Ort des Angriffs auf einen Vollzugsbeamten war die JVA Rottenburg. (Archivfoto) Foto: Spotts

Tatort ist die Justizvollzugsanstalt Rottenburg. Ein Häftling übergießt einen Vollzugsangestellten mit 200 Grad heißem Öl. Das Opfer erleidet schwerste Verbrennungen. Jetzt steht der Beschuldigte vor dem Tübinger Landgericht – er wirkt apathisch.

Rottenburg/Tübingen - Was sich genau am 13. September 2021 in der Gemeinschaftsküche des Rottenburger Gefängnisses zugetragen hat, versucht die Anklage in groben Zügen nachzuzeichnen. Zunächst habe der Beschuldigte auf einem Herd das Öl erhitzt. Ohne ersichtlichen Grund und ohne Vorwarnung sei er darauf zu seinem Opfer getreten – es habe keine Chance gehabt, dem Angriff auszuweichen. Das Öl traf das Opfer vor allem am Kopf, um die Augen und am Ohr, insgesamt habe der Mann auf acht Prozent der Körperoberfläche schwerste Verbrennungen. Als das Opfer vor Schmerzen laut aufschrie, seien mehrere Beamte hinzugeeilt. Der Angeklagte habe sich energisch gewehrt – und einem Beamten in den Oberschenkel gebissen. Soweit die Tatbeschreibung, die offizielle Anklage lautet auf schwere Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung sowie vorsätzliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.

Fußfesseln und schwere Handschellen

Der Beschuldigte ist 31 Jahre alt, ein körperlich massiger Mann, groß und deutlich übergewichtig, gekleidet in einem weinroten Trainingsanzug. Er trägt Fußfesseln und schwere Handschellen, während der gesamten Verhandlung stehen zwei Beamte dicht hinter ihm. Der Mann kommt aus dem westafrikanischen Gambia, ein Dolmetscher übersetzt seine Aussagen aus dem Englischen. Ob er denn etwas zu der Anklage sagen wolle, fragt ihn Armin Ernst, vorsitzender Richter am Tübinger Landgericht. "Alles, was gesagt wurde, trifft zu, ich bitte um Vergebung", antwortet der Angeklagte. Das sei alles, was er zu sagen habe, auch die Antworten auf weitere Fragen fallen kurz und kryptisch aus, immer wieder wiederholt er das Eingeständnis der Tat und die Bitte um Vergebung – doch seine Antworten wirken seltsam mechanisch, die Fragen scheinen ihm geradezu lästig, der Mann auf der Anklagebank wirkt apathisch. Mehrfach macht er deutlich, dass er die Verhandlungen so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte. "Ich möchte es gerne bei diesem einen Termin belassen, ich möchte die Zeit des Gerichts nicht verschwenden", übersetzt der Dolmetscher.

Seltsame Antworten

Seltsam auch, wie der Angeklagte auf eine Frage der Verteidigung reagiert. Ob er denn das Öl gezielt auf den Kopf des Opfers gegossen habe oder eher ohne genaues Ziel auf den Körper? Die Antwort könnte entscheidend sein für das Urteil und das Ausmaß einer Strafe – doch die Antwort fällt nichtssagend aus. "Was berichtet wurde, ist auch das, was geschehen ist", übersetzt der Dolmetscher. Auch Richter Ernst ist über die Antwort verwundert, fragt den Beschuldigten, ob er denn die Frage verstanden habe. Ob er denn einen Grund für seine Tat gehabt habe? Antwort: "Ich hatte keinen Grund, ich bitte um Verzeihung." Ob er denn damit gerechnet habe, das sein Opfer stirbt, will Richter Ernst wissen? "Dazu kann ich nichts sagen", so der 31 Jahre alte Mann. Während er spricht, ist sein Blick leer, er zeigt keinerlei Gefühlsregung – die Antworten klingen so, als habe der Angeklagte innerlich bereits mit dem Prozess abgeschlossen.

Sein Gesicht spricht Bände

Dann kommt das Opfer zu Wort. Doch der junge Mann braucht nicht viele Worte, um sein Leiden deutlich zu machen. Sein Gesicht spricht Bände, fast ein Jahr nach der Tat sind die Folgen der Verbrennungen und der Operationen unübersehbar. "Er schüttete die Kanne Öl über mich", berichtet das Opfer. Der Täter habe dabei kein Wort gesagt. "Das Öl ist am Kopf, am Hals, am Arm und an der Brust und am Rücken runtergelaufen. Dann habe ich laut aufgeschrien." Die Behandlung, die Operationen, die Hauttransplantationen seien eine Tortur gewesen. "Bei jedem Verbandswechsel war es mir, als würde ich bei lebendigen Leibe gehäutet werden." Schmerzmittel hätten kaum oder nicht immer geholfen. Als die Tat geschah, sei er noch in der Ausbildung gewesen, berichtet der junge Mann, die verzögere sich nun, er wolle sie aber fortsetzen. Die Freundin des Opfers berichtet zudem über die psychischen Folgen der Verbrennungen. "Er geht nicht mehr gerne raus", auch, weil ihn die Leute anguckten. Gerade im Sommer sei es schwierig, seine Haut vertrage keine Sonne mehr. "Er zieht sich zurück."

Langes Vorstrafenregister

Das Vorstrafenregister des Angeklagten ist lang, es gibt insgesamt acht Eintragungen, Diebstahl, Einbruch, Körperverletzung. Zunächst gab es Geldstrafen, dann Haftstrafen, später verletzte er einen Mithäftling mit einer Spiegelscherbe. Über seine Herkunft und sein Leben im afrikanischen Gambia will der Angeklagte nicht sprechen, es heißt, 1995 sei er über Libyen und Italien nach Deutschland gekommen. Ein Asylantrag sei abgelehnt worden. Gegen Ende des ersten Verhandlungstages legt der Angeklagte den Kopfhörer beiseite, so dass er die Übersetzungen des Dolmetschers nicht mehr hören kann. Nächste Woche geht der Prozess weiter, vermutlich mit einem Urteil.