnen Delle angewendet werden – was wiederum verständlich macht, weshalb Hagelschäden in der Regel so exorbitant teuer sind. Manchmal, wenn ein Bauteil zu sehr beschädigt ist, bleibt auch nur noch der Austausch übrig.

Doch zurück zu Birkenhauer: Bei ihm fährt ein silberner Opel Corsa vor. Das Rüsselsheimer Gefährt stand in Neubulach einfach draußen ohne Überdachung, erklärt der Fahrer, der aber nicht namentlich genannt werden will.

Birkenhauer umrundet den Wagen. "Ich verschaffe mir erstmal einen Überblick, um mögliche Altschäden zu erkennen", sagt er. Dann holt er eine schwarz-weiß-gestreiftes Folie hervor, die rund aufgespannt ist – ein sogenannter Dellenreflektor. Der Trick hinter dem unscheinbar wirkenden Hilfsmittel: Die Streifen des Reflektors werden von der Karosserie des Fahrzeuges widergespiegelt. Verformungen oder Verzerrungen der Streifen im Spiegelbild werden sichtbar – und so lassen sich die Hageleinschläge besser erkennen.

"Was denken Sie, wie viele Dellen da drauf sind?", fragt Birkenhauer den Pressevertreter und deutet auf die Motorhaube des silbernen Kleinwagens. Im Licht lassen sich erste Dellen klar erkennen, "um die 40", fällt die Schätzung aus. Dann fängt der Gutachter an zu zählen. Am Ende kommt Birkenhauer auf 77 Einschläge – allein auf der Motorhaube. Die durschnittliche Größe liegt bei 20 Millimetern.

Der Wagen ist mit vielen kleinen Dellen übersehen, so der Experte der Versicherung. Auf dem leicht hervorstehenden Dachende – ein eigentlich kleines Bauteil – zählt Birkenhauer 27 Dellen. Danach kommt für die Seiten des Fahrzeugs eine mit Autobatterie betriebene Neonlicht-Lampe zum Einsatz. Mehr Licht, mehr Sicht, so die Devise. Am Ende sind es mehr als 150 Treffer, die der Corsa abbekommen hat. "Das ist ein Durchschnittsschaden", kommentiert Birkenhauer. Auf 2500 bis 3500 Euro taxiert er die Reparaturkosten. Jetzt hat der Besitzer die Möglichkeit, den Schaden beseitigen oder aber sich das Geld auszahlen zu lassen.

Kollegen aus Köln unterstützen vor Ort

Nebenan erwischt es einen VW Transporter übler – 13 000 Euro hat der Hagel an Schaden angerichtet, sagt Birkenhauers Kollege Clemens. Die beiden sind übrigens extra aus Köln angereist, um im Schwarzwald die Autos der Versicherten zu begutachten. "Es hat hier teilweise massiv gehagelt", weiß Birkenhauer mit Blick auf den ganzen Südwesten. Deshalb unterstütze man die Kollegen vor Ort, um der Flut an verbeulten Vehikeln Herr zu werden.

Dass es gerade im Südwesten der Republik auffällig viele Hagelschäden gibt, liegt wohl auch am Gesamtwetter, hat jedenfalls der Deutsche Wetterdienst (DWD) beobachtet. "Baden-Württemberg (inklusive des Bodensees) ist das Bundesland mit der höchsten Anzahl an Hageltagen", weiß Andreas Becker. Allerdings sei die "Datenlage beim Thema Hagel leider nicht wirklich gut", ergänzt DWD-Sprecher Uwe Kirsche auf Anfrage unserer Redaktion. Allerdings lässt sich aus den bisher erhobenen Daten folgendes herauslesen, sagt Wetterguru Becker: "Höhenrücken der Mittelgebirge die entlang der typischen Zugrichtung von Gewittern von West-Südwest nach Ost-Nordost ausgerichtet sind, wie der Taunus oder die Schwäbische Alb, scheinen begünstigend für das Auftreten von Hagel zu sein."

