Vortrag: Angehende Doktorantin spricht im Kunstmuseum über Einflüsse und Vorbilder der Fotografie von Alfred Stieglitz

Die Kunsthistorikerin Chiara Seidl untersucht in ihrer Dissertation Einflüsse und Vorbilder in der Entwicklung der künstlerischen Fotografie am Beispiel von Alfred Stieglitz. Ihre Erkenntnisse stellte sie am Donnerstag vor.

Gutach. Die Gutacher Künstlerkolonie spielte nach Ansicht Seidls eine größere Rolle in dessen Frühwerk als bisher in der Forschung honoriert wird. In ihrem Vortrag im Kunstmuseum Hasemann-Liebich teilte die Kunsthistorikerin ihre Untersuchung mit einem interessierteren Publikum.

Stieglitz kam als 17-jähriger in die Gutacher Künstlerkolonie und lernte Wilhelm Hasemann kennen. Dieser fungierte als Kunstlehrer für den Vater von Stieglitz, Edward, einem vermögenden Geschäftsmann und begeistertem Hobbymaler.

Zwischen den beiden Männern entstand eine enge Bindung und wie Seidl ausführte, gewährte Edward Stieglitz nach nur einem Jahr Bekanntschaft dem Gutacher Maler einen großzügigen Kredit für den Bau seines Ateliers. "Einem Zitat ist zu entnehmen, dass Hasemann der einzige Künstler war, der seine Schulden zurückzahlte", verwies Seidl auf eine Textstelle.

Hasemann konnte in dem Atelier seine Kunst auf eine andere Ebene heben und Alfred Stieglitz lebte als junger Mann in einer kommunikativen und produktiven Umgebung. "Die Eröffnung seiner Galerie in New York 1905 hat dieses Gefühl als Ort einer Gemeinschaft nachempfunden", glaubt die Kunsthistorikerin. Dort wurden neben avantgardistischer Fotografie auch Werke von unter anderem Pablo Picasso und Paul Cézanne gezeigt und damit der europäischen Moderne der Weg in den USA bereitet.

1894 kam der Künstler zum wichtigsten Besuch

Vor dem Hintergrund des damals herrschenden Zeitgeistes der Industrialisierung war es den Künstlern ein Anliegen, auf einer institutionellen Ebene die Heimatliebe zu erhalten, lokale Bräuche zu studieren und beispielsweise die Textilkunst der Trachten zu erhalten. "Diese organisatorische und künstlerische Arbeit kam Gutach zugute", stellte Seidl fest.

Stieglitz besuchte Gutach mehrmals. Seinen Aufenthalt 1894 aber bewertet die Kunsthistorikerin als am wichtigsten. "Er war bereits ein etablierter Fotograf und reiste mit seiner ersten Ehefrau an", so Seidl. In sieben Tagen entstanden etwa 20 Aufnahmen, die Stieglitz ein ganzes Leben lang begeisterten. Zwar waren sie kompositorisch sehr unterschiedlich, die motivische Auswahl zeige aber große Gemeinsamkeiten mit den Werken Hasemanns.

Stieglitz habe später seine Künstlerfreunde dazu animiert, Gutach zu besuchen: "Die Leute dort sind sehr freundlich und gerne bereit, sich fotografieren zu lassen".

Daraus schlussfolgert Seidl, dass Stieglitz seine Werke inszeniert hat, auch wenn das Sujet flüchtig und leicht wie eine Momentaufnahme wahrgenommen wird. Ohne den Verdienst von Stieglitz als herausragenden Fotografen in Frage stellen zu wollen, möchte Seidl herausarbeiten, dass das Oevre des Künstlers sich in die Kunstströmungen jener Zeit einbettete und vor allem die frühen Jahre einer neuen Betrachtung unterzogen werden sollte.

Mitte des kommenden Jahres hofft die Kunsthistorikerin, ihre Dissertation abschließen zu können.