Nahverkehr: Trotz Gesetzesvorgabe: Barrierefreier ÖPNV im Kreis Freudenstadt bis 2022 wohl nicht möglich

Der Countdown läuft: Laut Personenbeförderungsgesetz sollen bis 2022 alle Bahn- und Bushaltestellen barrierefrei sein. Schon jetzt ist klar: Im Kreis Freudenstadt wird dieses Ziel nicht erreicht – und zwar nicht einmal ansatzweise.

Kreis Freudenstadt. Eitel Sonnenschein im Kreis Tübingen: Vor dem Jahr 2022 fürchtet sich bei den östlichen Nachbarn niemand, wenn es um den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geht. Bereits 2013 fingen die Kommunen im Nachbarkreis an, ihre Haltestellen barrierefrei umzurüsten. Zwar winken dafür Fördergelder von Bund und Land, schließlich fordert das Personenbeförderungsgesetz bis zum 1.   Januar 2022 den barrierefreien ÖPNV. Allein darauf wollte sich der dortige Kreistag aber nicht verlassen und stellte ein eigenes Förderprogramm auf die Beine, aus dessen Topf seit 2013 630 000 Euro an die Kommunen geflossen sind. Ergebnis: 124 Haltestellen sind nun barrierefrei. Hinzu kommen weitere 28 Haltestellen, die mit finanzieller Hilfe des Landes umgebaut wurden.

Im Kreis Freudenstadt hingegen ist die Zahl der barrierefreien Haltestellen an einer Hand abzählbar. Und viel mehr werden es bis 2022 auch nicht werden, vermutet Franz Schweizer, Geschäftsführer der Verkehrs-Gemeinschaft Landkreis Freudenstadt (VGF). Denn: "Das ist nicht bezahlbar." Während die Zugbahnhöfe im Kreis Freudenstadt die Anforderungen bereits größtenteils erfüllen, besteht die Barrierefreiheit beim Linienbusverkehr aus zwei Komponenten: Die VGF muss auf Niederflurbusse umsatteln, die Kommunen wiederum müssen ihre Haltestellen um einige Zentimeter anheben, damit die Busse ihre Einstiegsbereiche absenken und auf gleicher Höhe an die Haltestellen andocken können.

"Wir werden unseren Part bis 2022 ohne größere Probleme umsetzen können", kündigt Schweizer an. Schon jetzt bestehe die Hälfte der VGF-Flotte aus Niederflurbussen. Und da ein Linienbus alle sieben bis acht Jahre ausgetauscht werden müsse und die VGF ab jetzt nur noch Niederflurbusse kaufen will, löse sich dieses Problem von alleine. "Das ist aber nur die halbe Miete. Das viel größere Problem sind die Haltestellen", warnt Schweizer. Der Umbau zur Barrierefreiheit ist Sache der Kommunen. Und das ist nicht billig: Für eine einfache Haltestelle rechnet Schweizer mit Kosten in Höhe von 50 000 bis 100 000 Euro.

"Bei einem ZOB geht das in die Millionen", warnt der VGF-Geschäftsführer, der daher unterstreicht: "Ohne Fördermittel ist das nicht machbar." Anders als in Tübingen gibt es im Kreis Freudenstadt jedoch kein kreiseigenes Förderprogramm. Und mit dem Geld, das Bund und Land zur Verfügung stellen, sei der Haltestellen-Umbau nicht realisierbar.

Schweizer: "Dieses Programm ist maßlos überzeichnet. Wir wissen jetzt schon, dass das Geld nicht reichen wird."

380 Haltestellen gibt es insgesamt im Kreis. Alle davon barrierefrei umzubauen, sei laut Schweizer nicht angedacht. "Eine Haltestelle für 100 000 Euro umzurüsten, die einen einzelnen Hof bedient und an der nur alle paar Monate jemand einsteigt, lohnt sich nicht." Das Landratsamt hat daher eine Prioritätenliste erstellt, in die 57 Haltestellen aufgenommen wurden (siehe Info). Die Minimallösung lautet: Nur diese 57 Haltestellen sollen barrierefrei werden. Doch für Schweizer steht fest, dass wohl nicht einmal für diese Auswahl die Fördermittel reichen werden – nicht einmal ansatzweise.

