Wer gewinnt im Trainer-Duell? Frankreichs Didier Deschamps (links) und Kroatiens Zlatko Dalic stehen so dicht vor dem ganz großen Ziel. Foto: Montage: Druve

Finale der WM 2018: Frankreichs Stars wollen "diesen Stern!". Wer wird Nachfolger von Weltmeister Deutschland. 

Grande Nation oder kleines Kroatien – im Spiel ihres Lebens wollen Frankreich und der Überraschungsfinalist vom Balkan ihr russisches Sommermärchen krönen.

Aber nur einer kann am Sonntagabend im Moskauer Luschniki-Stadion die Nachfolge des entthronten Titelverteidigers Deutschland antreten und sich in den Party-Marathon stürzen.

"Es ist mir völlig egal wie: Ich will diesen Stern!", sagt Frankreichs Antoine Griezmann vor dem Finale der Fußball-WM mit einem Milliarden-Publikum vor den Fernsehern. "Wir lassen es nicht zu, dass eine andere Mannschaft den Pokal mitnimmt", betont Paul Pogba. Kroatiens Kapitän Luka Modric kontert: "Ein Finale spielt man, um es zu gewinnen. Wir werden 22 Krieger sein."

Denn Kroatien hat in seinem ersten Endspiel überhaupt die einmalige Chance auf eine Revanche de luxe: 1998 beendete die Équipe tricolore den WM-Traum der "Generation Suker" im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Frankreich durch einen 2:1-Sieg. 20 Jahre und sieben Tage später können und wollen die Kroaten nun die Sehnsucht der Franzosen auf den zweiten WM-Triumph nach 1998 zunichte machen. "Jeder erinnert sich in Kroatien an dieses Spiel", sagt Trainer Zlatko Dalic. "Vielleicht hat uns der liebe Gott ja die Möglichkeit gegeben, dieses Ergebnis zurechtzurücken."

Es ist nicht das Finale, das viele vor der WM erwartet hatten, auch wenn Frankreich zum Anwärterkreis gerechnet werden musste. Die ganz hoch gehandelten Nationen fielen tief bei dieser sportlich teilweise verrückten WM in Russland: Titelverteidiger Deutschland raus nach der Gruppenphase. Europameister Portugal raus im Achtelfinale, am gleichen Tag scheiterte auch Vizeweltmeister Argentinien – gegen Frankreich. Rekordweltmeister Brasilien raus im Viertelfinale. Das wieder erstarkte Fußball-Mutterland England – raus im Halbfinale gegen die Kroaten, ebenso wie Geheimfavorit Belgien gegen Frankreich.

Eines eint die ungleichen Finalisten: Sie haben viele Stars, aber der Superstar ist die Mannschaft. Herausragende individuelle Klasse unter anderem bei Spielern wie Griezmann, Pogba, Kylian Mbappé auf der einen und Modric, Mario Mandzukic, Ivan Perisic auf der anderen Seite – gepaart mit taktischer Disziplin, auch wenn die Trainer ebenfalls kaum unterschiedlicher sein könnten. Didier Deschamps, 49 Jahre alter Weltmeister-Kapitän von 1998, Europameister-Kapitän von 2000, zweimaliger Champions-League-Sieger als Spieler. Ehemaliger Trainer des Jahres in Frankreich, weltweit geachtet. Er kann beim Titeltriumph mit Franz Beckenbauer und dem Brasilianer Mario Zagallo gleichziehen – den einzigen, die als Spieler und Trainer die WM-Trophäe eroberten.

Sein Pendant Dalic war bis zur WM ein Nobody als Spieler und Trainer. Die WM 1998 erlebte er als Fan teilweise vor Ort. Den bitteren Geschmack der damaligen Enttäuschung spürt er noch heute. Den Einzug ins Finale gegen die Franzosen genoss der 51-Jährige dann auch im Kroatien-Trikot auf der Pressekonferenz nach dem 2:1-Sieg nach Verlängerung gegen England. "Es ist eine einzigartige Gelegenheit, ein Finale bei einer WM zu spielen. Wir wären nach Uruguay das kleinste Land, das jemals Weltmeister wurde. Lasst uns das Wunder fortsetzen, so lange es geht."

Eine Reise mit dem Wunschziel jedes Fußballers. "Die Worte, um die Gefühle zu beschreiben, gibt es nicht", sagte Ivan Rakitic.

