Herr Stocker, wenn Sie heute an die Ereignisse in Winnenden denken, was empfinden Sie? Foto: Rath

DRK-Chef erinnert sich an den Amoklauf von Winnenden, bei dem er Einsatzleiter war.

Freudenstadt - Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nicht. Sicher, der eigene Geburtstag gehört dazu. Johannes Stocker, Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Freudenstadt, kam an dem Tag zur Welt, als der Mauerbau in Berlin begann. Die Mauer ist weg, aber er ist noch da. Dass man das erleben darf, darauf hätten damals sicher die wenigsten gewettet. Überhaupt, findet Stocker, lebe er in einer spannenden Zeit und hat viele Ereignisse gesehen, die andere nicht erleben können: eine totale Sonnenfinsternis zum Beispiel, eine Jahrtausendwende.

Die Euro-Einführung. Ein Tag, den Johannes Stocker nicht mehr vergisst und den er so nicht wieder erleben möchte, ist der 11. März 2009. Es war der Tag des Amoklaufs von Winnenden. Der 17-jährige Tim Kretschmer erschoss 15 Menschen und zuletzt sich selbst, elf weitere Menschen wurden verletzt. Stocker war Einsatzleiter der Rettungsdienste im Rems-Murr-Kreis. "Der Tag ist in meiner Erinnerung noch sehr lebendig", sagt Stocker.

Die Frage, die ihn fortan beschäftigte: "Wie kann ich mit den Erlebnissen umgehen?" Drei Kollegen aus seiner Mannschaft konnten mit dieser Belastung nicht umgehen, quittierten den Dienst. Johannes Stocker fand einen Weg. Unter anderem schrieb er das Buch "Elf Tage im März", in dem er die Ereignisse von Winnenden praktisch minutiös beschreibt, aus menschlicher Sicht, was vor und hinter den Kulissen geschehen ist, vom ersten Schuss an bis zum Staatsakt. Darüber hinaus hat er sich fachlich mit dem Thema beschäftigt und Lehren aus den Geschehnissen gezogen. Wie koordiniert man 600 Rettungskräfte, die sich vor Ort nicht auskennen, und ohne sie selbst unnötig in Gefahr zu bringen? Er hat Einsatztaktiken entwickelt für die Zusammenarbeit von Rettungsdiensten und Polizei bei solchen "Großlagen", und Pläne für Schulen.

Als Co-Autor von drei Fachbüchern, Vortragsredner und Gastdozent gibt er seine Erfahrungen weiter, etwa an Polizei-Hochschulen. MEKs und die GSG 9 übernahmen die Konzepte. "Es hat sich durch Winnenden viel verändert", sagt Stocker, "zum Positiven." In seiner Freizeit liest der DRK-Chef gerne, spielt Schlagzeug in einer Band und fährt Motorrad – trotz oder gerade weil er als Teil der Besatzung eines Rettungshubschraubers Jahre lang zu schweren Unfällen gerufen wurde. Das Leben sei schön. Seit 1. Januar 2015 ist er DRK-Chef in Freudenstadt. Ihm gefällt’s: "Tolle Landschaft, nette Leute, alles gut."