Klar ist für den VGF-Geschäftsführer aber auch, dass die Barrierefreiheit durch die alternde Gesellschaft wichtiger werde. Sein Vorschlag: "Man muss das pragmatisch angehen. Ich bin dafür, die wirklich stark frequentierten Haltestellen umzubauen, um einem Großteil den Zugang zum ÖPNV zu ermöglichen."

Dass der ÖPNV eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllt, unterstreicht auch Oswald Zink, Behindertenbeauftragter des Landkreises Freundenstadt: "Man muss mit dem ÖPNV überall hinkommen können. Und das ist ein Punkt, der bei uns im Kreis Freudenstadt zukunftsorientierter angegangen werden muss." Ohnehin erinnert Zink daran, dass Barrierefreiheit nicht nur den Rollstuhlfahrer betreffe, sondern auch Senioren mit Rollator und junge Familien mit Kinderwagen. Allerdings wägt auch der Behindertenbeauftragte ab: "Ziel müsste sein, dass alle Haltestellen barrierefrei werden. Aber das ist bei uns im ländlichen Raum nur schwer umsetzbar. Wichtig ist, dass augebaut wird, wo Not am Mann ist. Wir müssen jetzt alle an einem Strang ziehen."

PRIORITÄT 1

57 der 380 Haltestellen im Kreis Freudenstadt hat das Landratsamt in eine Prioritätenliste aufgenommen, die bis 2022 barrierefrei sein wollen. Einzelne Haltestellen der Liste sind bereits barrierefrei – wie etwa der neue Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB) in Horb.

Freudenstadt: Marktplatz, Hauptbahnhof, Landratsamt, Karl-von-Hahn-Straße, ZOB, AOK, Jägerhof, Skistadion Kniebis, Schulen, Ziegelei Bacher, Krone Wittlensweiler. Horb: ZOB, Altersheim, Bahnhof Heiligenfeld, Real, Gymnasium, Schulzentrum, Bildechinger Streige, Rathaus Dießen, Rathaus Bildechingen, Sonne Rexingen, Lamm/Adler Dettingen, Lamm Mühringen, Zentrum Talheim, Rathaus Nordstetten, Scheibenbußstraße Nordstetten.

Alpirsbach: Bahnhof, Volksbank Peterzell.

Bad Rippoldsau-Schapbach: Kurklinik, Kirche Bad Rippoldsau, Schwimmbad Schapbach.

Baiersbronn: Bahnhof, Traube Tonbach, Kirche Baiersbronn, Seibelseckle, Schliffkopf, Lamm Mitteltal.

Besenfeld: Altes Rathaus, Göttelfingen, Oberwiesenhof.

Dornhan: ZOB.

Dornstetten: ZOB, Industriegebiet, Brunnenberg, Rathaus Hallwangen.

Eutingen: Ortsmitte.

Glatten: Ortsmitte, Schule.

Loßburg: ZOB, Arburg, Dorfplatz Rodt, Rathaus Schömberg.

Pfalzgrafenweiler: ZOB.

Schopfloch: Rathaus, Schule.

Waldachtal: ZOB Lützenhardt. PRIORITÄT 2

Zusätzlich zu den 57 Haltestellen der Priorität 1 hat das Landratsamt zwölf weitere Haltestellen in die Liste aufgenommen, deren Ausbau ebenfalls als wichtig, aber mit niedrigerer Dringlichkeit eingestuft wurde.

Freudenstadt: Pflug Dietersweiler, Grüntal Schachenäcker, Brücke Untermusbach.

Horb: Hohenberghalle, Waaghaus Betra.

Alpirsbach: Rathaus Ehlenbogen, Ortsmitte Römlinsdorf.

Empfingen: Vereinsheim.

Glatten: Rathaus Böffingen.

Pfalzgrafenweiler: Rathaus Bösingen, Rathaus Herzogsweiler.

Schopfloch: Bahnhof.