Holger Umbreit (links) und Jörg Schüttauf spielten bei der Lesung einige Szenen nach. Foto: Keck Foto: Schwarzwälder-Bote

Lesung: Jörg Schüttauf und Holger Umbreit fliehen mit dem "Hundertjährigen"

Freudenstadt. Allan Karlsson hat die Schnauze voll. An seinem 100. Geburtstag macht er die Fliege – auf Schleichpfaden weg vom Altenheim. Er pfeift auf die Ehrungen zu seinem Jubiläum und ahnt noch nicht, welch abenteuerliche Welle er damit lostritt. Jonas Jonassons Bestseller mit dem sperrigen Titel "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" aus dem Jahr 2009 war die Vorlage für eine szenische Lesung in Freudenstadt.

Veranstaltet wurde die Lesung von "umbreit Entertainment Hamburg", der Freudenstadt Tourismus und der Arkadenbuchhandlung. Die Schauspieler und Sprecher Jörg Schüttauf und Holger Umbreit erweckten im Gerhard-Hertel-Saal des Kurhauses die Geschichte mit vollem Körpereinsatz zum Leben.

Dass bei der rund eineinhalbstündigen Lesung nur ein kleiner Teil der Handlung zum Tragen kam, lag auf der Hand. Das irrwitzige Road-Movie wäre mit seinen Verästelungen Sache doch für eine ganze Serie.

Schüttauf und Umbreit schafften es im Handumdrehen, das Publikum für sich zu gewinnen mit kleinen Scherzen und Sprüchen. Auch am Ende gaben sie sich außergewöhnlich zugänglich. Hier ein Plausch, dort ein Foto mit den vornehmlich weiblichen Besuchern, die solche Nettigkeiten mit strahlenden Gesichtern quittierten. Wann bietet sich denn schon mal Gelegenheit, mit Fernseh- und Theaterstars auf Tuchfühlung zu gehen?

Im Kühlhaus erfroren

Würde man Münchhausen, Simplizissimus, Schweyk und den Hauptmann von Köpenick in einen Topf werfen und durchrühren, käme so etwas heraus wie Allan Karlsson. Im Grunde wollte der vom prallen Leben Gesättigte nur weg von dieser Schreckschraube namens Alice, die ihn als Pflegerin im Altenheim mit ihrer Penetranz traktiert. Dass er zufällig an einen Koffer mit 50 Millionen Kronen geraten würde und sich in der Folge mit Partnern und Verfolgern herumschlagen muss, war für ihn nicht absehbar.

Aber was passiert, geschieht eben: Beispielsweise, dass einer der Spitzbuben, die das Geld zurückhaben wollen, unbeabsichtigt im Kühlhaus erfriert und ein anderer von einer Elefantenkuh plattgedrückt wird. Das wird als Kollateralschäden eben abgetan. Geld in solcher Masse ist ein ungeheures Lockmittel, und so finden sich Verfolgte und Verfolger in einer Art konzertierter Aktion zusammen, die unter anderem in Saus und Braus auf Bali ihr vorläufiges Ende findet.

Jonas Jonassons Buch besticht mit einem Schreibstil, der sich durch Lakonie und staubtrockenen Humor bis in mitunter unappetitliche Details hinein auszeichnet.

Das Werk entblättert in stetigem Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit Allans höchst wundersame Biografie. Der Protagonist, der sich schon in jungen Jahren durchschlagen muss und sich zum Sprengstoffexperten ausbildet, ist ein Hasardeur. Seine Fähigkeit, mit diebischer Freude Explosionen zu inszenieren, bringt ihn mit den Großen der Weltgeschichte an den abenteuerlichsten Orten zusammen. Sie möchten seine außergewöhnlichen Fertigkeiten für sich und ihre jeweilige Ideologie ausschlachten, ob sie nun Franco, Truman, Churchill oder Stalin heißen.

Skurrile Begegnungen

Besonders skurril ist jene Begegnung mit Vizepräsident Truman und dem Chefphysiker Oppenheimer, bei der Allan, ganz überraschend und ohnehin nur als Charge bei dem hochsensiblen Treffen zugelassen, in einer Nebenbemerkung fallen lässt, wie das Problem der Atomzündung zu lösen sei.

Allans Pfund ist seine naive Aufrichtigkeit, mit der er ein ums andere Mal seine Gegner plättet. Als er nach seiner Odyssee schließlich wieder in Schweden gelandet ist und bei der Verfolgung eines Fuchses sein ganzes Anwesen in die Luft gejagt hat, reicht es den Behörden: Allan muss ins Altenheim, von wo er dann ausbüxt. Das Werk riss schon bald nach seinem Erscheinen die Feuilletonisten zu Lobeshymnen hin. Sie sind nicht übertrieben, denn wer das Buch nach etlichen Stunden amüsanter Lektüre aus der Hand legt, muss zuerst einmal kräftig durchatmen.

Das buch: Jonas Jonasson: "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand", Penguin-Verlag 2017. 432 Seiten broschiert. Zehn Euro.