Industrie 4.0: Digitalisierung betrifft auch fast alle Handwerksberufe / Mehr Service durch neue Techniken

Kreis Freudenstadt. Die Digitalisierung der Wirtschaft betrifft nach der Erwartung von Experten alle Bereiche. Rückt bald auch der Schreiner mit dem Tablet an? Was die Baubranche möglicherweise bald erwartet, darüber sprachen wir mit Thomas Gebhardt. Er ist Berater für Digitalisierung bei der Handwerkskammer Stuttgart.

Herr Gebhardt, ganz allgemein. Was bedeutet Arbeitswelt 4.0 für das Handwerk – und was sind die Folgen für die Handwerker?

4.0 betrifft das Handwerk, die Herausforderungen sind aber etwas anders als in der Industrie. Industrie hat ja viel mit Serienfertigung zu tun. Handwerk ist immer Individualfertigung, das ist seine Stärke. Der Handwerker hat den direkten Zugang zum Kunden, er kann die Kunden besser einbinden. Man spricht heute schon vom Prosumer – ein Kunstwort aus Produkt und Konsument. Das heißt, dass der Kunde mit einbezogen wird in die Planung, um individuelle Gestaltung zu ermöglichen.

Müssen die Handwerker, muss das Handwerk vor der Digitalisierung Angst haben?

Betriebe, die sich nicht digitalisieren und weiter so arbeiten, bekommen Schwierigkeiten. Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern es dient der Innovation und Erhöhung der Wertschöpfung. Ein Beispiel: In einem Elektrobetrieb mit etwa acht bis zehn Monteuren ist eine Person im Büro alles in allem einen Tag mit Planung und Steuerung beschäftigt – bei einer intelligenten Software, die es heute vielfach gibt, dauert das eine Stunde.

Welche Branchen sind besonders stark betroffen?

Zum Beispiel der Bereich Heizung. Die heutigen Heizungen werden immer intelligenter, man spricht von smarter Heizung, die der Kunde selbst mit dem Tablet steuern kann. Zugleich kann der Hersteller aber ebenfalls digital direkt auf die Heizungen zugreifen, Fehler feststellen und Problemlösungen aufzeigen. Der Hersteller analysiert aus der Ferne, was defekt ist und schickt dann den Handwerker als Zuarbeiter vor Ort, etwa um ein Modul auszuwechseln. Innovative Betriebe gehen den Schritt in die Digitalisierung mit und lassen sich nicht verdrängen, sondern bauen sich das Wissen auf. Ähnlich ist es im Elektrogewerbe, die sind von "Smart Home" betroffen. Solaranlage oder Überwachungsanlage sind im "Smart Home" integriert. Doch dazu es braucht den innovativen, digital geschulten Elektrohandwerker, um das zu realisieren.

Gibt es einen Berufszweig, der akut gefährdet ist?

Zum Beispiel das Berufsbild des Zahntechnikers ist bedroht. Bisher war die Produktion von Zahnersatz wie Brücken oder Kronen 100 Prozent Handarbeit. Heute ist der Prozess in großen Teilen computergesteuert. Die Betriebe, die nicht kostengünstig produzieren, werden verschwinden, da die Preise vom Gesundheitswesen vorgegeben werden. Ein weiteres Beispiel sind die Bäcker, die durch voll automatisierte Backstraßen unter Druck kommen.

Gibt es Betriebe, die gar nicht betroffen sind?

Das sind Nischen, beziehungsweise Solitärbetriebe. Mir fällt etwa der Beruf des Sattlers ein. Das ist nach wie vor klassische Handarbeit. Oder der Geigenbauer, auch das ist reine Handarbeit. Und doch lässt der Geigenbauer auch Teile in 3-D-Technik vorbereiten. Aber das ist eher ein sehr kleiner Anteil an der Wertschöpfung.

Sie haben jetzt schon mehrfach die 3-D-Technologie genannt.

