Bus und Bahn sind zeitlich nicht immer aufeinander abgestimmt. Da hilft auch der beste Fahrplan nicht. Foto: Klormann

Schülerin wartet täglich rund zwei Stunden auf Bus und Bahn. Vertaktung mit S-Bahn ist Teil des Problems. Mit Kommentar.

Gechingen/Calw/Nagold - Etliche Gemeinden haben Bürgerautos. Der Rufbus Centro erweitert permanent sein Einzugsgebiet. Die Hessebahn in Calw ist zum Greifen nahe – und noch immer gibt es Kritiker, die andeuten, dass die Mobilität im ländlichen Raum alles andere als optimal sei. Die Schülerin Matilda Mörk würde dieser Aussage wahrscheinlich zustimmen.

Es ist 6.01 Uhr morgens, an einem kalten Dienstag im Dezember. Matilda steht in Gechingen an der Haltestelle »Im Gailer« und wartet auf ihren Bus. In Gedanken ist sie bereits in der Schule – doch bis dahin ist es ein weiter Weg.

Denn zunächst muss die 19-Jährige nach Nagold, ins Berufschulzentrum. Dort hat die sie im September eine Ausbildung in Textiltechnik begonnen. »Ein Schnupperjahr«, erzählt Matilda. Besonders interessiert sie sich fürs Nähen. Deshalb entschied sie sich nach dem Abitur für diese Lehre, die zunächst ein Jahr Schule beinhaltet.

Eigentlich eine gute Idee. Doch dummerweise wird diese Ausbildung in ihrer näheren Umgebung nicht angeboten. Nur in Nagold. Dank des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) dürfte das aber doch kein Problem darstellen – sollte man meinen. Die Realität sieht indes anders aus.

Anreisezeit: eine Stunde, 17 Minuten - vier Tage pro Woche

Inzwischen ist es 6.06 Uhr. Matildas Bus ist angekommen. Rund 20 Minuten dauert die Fahrt bis zum Calwer ZOB. Hier steigt sie in die Bahn ein, die sie nach Nagold bringen wird. Doch zunächst einmal ist warten angesagt. Denn der Zug fährt erst um 6.49 Uhr. Um 7.06 Uhr hat sie die Stadt erreicht. Ein Bus befördert die Schülerin um 7.18 Uhr vom Bahnhof zur Schule. Als sie ankommt, zeigt die Uhr 7.23 Uhr. Etwa eine Stunde und 17 Minuten dauert Matildas Anreise – täglich, vier Tage pro Woche.

Doch im Vergleich zu ihrem Heimweg wirkt die Anreise der Schülerin geradezu reibungslos. Denn Inzwischen zeigt die Uhr 12.30 Uhr in Nagold. Matildas Unterricht ist zu Ende. Nun erwartet die Schülerin ein 15-minütiger Fußweg zum Bahnhof. Die Bahn, die um 12.44 Uhr fährt, wird sie nicht erwischen, das weiß die 19-Jährige.

Erneut muss sie warten, bis zur nächsten Abfahrt um 13.14 Uhr. Planmäßige Ankunft in Calw ist um 13.34 Uhr – doch hier steht Matilda bereits vor dem nächsten Problem. Denn der Bus nach Gechingen fährt um 13.32 Uhr ab. Wieder hat sie kaum eine Chance, rechtzeitig anzukommen. Ihre nächste Gelegenheit: 14.32 Uhr. Als die Schülerin zwei Stunden und 17 Minuten nach Schulschluss endlich in Gechingen aussteigt, ist es bereits 14.47 Uhr.

Insgesamt hat Matilda an diesem Tag mehr als zwei Stunden Wartezeit hinter sich gebracht – wie jedes Mal. Pro Monat muss die Schülerin sich deshalb rund 32 Stunden in Geduld üben. Seit März dieses Jahres hat sie sich aus diesem Grund entschlossen, künftig mit dem Auto zur Schule zu fahren. Das wiederum ist natürlich nicht im Sinne des öffentlichen Personennahverkehrs.

Bei der Verkehrgesellschaft Bäderkreis Calw GmbH (VGC) sind Schwierigkeiten solcher Art bereits bekannt. Eine einfache Lösung gibt es bislang aber nicht. »In Calw besteht das Problem, dass der Verkehr von hier aus in alle Richtungen pendelt«, sagt Wolfgang Ziegerer von der VGC. Gerade die Busse, die in Richtung Gechingen fahren, seien beispielsweise auch mit der S-Bahn im Raum Böblingen/Sindelfingen vertaktet. Dadurch entstehe letztlich ein enges Zeitfenster. »Die Unternehmen sind natürlich dennoch immer bestrebt, auch Schulanbindungen anzubieten«, betont Ziegerer. Durch die Vielfalt schulischer Angebote sei das aber nicht immer einfach.

Matilda will ab kommendem Schuljahr übrigens eine Modeschule in Stuttgart besuchen, um zur staatlich anerkannten Modedesignerin und Maßschneiderin zu avancieren. Die Zusage hat sie bereits. Drei Jahre wird diese Ausbildung insgesamt dauern. Und wie wird sie dort hinkommen? »Zu Beginn auf jeden Fall mit der Bahn«, sagt die 19-Jährige und schmunzelt ein wenig. Ihr Vertrauen in öffentliche Verkehrsmittel hat die 19-Jährige also offenbar trotz allem nicht verloren.

Kommenar: Ernüchternd

Von Ralf Klormann

Wer in Gechingen wohnt und mit Bus und Bahn nach Nagold zur Schule fährt, ist übel dran. Das zeigt der Fall der Schülerin Matilda, die monatelang täglich stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen musste. Ein Beispiel für die eingeschränkte Mobilität im ländlichen Raum – das noch ernüchternder wirkt, wenn man sich vor Augen führt, dass Gechingen keineswegs am Ende der Welt zu finden ist. Sondern zwischen Calw, Böblingen/Sindelfingen und Herrenberg. Kaum vorzustellen, wie es andernorts aussehen muss. Wer da noch behauptet, Projekte wie Rufbus, Bürgerauto oder Hessebahn seien unnötig, ist wohl auch kein Freund von Bildungsmöglichkeiten oder Umweltschutz. Denn hierfür braucht es einen guten öffentlichen Nahverkehr. Der Ausbau des ÖPNV sollte deshalb dringend weiterverfolgt werden. Wenn auch nur Stück für Stück. Oder in diesem Kontext: Zug um Zug.