Für Rakitic, für Modric, für alle in den rot-weißen Karos wird es das allergrößte Spiel ihrer bisherigen Karrieren. Genauso wie für alle Franzosen. "Das ist ein Kindheitstraum, der nun wahr wird. Wir sind so nah dran, ihn zu berühren. Das ist das Spiel unseres Lebens. Wir müssen alles geben, um diesen Traum wahr werden zu lassen", sagt Blaise Matuidi.

Dass die Franzosen nicht einmal, die Kroaten aber in jedem ihrer drei K.o.-Spiele in die Verlängerung mussten und einen Tag weniger zur Erholung hatten, sieht Matuidi nicht als Vorteil. Und die Kroaten wähnen sich deswegen nicht im Nachteil. "Im Endspiel holt man die Kraft, woher auch immer", meinte Rakitic. Wille schlägt Körper.

Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic ist jetzt schon aufgeregt: "Ich weiß gar nicht, wie ich das bis Sonntag aushalten soll", wurde sie von der Boulevardzeitung "24sata" am Freitag zitiert. Frankreichs Emmanuel Macron kommt auch nach Moskau. Nach vielen schweren Monaten vor allem durch die Terrorattacken vom November 2015 am Rande des Freundschaftsspiels der Franzosen gegen Deutschland in Paris will die Équipe tricolore die rauschende Titelparty auf den Champs-Elysées perfekt machen. Und nebenbei den Auftrag von Macron erfüllen, der vor der WM gesagt hatte: "Ein Wettkampf ist dann gelungen, wenn er gewonnen wird. Bringt uns zum Träumen."

WM-Bilanz

"Die beste WM überhaupt"

Gianni Infantino reckte breit grinsend den Daumen in die Kameras, bevor er WM-Gastgeber Russland auf das höchste aller Podeste hob.

"Seit ein paar Jahren sagte ich, dass das die beste WM überhaupt sein wird. Und das kann ich heute bestätigen. Es ist die beste WM, die jemals stattgefunden hat", sagte der Fifa-Präsident am Freitag in Moskau.

Im roten Kapuzenjäckchen, das eigentlich nur die freiwilligen Helfer tragen, war Infantino erschienen. Einerseits, um wie sonst auch den nahbaren Gianni zu geben, andererseits, um einer nahezu perfekten Organisation Tribut zu zollen.

Denn die Zahlen sind beeindruckend, das ist nicht von der Hand zu weisen. Wie Infantino mitteilte, lag die Stadionauslastung bei 98 Prozent. Sieben Millionen Fans besuchten die Fanfeste in den Spielorten, während drei Milliarden Menschen die Partien vor dem Fernseher verfolgten. Alleine beim Finale am Sonntag (17 Uhr MESZ/ZDF und Sky) zwischen Frankreich und Kroatien wird eine globale TV-Quote von rund einer Milliarde erwartet.

Russland hat der Fifa ein Produkt geliefert, das sich erstklassig vermarkten ließ. Für die beeindruckende Durchführung gab es vom Schweizer gar ein extra Lob in Landessprache. "Ich möchte den Russen, dem russischen Volk, danken. Spassibo Rossija." Russland, das im Viertelfinale ausgeschieden war, sei eine "echte Fußball-Nation" geworden. "Die Hinterlassenschaft wird Russland an die Spitze stellen, was Fußball anbelangt", sagte Infantino.

Auch vom Debüt des Videobeweises zeigte sich Infantino höchst angetan. "Wir sind sehr zufrieden, dass wir es eingeführt haben", sagte er: "Dank des VAR ist das Spiel gerechter geworden." 19 Überprüfungen habe es laut Infantino in den bisherigen 62 Spielen gegeben, 16 falsche Entscheidungen wurden geändert. "Dieses System ist besser als die Vergangenheit. Es ändert den Fußball nicht, sondern hilft den Schiedsrichtern, bessere Entscheidungen zu treffen", sagte Infantino.

Kritik dahingehend, dass die WM mit vier europäischen Mannschaften (Belgien, England, Frankreich und Kroatien) im Halbfinale zu einem einseitig dominierten Kontinentalwettbewerb verkommen sei, ließ Infantino nicht gelten. Vielmehr freue sich der 48-Jährige über den Finaleinzug der Überraschungsmannschaft aus Kroatien.

