Die Zerbrechlichkeit von Beziehungen thematisierte das Bühnenstück "Geächtet". Foto: Keck Foto: Schwarzwälder Bote

Theater: Ayad Akhtars Schauspiel "Geächtet" verknüpft Politik mit Einzelschicksalen

In einer Produktion des Alten Schauspielhauses Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Tournee-Theater Thespiskarren ging im Theater im Kurhaus Freudenstadt das Stück "Geächtet" von Ayad Akhtar über die Bühne.

Freudenstadt. Die deutsche Bearbeitung stammt von Barbara Christ. Für die Inszenierung zeichnet Karin Boyd verantwortlich. "Disgraced", so der Originaltitel, wurde 2012 in Chicago uraufgeführt und ein Jahr später mit dem begehrten Pulitzer-Preis dekoriert.

Diese Auszeichnung lässt ein Schauspiel mit Tiefgang erwarten. Tatsächlich hat der Betrachter den Eindruck, dass Ayad Akhtar mit der Verknüpfung von Politik und individuellem Lebensgefühl die Messlatte doch zu hoch angesetzt hat. Am Ende der Aufführung mit vier Akten sehen sich die Protagonisten nur einem Scherbenhaufen aus Enttäuschung, Verletzungen und uneingelösten Erwartungen gegenüber. Und auf so manche Frage bleibt das Werk eine Antwort schuldig.

Es gibt Stücke, die, um nichts von ihrer Wirkung einzubüßen, ohne Pause gespielt werden sollten. So auch Akhtars "Geächtet". Ausdrücklich weist der Autor in einer Regieanweisung an, sein "Spiel" möglichst nicht zu unterbrechen. Die Inszenierung im Theater im Kurhaus folgte dieser Empfehlung allerdings nicht.

Worum geht es schließlich in den Drama, das zwischen dem Spätsommer 2011 und dem Frühjahr 2012 spielt und fälschlicherweise mitunter als Komödie gehandelt worden ist? Auf einen Nenner gebracht, handelt es sich um eine Art Kammerspiel, in dem sich zwei Ehepaare als Repräsentanten der gehobenen amerikanischen Gesellschaft aus einer üblichen Plauderei beim Abendessen in einen handfesten Konflikt hineinmanövrieren. Unterschiedliche Identitäten und Selbstwahrnehmungen prallen aufeinander. Sie hängen zusammen mit dem virulenten amerikanischen Trauma des 11. Septembers 2001.

Die Hauptfigur Amir (Patrick Khatami) ist ein erfolgreicher New Yorker Anwalt mit pakistanischen Wurzeln. Um nicht so schnell als Muslim erkannt zu werden, was karriererschädigend sein könnte, hat Amir bei seinen Papieren geschummelt. Von seiner angestammten Religion hat er sich losgesagt und steht dem Islam sehr kritisch gegenüber. Da ist ferner sein Neffe Hussein, der sich den Namen Abe (Mark Harvey Mühlemann) zugelegt hat, um ebenfalls nicht so aufzufallen. Er leidet unter der "Ächtung" von Seiten der amerikanischen Gesellschaft, die "die Welt erobert hat" und nicht verstehen kann, warum die Muslime aufbegehren.

Gehörige Dellen an Leib und Seele

Amirs "weiße" Frau Emily (Natalie O‘ Hara) hingegen hat als Kunstmalerin die Ästhetik der islamischen Kultur für sich entdeckt und wird darin bestärkt von dem jüdischen Kurator Isaac (Markus Angenvorth). Diese Konstellation bleibt erwartungsgemäß nicht ohne Folgen. Isaacs Frau Jory (Jillian Anthony), afroamerikanischer Herkunft, ist Anwaltskollegin von Amir. Sie hat das Glück, statt seiner als Partnerin in die Kanzlei aufgenommen zu werden. Amirs spät aufgedeckte wahre Identität und sein wohlmeinender Einsatz für einen inhaftierten Iman brechen ihm das Genick.

Konfliktpotenzial gibt es also allenthalben, und das Ensemble setzte alles daran, die unterschiedlichen Wertungen mit großem Stimmeinsatz und unübersehbarar Präsenz aufzudröseln. Es wird parliert, dann diskutiert, gestritten – geliebt und gehasst. Kaum eine Gemütsbewegung bleibt unangetastet. Wenn Amir zu Beginn mit heruntergelassenen Hosen dasteht (als Model für seine malende Frau), so trifft dies in übertragener Weise am Ende besonders zu. Er ist der hauptsächliche Verlierer in dem Drama. Karriere, Wohlstand, Liebe: alles ist dahin. Aber er ist nicht der alleinige Beschädigte in diesem Kleinkosmos. Ohne gehörige Dellen an Leib und Seele aus unterschiedlichen Motiven geht niemand aus dem Stück heraus.