Das wiederum lässt erahnen, weshalb Birkenhauer und Clemens aus dem Rheinland in den Nordschwarzwald kommen müssen. Einfach, weil es in hiesigen Gefilden statistisch betrachtet mehr hagelt.

Und in Zukunft könnte das noch mehr werden, glaubt man dem Allgemeinen Deutschen Automobilclub ADAC. Der Leiter Mobilität und Technik des ADAC Württemberg, Christian Schäfer, betont zum Thema Hagelschäden: "Studien zeigen schon, dass Hagel wegen des Klimawandels zunimmt." Mitglieder des Clubs meldeten laut Schäfer aber keine wirklichen Probleme bei der Abwicklung mit ihren Versicherungen – von teils längeren Wartezeiten wegen Engpässen in Werkstätten einmal abgesehen. Im Übrigen bieten viele solche Hagelaktionen wie jetzt die Württembergische in Neubulach an. Das sei Usus, betont Schäfer vom ADAC.

Reguliert wird ein Hagelschaden ohnehin von jeder Kaskoversicherung. Dabei laufen für die Versicherer am Ende des Tages, oder besser am Ende der Hagelsaison, beträchtliche Summen auf. "In den zurückliegenden Jahren hat die Württembergische in der Regel jeweils zwischen 5000 und 10 000 Fahrzeuge nach Hagelschlag begutachtet und hierbei pro Jahr Hagelschäden im zweistelligen Millionenbereich reguliert", teilt Dörte Löchner von der Versicherung mit.

Interessantes Detail: Mehr als die Hälfte der Geschädigten lassen sich das Geld auszahlen und verzichten auf eine Reparatur.

Der Corsa-Fahrer aus Neubulach ist sich da noch nicht so sicher. Er überlege sich noch, was er tue, meint er. Das Schadensgutachten bekommt er von Birkenhauer jedenfalls direkt mitgegeben. Kaum ist der Corsa vom Hof, fährt auch schon der nächste zerhagelte Wagen vor. Für Birkenhauer und Clemens geht es quasi im Akkord – 45 Minuten sind pro Termin veranschlagt. Bis zu neun Fahrzeuge beäugt jeder Gutachter pro Tag. Danach geht es für die beiden wieder zurück ins Rheinland – zumindest so lange, bis der nächste Hagelschauer über Neubulach zieht und weitere Autos mit Dellen überzieht.

Info: Quick-Guide Hagelschaden

- Was tun, wenn mein Auto zerhagelt wurde?

Erst einmal Ruhe bewahren. Ist Ihr Auto kaskoversichert, reguliert den Schaden die Versicherung. Und das auch noch ohne Verlust der Schadensfreiheitsklasse, erklärt die Württembergische Versicherung.

- Wie erkennt man einen Hagelschaden überhaupt?

Nicht unbedingt in der Sonne, da diese zu sehr spiegelt. Eine beleuchtete Garage ist ideal, um zumindest große Einschläge mit dem bloßen Auge zu erkennen. Details müssen dann Gutachter mit geschulten Blick beurteilen.

- Wie läuft die Regulierung ab?

Im Vorfeld einer sogenannten "Hagelaktion" werden mit geschädigten Kunden feste Termine ausgemacht, bei denen Sachverständige die Hagelschäden begutachten. Im Anschluss daran gibt es ein Schadensgutachten.

- Reparieren oder Geld auszahlen lassen?

Das liegt bei jedem Einzelnen. Zu beachtende Faktoren sind hier: Alter des Wagens, Leasing oder nicht, Umfang des Hagelschadens, Verfügbarkeit von Reparaturwerkstätten.

-  Wie wird im Zweifel repariert?

Hier wird die "sanfte Reparaturmethode" genutzt: Dellen werden herausgedrückt oder herausgezogen. Das erspart eine Neulackierung, alle Fahrzeugteile bleiben im Original erhalten. Ausnahme: Ein Hagelkorn trifft auf die Kante eines Karosserieteils und lässt den Lack aufbrechen. Das muss nachlackiert werden, um Rost zu verhindern.