"Ich denke nicht, dass Kroatien als Großmacht des europäischen Fußballs gesehen werden kann", sagte er. Außerdem seien die Ergebnisse der übrigen Konföderationen ein Ansporn, zukünftig "mehr zu tun, mehr zu investieren".

Die Zukunft zeichnet sich derweil auch für Infantino deutlich ab. Die WM 2022 wirft ihre Schatten voraus. Am Freitag betonte Infantino erneut, dass für ihn eine Aufstockung der Weltmeisterschaft in vier Jahren auf 48 Teams noch nicht vom Tisch sei. Momentan greift die Aufstockung auf 48 Teams erst bei der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko.

Sport-Platz

Ein schönes Finale, bitte!

von Lorenzo Ligresti

Marcus Rashford, Jesse Lingard und Dele Alli laufen im WM-Halbfinale zu dritt auf das Tor von Danijel Subasic zu – während die Kroaten noch außerhalb des Spielfelds ihr eigenes Tor bejubeln. Ein verzweifelter Versuch der Engländer, einen Irrglauben im Regelbuch auszunutzen. Die Aktion spiegelt die tiefe spielerische Ratlosigkeit der Three Lions wider. Zwei Schüsse auf das kroatische Tor in 120 Minuten – darunter der Treffer per direktem Freistoß. Aus dem Spiel heraus kamen kaum Impulse. Keine Ideen. Dankbar zu verteidigen. Das kommt einem bekannt vor, oder?

Es ist der traurige rote Faden dieser Weltmeisterschaft. Spiele, die einzig von der Spannung und Intensität leben – aber kein schöner Fußball. Lang und breit wurde diskutiert über das Aussterben des Ballbesitzfußballs. Dass Mannschaften wie Spanien oder Deutschland zum Scheitern verdammt waren. Dass sich der Fußball einfach in diese Richtung entwickelt und die Devise sein sollte, sich anzupassen. Aber muss das Ende von Tiki-Taka auch heißen, dass Fußball nicht mehr attraktiv sein kann?

"Anti-Fußball" hat Belgiens Keeper Thibaut Courtois den Franzosen nach dem ersten Halbfinale vorgeworfen. Frankreich setzte nach dem Führungstor komplett auf Mauertaktik und Konter. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Belgien selbst versäumte es nämlich, aus 63,7 Prozent Ballbesitz (!) etwas Zählbares zu machen. Und waren es nicht die Roten Teufel, die sich gegen Japan und Brasilien ins Halbfinale gekontert hatten?

Aber dennoch hat man bislang von einem der größten WM-Favoriten spielerisch mehr erwartet. Sobald der Gegner tief steht und einigermaßen clever verteidigt, wissen selbst "Les Bleus" kaum noch weiter. Gegen Argentinien im Achtelfinale brachten ein Elfmeter, zwei Konter und der Weitschuss von Benjamin Pavard den Erfolg. Gegen Uruguay reichten ein Kopfballtor nach Freistoß und ein Torwartfehler. Und nun erneut die Entscheidung nach ruhendem Ball gegen Belgien. Keine Blitz-Kombinationen, keine erfolgreichen Dribblings, keine atemberaubenden Treffer. Natürlich muss man hier das Argument des Erfolgs gelten lassen. Frankreich steht ja schließlich im Finale, so auch Kroatien. Aber man kann sich schon vorstellen, was das für ein Endspiel wird – nämlich kein fußballerischer Leckerbissen.

Kroatien hat inzwischen insgesamt 100 Kilometer mehr in den Knochen als die Franzosen – der Außenseiter wird also einen Teufel tun, die Initiative in der Partie zu ergreifen. Stattdessen wird man sich auf seine Stärken besinnen, der Équipe Tricolore das Feld überlassen und versuchen, gezielt Nadelstiche zu setzen. Und wie es aussieht, wenn die Franzosen versuchen müssen, das Spiel zu machen, wird den meisten noch schmerzlich in Erinnerung sein.

Der Appell also an Frankreich und Kroatien von den Freunden des gepflegten Fußballs: Bitte durchbrecht den Teufelskreis! Und bietet uns ein Finale, das nicht nur spannend ist, sondern auch schön anzuschauen.