Der Aufstand der Geislingen Frauen 1941. Foto: Amann

Band "Mut bewiesen" der Landeszentrale für politische Bildung. In Geislingen protestierten Frauen gegen NS-Regime. 

Geislingen/Dornhan - "Man hat unsere Frauen ins Gesicht geschlagen, bis sie aus dem Munde bluteten", schreibt Augenzeugin Frida Straub. "Die Beamten des Überfallkommandos haben die Geislinger Frauen auf schändlichste Weise behandelt." Als die Geheime Staatspolizei (Gestapo) im Dezember 1941 auf dem Rathausplatz des schwäbischen 2000-Seelen-Dorfs eintrifft, macht sie kurzen Prozess: Die Gestapo knüppelt die gut 200 Mütter brutal nieder. Wochen später beschwert sich Frida Straub in einem Brief beim württembergischen Innenminister über die Willkür der Behörden.

Gewalt, mit der die Nationalsozialisten zu dieser Zeit halb Europa unterdrücken, sollte auch die Bevölkerung in Deutschland im Würgegriff halten. Doch es gibt auch mutige und charakterstarke Menschen, die ihrem Ärger darüber Luft machen.

Diesen besonderen Schlag thematisiert der neue Sammelband "Mut bewiesen" der Landeszentrale für politische Bildung. Darin enthalten ist auch ein Beitrag über den Protest der Mütter in Geislingen im heutigen Zollernalbkreis.

Wie erschrocken sind sie, als sie ihre Kleinsten im Kindergarten abgeben wollen: Plötzlich nehmen linientreue Mitarbeiterinnen der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) die Kinder in Empfang. Sie sollen den Nachwuchs nicht mehr katholisch erziehen, sondern die Knirpse zu folgsamen Nationalsozialisten aufziehen. Die "braunen Schwestern" haben die Macht im Kindergarten übernommen, während sich die katholischen Vinzentinerinnen am Nachmittag des 1. Dezembers 1941 mit einer fristlosen Entlassung abfinden müssen, ist im Sammelband weiter zu lesen.

Wie sich viel später herausstellt, ist diese Machtübernahme im Kindergarten von langer Hand geplant, aber die Stellen in der Kommunalverwaltung haben die Pläne geschickt verheimlicht. Dass Nazi-Ideologen als Erzieherinnen eingesetzt werden, ist dagegen nicht außergewöhnlich, zumal es andernorts in Deutschland keine nennenswerten Proteste gegen das neue Personal gibt. Doch in den Schwäbinnen aus Geislingen kocht die Wut.

Sie wehren sich mit Boykott. Die Mütter bringen ihre Kleinen nicht mehr in den Kindergarten. Und das zeigt bald Wirkung: Nur ein einziges Kind wird der zweifelhaften Obhut der Nazi-Vollstrecker ausgeliefert.

Die Geislinger Frauen versammeln sich nach dem Mittagessen des 1. Dezembers vor dem Rathaus und fordern: Die "braunen Schwestern" sollen raus, die Ordensschwestern rein! Es kommt zu tumultartigen Szenen, die männlichen Beamten nennen sie "Drückeberger", weil sie nicht wie ihre Väter und Ehemänner an der Front Kopf und Kragen riskieren.

Die Mütter sammeln Unterschriften, überbringen diese persönlich dem NSV-Kreisleiter in Balingen, und über die Nacht zum 2. Dezember bewachen sie das Schwesternhaus in Geislingen: Sie wollen verhindern, dass die Nonnen gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen.

Ein eisiger Wind wehte über dem Rathausvorplatz, als der Protest in die zweite und entscheidende Runde geht. Wie ein Lauffeuer hat sich die Aktion der Frauen unter den Dorfbewohnern herumgesprochen. Immer mehr Teilnehmerinnen schließen sich dieser örtlichen Bewegung an, legen eigens ihre Arbeit nieder. Aus den wenigen Dutzend wird so eine Macht von rund 200 Demonstrantinnen.

Das Rathaus informierte den Balinger Landrat. Und der reagiert schroff: Er organisiert ein Überfallkommando, Landjäger aus Balingen und Gestapo aus Oberndorf. "Ihr Weiber, geht heim sonst ergeht es euch schlecht!", soll ein Polizist drohend gerufen haben. Doch die Frauen stellen sich eisern gegen den kalten Wind, der ihnen entgegenbläst. Die Stimmung entlud sich in einem brutalen Sturm aus Gewalt, der als "Geislinger Weiberschlacht" in die lokalen Geschichtsbücher eingegangen ist: Die kräftigen Männer schlugen die Frauen, bis sie bluteten, traten sie, demütigten sie öffentlich. Danach sperrt die Polizei drei Frauen tagelang ins Gefängnis, und alle in der Unterschriftenliste werden verwarnt.

Aufgeben ist für die Frauen jedoch keine Option: "Weiberschlacht" schrieb Straub in ihren Wutbrief an den württembergischen Innenminister. Den Boykott halten die Geislinger bis Kriegsende aufrecht – und das, obwohl das Regime nicht nachlassend Druck ausübt; etwa, indem es staatliche Vergünstigungen ersatzlos streicht. Bis 1945 besuchen meist nie mehr als etwa acht Kinder die vom NSV übernommene Einrichtung. Nach Kriegsende kommen die Schwestern zurück und die Räume füllen sich schlagartig mit rund 170 Buben und Mädchen.

Anton Reinhardt aus Weiden: geflüchtet, gefasst und getötet

Die Geschichte aus Geislingen wird während der Wirtschaftswunderzeit in der Öffentlichkeit bald vergessen. Lebende Augenzeugen gibt es heute kaum noch. Erst 2011 arbeiten Ehrenamtliche und Rathausmitarbeiter die Ereignisse von 1941 auf. Ergebnis ist eine Broschüre mit rund 70 Seiten, deren Darstellung der Beitrag im Sammelband "Mut bewiesen" weitgehend folgt.

Ein anderes im Buch beschriebenes und kaum bekanntes Schicksal ist das Leben Anton Reinhardts aus Weiden im Kreis Rottweil. Den Sohn einer Sinti klassifizierte die "Rassenbiologische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle" als "Zigeunermischling". Folge sollte seine Sterilisation sein. Weigert er sich, muss er ins Konzentrationslager. Er flüchtet zu Fuß vom Krankenhaus Waldshut bis nach Koblenz, überquert dort die Grenze zur Schweiz – und zwar schwimmend durch den Rhein. Eidgenössische Polizisten stöbern ihn auf, nehmen ihn fest wegen "illegalem Grenzübertritt". Als Motiv für seine Flucht gibt er an, sich der Einberufung zur Wehrmacht entziehen zu wollen. Er hat angenommen, als Militärflüchtling bessere Chancen auf Asyl zu haben.

Doch 1944 entscheiden die Schweizer anders: Reinhardt muss zurück. An der Grenze zum Elsass verlässt er die Schweiz, Ende März greifen ihn Einheiten des Volkssturms bei Bad Rippoldsau im Schwarzwald auf. Ein Standgericht verurteilt den 17-Jährigen wenig später zum Tode. Ein Genhickschuss soll ihn in einem nahen Walstück töten, nachdem er mit einem Spaten sein eigens Grab ausgehoben hat.

Augenzeugen berichten, er habe nach seiner Mutter geschrien, auch seine letzten Worte in der Sekunde vor seinem gewaltsamen Tot sind überliefert: "Ich wünsche euch eine gute Gesundheit und ein langes Leben. Gute Nacht."