In letzter Sekunde zogen die Retter das Opfer von den Gleisen. (Symbolbild) Foto: Matthias Balk/Archiv/dpa

Angeklagter räumt Tat ein. Zwei Flüchtlinge ziehen Opfer noch rechtzeitig von Gleisen.

Freiburg/Düsseldorf - Seit er von einem Fremden ins Gleisbett einer S-Bahn gestoßen wurde, leidet ein Rentner an den körperlichen und seelischen Folgen. Am Rande des Prozesses vor dem Freiburger Landgericht traf er jetzt zum ersten Mal auf seine Lebensretter.

Sie wollen keine Fotos, und sie machen aus dem, was sie getan haben, auch keine große Sache: Er sei "lieber ein anonymer Held, als ein bekannter Held", sagt Thomas K. (31). Der gelernte Drucker und sein Freund Eremias K. (25) leben seit ihrer Jugend in Deutschland.

Die beiden eritreischen Flüchtlinge haben vor gut zwei Jahren im S-Bahnhof Düsseldorf-Unterrath (Nordrhein-Westfalen) das Leben von Werner P. (75, Name geändert) gerettet. Der Rentner war dort von dem geistig verwirrten Holger M. (50, Name geändert) vom Bahnsteig auf die Gleise gestoßen worden.

"Wir mussten schnell entscheiden", sagt Eremias K., der im nordrhein-westfälischen Münster studiert, über die Rettungsaktion. Mithilfe eines bis heute unbekannt gebliebenen dritten Retters schafften es die beiden jungen Männer, noch vor Eintreffen der verspäteten S-Bahn ins Gleisbett zu springen und den schwer verletzten Werner P. zurück auf den Bahnsteig zu verfrachten. Eine weitere Zeugin alarmierte die Rettungskräfte und half bei der Versorgung des Verletzten. Eremias K. besaß zudem die Geistesgegenwart, mit dem Handy ein Foto von Holger M. zu schießen und damit später zur Polizei zu gehen.

Angriff hinterlässt körperliche und seelische Schäden

All das sind Details, von denen Werner P. bis gestern nichts wusste: Er erinnere sich nur noch daran, dass da "eine sehr, sehr schmutzige Person" auf dem Bahnsteig gewesen sei, deren Nähe er gemieden habe. Dann sei da dieser "heftige Stoß" in den Rücken gewesen, an den Rest könne er sich nicht erinnern. "Ich war besinnungslos", so Werner P., der nach dem Angriff vier Wochen in einer Klinik lag und in einem dreiwöchigen Reha-Aufenthalt wieder das Laufen erlernen musste.

Wer ihn damals gerettet habe, wisse er bis heute nicht. "Sehr schweigsam" sei die Polizei ihm gegenüber gewesen. Das finde er nicht in Ordnung, da er sich doch gern bei seinen Rettern bedanken wolle. Die Gelegenheit dazu bekam P. jetzt, als er vor dem Gerichtssaal in Freiburg erstmals mit Eremias K. und Thomas K. zusammentraf und anschließend mit den beiden jungen Männern rege ins Gespräch vertieft den Rückweg zum Freiburger Hauptbahnhof für die Heimreise antrat.

Holger M. hat den Angriff auf Werner P. am Freitag eingeräumt: Er sei damals "im Neandertaler-Zustand gewesen" und habe geglaubt, der Atomkrieg sei im Gange. Seine Verwirrtheit dürfte darin begründet gewesen sein, dass er seine Schizophrenie-Medikamente eigenmächtig abgesetzt hatte. Heute wisse er, dass er "nicht klarkommt" ohne Medikamente, so M.: "Das Maß ist voll bei mir", sagte der Angeklagte, der sich über seinen Anwalt Björn Seelbach gern bei seinem Opfer entschuldigt hätte.

Staatsanwaltschaft strebt dauerhafte Unterbringung an

Doch Werner P. wollte davon vor Gericht nichts wissen: Der Rentner aus Düsseldorf leidet bis heute unter den Folgen der Attacke und kann nicht mehr so gut gehen wie früher. Sein Becken wird von mehreren Schrauben zusammengehalten. Zudem habe er Angst, sich erneut zu verletzen: "Ich bin ein Schatten meiner selbst." Der Prozess gegen Holger M. wird nächste Woche fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft strebt seine dauerhafte Unterbringung in der Psychiatrie an.