Renate Künast spricht auf einer Demonstration gegen den geplanten Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI). Foto: dpa

Künast will Berlins Bürgermeisterin werden – Neuer Flughafen bringt Grüne in Erklärungsnot.

Berlin - Renate Künast kann sich ihre Bewunderer nicht aussuchen. Die 55-jährige Grüne will erste Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden und hat viele Anhänger. "Dieser eine aber, der soll mal nicht so tun, als seien wir zwei besonders dicke miteinander, ja?", sagt sie mit einem leicht schnoddrigen Tonfall, der so gut ins nördliche Ruhrgebiet passt, aus dem sie stammt, wie auch zu Berlin, ihrer Wahlheimat. Zu jener Stadt also, die sie von Herbst an regieren will. Dieser eine, der immer so tut, als wären sie "dicke miteinander", ist kein anderer als Klaus Wowereit von der SPD, der Amtsinhaber, dessen Namen zu nennen seine Herausforderin am liebsten vermeidet. So wie es sich für Wahlkämpfer gehört. Beste Freunde sollen sie sein? "Wir pflegen mittelenglisches Understatement", kontert Künast. "In diesem Wahlkampf wird es nicht mehr Bussi-Bussi geben."

Seit April liegen die Grünen um Künast erstmals wieder in Umfragen vorn. 29:26 Prozentpunkte gegenüber Wowereit und dessen SPD, mal 28:26. Knapp, aber immerhin. Schließlich lagen sie schon mal über 30 Prozent, damals im Winter, als Künast ihre Kandidatur angemeldet hatte. Doch dann der Absturz auf 22 Punkte. Weil die Kandidatin Künast auf der Demonstration von Bürgerinitiativen gegen den auszubauenden Großflughafen Berlin Brandenburg International, kurz BBI, auftrat und dessen Betriebsbedingungen infrage stellte. Über Flugrouten, Lärmschutz und Nachtflugverbot müsse offen verhandelt werden, bevor der BBI im Juni 2012 fertiggestellt sein soll. "Soll hier ein weltweites Drehkreuz oder ein europäischer Regionalflughafen entstehen?", fragte sie damals. Das ging schief. Die Wirtschaft war irritiert; die Region sehnt das Verkehrsgroßkreuz BBI als Infrastruktur-Stütze herbei.

Es geht nicht um Ja oder Nein

Wowereit dagegen hatte leichtes Spiel. Lästerte über den von Künast apostrophierten "Entwurf für Berlin" und wirkte mit seinem zwar nicht siegessicheren, aber amüsiertem Gesichtsausdruck nicht mehr so amtsmüde wie zuvor. Wird sich also der Wahlsieg an der Frage der Haltung zum Flughafenprojekt entscheiden - ähnlich wie bei Stuttgart 21? Nur dass es in Berlin die SPD ist, die seit zehn Jahren regiert, und die Grünen gegen das Rote Rathaus anstürmen?

Wohl kaum. Es geht nicht um Ja oder Nein, darum, dafür oder dagegen zu sein. Auch die Grünen sind für den Ausbau des früheren Ostberliner Flughafens Schönefeld zum BBI. Sie waren die Ersten, die sich dafür einsetzten, den Verkehr von den innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof ins Umland zu verbannen.

Im Wahlprogramm fordern Künast und ihre Partei für den früheren Ostberliner Flughafen Schönefeld, der nun BBI heißen soll, ein konsequentes Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr. Der Flughafen jedoch braucht die Nacht für die Frachtverladung und möchte zwischen 22 und Mitternacht beziehungsweise zwischen 5 und 6 Uhr früh eingeschränkt Flüge erlauben. Dagegen wehren sich mehrere Bürgerinitiativen und Anwohner. Doch der bürgerliche Protest an den Berliner Randbezirken und im Brandenburgischen läuft ohne die Grünen-Protestbewegungspartei.

Ein Spielplatz mit Lärmschutz

Die Bürger klagen auch gegen die von der Flughafengesellschaft gewünschten unabhängigen Parallelstarts. Die haben zur Folge, dass Maschinen auf beiden Bahnen unabhängig voneinander starten und landen. Weil sie aus Sicherheitsgründen aber nach dem Start getrennte Routen einschlagen müssen, die um mindestens 15 Grad voneinander abweichen, werden auch Wohngebiete überflogen, die bisher gar nicht von den Flugrouten betroffen schienen. Seither kämpfen Anwohner um jeden Grad und Winkel der Flugrouten. Während des Sommers wollen Anwohner aller Regionen regelmäßig Großkundgebungen veranstalten.

Die Flugsicherung legt der Fluglärmkommission ein überarbeitetes Konzept vor - aber wie es allen recht machen? In der Lärmkommission sitzen 34 Vertreter von Bürgerinitiativen. Die sind sich nicht immer grün - wenn es für eine Region leiser wird, muss es für andere zwangsläufig lauter werden. Spitzenkandidaten, die sich einmischen und für ihren Wahlkampfvorteil für die eine oder andere Kommune wiederum Partei ergreifen, vermisst hier niemand. "Wer uns quält, wird nicht gewählt", heißt es drohend von Plakaten. Es wird ein heißer Wahlkampfsommer.

"Die Grünen wollen einen wirtschaftlich erfolgreichen Flughafen, sofern er auf Akzeptanz stößt. Es geht um einen Ausgleich zwischen Flughafenbetreibern und Anwohnern", beteuert Künast. "Darum sind transparente Verfahren so wichtig, alles muss auf den Tisch. Mein Ziel ist es, dass die einen ausgeschlafen zur Arbeit und die anderen ausgeschlafen zur Schule kommen."

Ein Spielplatz mit Lärmschutz

Britt sieht alles andere als ausgeschlafen aus. Die Vierjährige schaut hinüber zur Baustelle, wo ihre künftige Kita entsteht. Arbeiter bauen schallisolierte Fensterverglasungen ein und verstärken die Decke; spezielle Luft- und Geräuschfilter sollen Kerosin und den Schallfrequenzbereich von Flugzeugen auffangen, schlucken, unschädlich machen. In 250 Meter Höhe werden die Flieger künftig über Blankenfelde-Mahlow zu sehen und zu hören sein. Also wird die Kita inklusive aller Spielhöfe mit dicken Fenstern überdacht. Den Wald und den Himmel sehen die Kinder durch Glas. Ein Indoor-Spielplatzparadies unter Lärmschutz. Draußen spielen? Das war einmal, wenn der Flughafen erst einmal voll in Betrieb geht.

Klar waren die Blankenfelder auch schon im Berliner Abgeordnetenhaus; dort geben sich die Bürgerinitiativen die Klinke in die Hand: Das Bündnis Berlin Brandenburg gegen die neuen Flugrouten dringt auf ein Überflugverbot über dem Wannsee, an dem das wissenschaftliche Helmholtz-Zentrum einen vergleichsweise kleinen, zehn Megawatt starken Atomforschungsreaktor betreibt. Dessen Sicherheitskonzept müsse überprüft werden. Andere Gemeinden fürchten fallende Immobilienpreise.

Zuletzt versperrten Demonstranten erneut die Zufahrt zum neuen Terminal; an die 10.000 Menschen pfeifen, trillern und trommeln für ihr Recht auf Ruhe. Renate Künast ist nicht gekommen. Sie besichtigte neulich mit der Grünen-Fraktion des Stadtparlaments die Baustelle unter Anleitung des Flughafenchefs. Künast will wiederkommen - zur Eröffnung im Sommer 2012.