3D kommt bereits heute stark in der Konstruktion zum Einsatz. Beim 3-D-Druck wird es noch großes Wachstum geben. Ich sehe aber nicht, dass in absehbarer Zukunft jeder Handwerksbetrieb einen eigenen 3-D-Drucker hat. Nicht zuletzt sind die Geräte recht teuer. Es gibt aber schon heute Dienstleister, die die 3D-Druckdaten übers Internet angeliefert bekommen und dann im Auftrag des Handwerks diese Teile herstellen.

Welche Chancen gibt es?

Ein Vorteil ist einerseits, dass die Kundenbindungen durch schnelle und direkte Kommunikation steigen und andererseits die eigene Wertschöpfung steigt. Grundsätzlich kann der Handwerker seine Dienstleitungen und Produkte digital schneller und kostengünstiger herstellen. In Sachen Planung: Das Handwerk kann dem einzelnen Kunden digital individuelle Angebote machen und präsentieren, im Bad oder Küchenstudio etwa kann der Kunde mit einer VR-Brille seinen künftigen Raum virtuell begehen. Ich denke aber auch an den innovativen Frisör, der ein Foto von seiner Kundin macht und ihr danach an einer App demonstriert, wie sie mit einer neuen Frisur aussieht, und das kann sie natürlich Zuhause auch selbst machen Das ist keine Zukunftsmusik, das ist bereits im Einsatz.

Gefragt ist also der digital geschulte Handwerker – wie sieht es das mit der Ausbildung aus?

Ich denke, wir sind auf dem Weg. Im Elektrogewerbe bekommt der Auszubildende bereits heute eine Einführung für das Smart Home. Im Bereich Heizung, Sanitär, Klima wird etwa das Programmieren von Heizungen gelehrt. Das ist heute schon Praxis an den Berufsschulen. Allerdings gibt es von Beruf zu Beruf Unterschiede. Ein Problem ist mitunter, dass die Ausbildungsordnung den modernen Anforderungen hinterherhinkt.

Sträuben sich Ältere mitunter?

Das ist keine Frage des Alters. Die Handwerker, die ihr ganzes Leben innovativ waren, sind auch noch mit 60 oder 70 innovativ. Und es gibt 30-Jährige, die sagen, das haben schon mein Vater und mein Großvater so gemacht, daher mache ich das auch so.

Hat das Handwerk in Zukunft noch goldenen Boden – oder gerade dann erst recht?

Das Handwerk wird auch weiterhin goldenen Boden haben. Es wird sich sehr stark verändern, aber das Handwerk wird weiterhin Bestand haben. Goldenen Boden werden diejenigen Betriebe haben, die innovativ sind, den Kunden binden und pfiffige Lösungen machen.

Das Berufsbild ändert sich – was hat das für Folgen?

Ich gehe davon aus, dass die Schere immer weiter auseinandergehen wird. Es wird den einfachen Handwerker geben, der nur noch die rechte Hand ist, der häufig durch Digitalisierung praktisch ferngesteuert wird. Der andere, offene und innovative Handwerker benötigt künftig deutlich mehr Wissen und technologisches Know-how. In diese Richtung wird die Reise gehen. Natürlich wird das Arbeiten mit der Hand auch weiterhin notwendig sein, weil irgendwo eben eine Schraube in die Wand muss. Der Geselle von heute muss aber über deutlich mehr technologisches und digitales Wissen als vor zehn Jahren verfügen.

 Die Fragen stellte Peer Meinert

Das Bundeswirtschaftsministerium ist der Überzeugung, dass die Wirtschaft an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution steht. Das Internet kann und soll zunehmend Einzug in Fabriken halten, wo durch Vernetzung die Produktion schneller und effizienter werden soll. Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf Firmen, auf Berufsbilder und Arbeitsplätze in der Region hat, beleuchtet unsere Serie zum Thema.