Auf der Welt gibt es immer mehr Menschen, das sorgt für Probleme, bietet aber auch spannende Chancen, wie Professor Franz Josef Radermacher (Symbolbild) Foto: stock.adobe.com/Photobanks

Der emeritierte Professor für Informatik und Vorsitzende des „Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n“ Franz Josef Radermacher spricht mit unserer Redaktion über die Weltbevölkerungsentwicklung.

Die Zahl der Menschen auf unserem Planeten nimmt ständig zu. Das verursacht Probleme, bietet aber auch Chancen. Diesem Thema widmet Radermacher sich auch in einem Vortrag beim Rotary Club Freudenstadt an diesem Freitagabend in der Kreissparkasse. Im Vorfeld hat er unserer Redaktion Einblicke in das komplexe Thema gegeben.

Inzwischen gibt es mehr als acht Milliarden Menschen auf der Welt, so viele wie noch nie. Welche Probleme folgen ihrer Ansicht nach daraus?

Grundsätzlich ist es nicht so, als würde aus einer großen Zahl von Menschen automatisch folgen, dass es viele Probleme geben muss. So gab es beispielsweise 8000 vor Christus zum Beginn des Neolithikums auf der Welt nur 20 Millionen Menschen. Denen erging es im Mittel wahrscheinlich individuell schlechter als uns heute mit acht Milliarden und bald zehn Milliarden Menschen. Generell ist es so, dass die Frage, wie viele Menschen auf der Erde vernünftig leben können, im Wesentlichen eine Folge der verfügbaren Technologien und der etablierten Organisationsstrukturen ist. Unser größtes Problem ist heute, dass die verfügbaren Technologien und die uns verfügbaren Strukturen der Governance für etwa 200 Staaten auf dieser Welt nicht adäquat sind für die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, also großen Wohlstanderwartungen bei wachsender Zahl der Menschen, großen Ungleichheiten zwischen den Staaten und gleichzeitig den großen Anforderungen im Bereich des Klimas und der biologischen Vielfalt.

Gibt es auch positive Effekte aus der wachsenden Weltbevölkerung?

Natürlich gibt es immer positive Effekte aus einer wachsenden Weltbevölkerung. Im Besonderen wächst das vorhandene geistige Potenzial des sogenannten „Superorganismus Menschheit“ und damit insbesondere auch die Fähigkeit zur Innovation. Historisch betrachtet war Innovation letztendlich immer der Motor, um für immer mehr Menschen eine immer bessere individuelle Situation auf der Welt zu ermöglichen.

Franz Josef Radermacher ist emeritierter Professor für Informatik und Vorsitzender des „Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n“. Foto: Mathias Lauringer

In nur zwölf Jahren erhöhte sich die Weltbevölkerung um eine Milliarde Menschen. Inzwischen verlangsamt sich das Bevölkerungswachstum laut der UN. Was bedeutet das ihrer Meinung nach für unsere Zukunft?

Das Tempo, in dem sich die Zahl der Menschen erhöht, hat immer mehr zugenommen. Dies ist ein Veränderungstempo, auf das wir mit unserer biologischen Ausstattung eigentlich nicht vorbereitet sind. In diesem Zusammenhang lohnt es sich daran zu erinnern, dass sich in der Zeit von 8000 vor Christus bis zum Jahr 0 die Weltbevölkerung im Umfang nur verzehnfacht hat, von 20 Millionen auf 200 Millionen Menschen. 200 Millionen Menschen kommen mittlerweile alle drei Jahre dazu. Und wenn sich auch das Bevölkerungswachstum etwas verlangsamt hat, so bleibt doch die Dynamik für uns eine ständige Herausforderung, da wir eben mit vielen praktischen Problemen konfrontiert sind.

Die Weltbevölkerung wächst, während unter anderem auch in Deutschland der demografische Wandel spürbar ist: Die Zahl der jüngeren Menschen nimmt ab, gleichzeitig steigt die Zahl älterer Menschen. Welche Lösungsansätze sehen Sie, um mit diesem Problem umzugehen?

Zunächst ist es erforderlich, dass wir überall auf dieser Welt eine Wohlstandsituation herbeiführen, die insbesondere eine solide Ausbildung für alle Menschen beinhaltet, insbesondere auch für alle Frauen, und, dass insbesondere die verbesserte Lebenssituation der Menschen dazu führen wird, dass die Reproduktionsraten sinken. Parallel dazu wächst das Wissen und Können der Menschen, und damit verbunden wächst auch die Chance auf einen höheren Lebensstandard. Das Renteneintrittsalter ist dabei geeignet festzulegen. Das ist Teil der konkreten Form von Wohlstand, die geschaffen wird. So war das übrigens bisher überall auf der Welt, wo eine entsprechende Steigerung des Lebensstandards gelungen ist.

Denken Sie, dass die Weltbevölkerung ein Maximum erreichen wird und dann wieder schrumpft?

Aus heutiger Sicht wäre es nicht schlecht, wenn wir auf der ganzen Welt in die Situation kämen, dass die Zahl der Menschen auch wieder abnimmt. Das erhoffe ich mir für die Zeit nach 2050. Im Moment haben wir den stärksten Schrumpfungsprozess in China, auch als Folge der Ein-Kind-Politik. Wir haben in Deutschland bisher durch Zuwanderung die Zahl der Menschen auf dem bisherigen Niveau halten können, das ist, wenn weltweit die Zahl der Menschen einmal absinken sollte, natürlich nicht mehr überall möglich. Man kommt dann also unvermeidbar in die Situation, dass temporär die relative Zahl der jüngeren Menschen abnimmt, während die Zahl der älteren Menschen steigt. Der wesentliche Hebel muss und wird in dieser Situation sein, dass Menschen versuchen, sich gesund und fit zu erhalten und längere Zeit als heute auch dazu beizutragen, die gesellschaftlichen Aufgaben zu übernehmen und damit dann auch den eigenen Lebensunterhalt im Alter in einem größeren Umfang als bisher selbst zu finanzieren. Das gilt vor allem dann, wenn die Frauen in größerem Umfang selbst in Berufen tätig sind. Dann entsteht eine Situation, in der der Wohlstand der Familien primär von dem Arbeitseinkommen beider Eltern abhängt. Das sind nicht die besten Voraussetzungen dafür, eine größere Zahl von Kindern zu haben. Gleichzeitig ist es so, dass wegen der veränderten gesellschaftlichen Organisation man nicht mehr so dringend wie vorher auf eine große Zahl von Kindern angewiesen ist.

Können Sie näher erläutern, wieso man dann nicht mehr auf eine große Zahl von Kindern in Familien angewiesen ist?

Zum einen, weil beispielsweise Alter und Krankheit über gesellschaftliche Systeme abgesichert werden, zum anderen aber auch, weil die Säuglingssterblichkeit und überhaupt die Sterblichkeit dramatisch abnehmen. Man muss also nicht viele Kinder in die Welt setzen, damit einige übrig bleiben. Insbesondere, wenn der Wohlstand der Familie davon abhängt, dass man sich nicht um zu viele Kinder kümmern muss und, dass eben insbesondere beide Eltern zum Familieneinkommen beitragen können, dann ergeben sich Konstellationen, wie wir sie heute zunehmend in allen reichen Ländern sehen. In der breiten Bevölkerung nimmt dann die Zahl der Kinder eher wieder ab. Es gibt zwei Gruppen, bei denen dies anders aussieht. Das sind zum einen sehr reiche Menschen, denn bei diesen spielen die Kosten der Kinder keine große Rolle, und dann sind es teilweise auch ärmere Familien, bei denen die Situation bezüglich der Beschäftigung anders aussieht und die öffentliche Finanzunterstützung für Familien an Gewicht gewinnt.

Wie kam es dazu, dass Sie bald in Freudenstadt einen Vortrag halten?

In diesem Fall handelt es sich um einen rotarischen Vortrag. Ich bin selber seit vielen Jahren Rotarier und leite bei Rotary den Vorstand für Deutschland für RMCH, das ist die Rotary Action Group for Reproductive, Maternal and Child Health. Dort sind viele tausend Rotarier in Deutschland vereinigt, die sich mit dem Thema Weltbevölkerung beschäftigen und insbesondere auch mit der Verbesserung der Situation im Umfeld der sogenannten reproduktiven Gesundheit. Schwerpunkte unserer Arbeit finden sich in Nigeria. Es gibt Rotarische Clubs, die sich hier engagieren, es gibt rotarische Clubs, die mehr über das Thema wissen wollen. Das ist der Hintergrund dafür, dass man wegen eines Vortrags auf mich zugekommen ist.

Vortrag beim Rotary Club Freudenstadt

Die Veranstaltung
Der Benefizabend des Rotary Clubs Freudenstadt zugunsten der Erika-Reinhardt-Stiftung für Kinder mit Speiseröhrenfehlbildung mit Vortrag von Franz Josef Radermacher zum Thema „Die weltweiten Problemlagen im Kontext der Weltbevölkerungsentwicklung“ sowie Diskussion und Imbiss findet am Freitag, 31. März, ab 19 Uhr in den Räumen der Kreissparkasse Freudenstadt statt.