Die spanischen Künstler im Theaterhaus Foto: Theaterhaus/Sibylle Nunez-Diaz

Das ist unglaublich gefühlvoll und mitreißend: die andalusische Compañía Marco Flores eröffnet das 13. Stuttgarter Flamenco-Festival im Theaterhaus.

Nach und nach schält sie sich aus dem Dunkel der Bühne: die vornübergebeugte Figur, die allein von ihrem ausgestreckten Arm gehalten zu werden scheint. Sie reckt sich gen Himmel, langsam, gleichwohl zielgerichtet, als ob sie ein Eigenleben führt. Der Mann am Arm blickt fast schmerzvoll nach oben, wie aus einem Dornröschenschlaf geweckt, bevor er kauernd die Hände vor den Kopf führt, um sich dann vorsichtig weiter zu winden. Bis Klicks Rhythmus in die Bewegung bringen. Akzentuiertes Fingerschnippen? Nein, Kastagnetten in seinen Händen.

Es ist wie beim Kinderspiel „Himmel und Hölle“

Schon die ersten geheimnisvoll anmutenden Sequenzen des Stücks „Rayuela“ der Compañía (Cía) Marco Flores, mit dem am Samstag das 13. Stuttgarter Flamenco-Festival eröffnet wurde, ziehen in den Bann. Rayuela ist der spanische Name des Falt- oder Hüpfspiels „Himmel und Hölle“, das Kinder seit der Antike in verschiedenen Kulturen spielen. Analog dazu spannt Choreograf Marco Flores einen Bogen über die tausendjährige Kultur des Flamencos, die 2010 von der Unesco zum Immateriellen Weltkulturerbe erklärt wurde. Zunächst behutsam tastet er Bewegungsformen ab, die aus dem Körper zu entstehen scheinen, die man auch mit anderen Gattungen zeitgenössischen Tanzes assoziiert. Begleitet dabei wird er von Grandiosen: dem feinst modulierenden Sänger Alfredo Tejeda sowie dem Meistergitarristen Alfredo Lagos.

Sie reagieren auf die Klicks, achtsam und ernst mit der feierlichen Seguiriya, einem der ältesten Palos, also Stil des Flamencos, dann mit der melancholischen, auf Volksliedern basierenden Serrana. Just so, als ob sich das Trio um die Zukunft der Kunstform sorgt. Denn auch sie wurde in den vergangenen Jahren ökonomisch getroffen, auch im andalusischen Jerez de la Frontera, wo Marco Flores am Teatro Villamarta mit seiner Kompanie eine Heimstatt hat.

Der Tänzer überwindet die Grenzen zwischen den Geschlechtern

Doch der vielfach preisgekrönte Tänzer und seine Mitstreiter beweisen an diesem Abend, dass es um das Morgen des Flamencos bestens bestellt ist. Kaum hat sich Flores in blau-grünen Strahlen aufgerichtet – Ada Bonadei setzt die Szenen effektvoll, aber nicht heischend ins Licht –, taucht das Trio in einen mitreißenden Dialog aus Tanz, Gesang und Gitarre, der nicht nur Traditionen abklopft, sondern Zeitgenössisches und Aktuelles aufgreift, so Möglichkeiten für die Zukunft auftut.

Nicht nur, dass Flores grandios und ausdrucksstark Tanzgattungen mixt, nach rasanten Zapateados Figuren aus Ballett, Jazz, Modern Dance und anderem mehr lässig und fröhlich einwirft. Er legt sich auch auf keine Rolle fest. Er wechselt zwischen weiblichen und männlichen Pasos, den Bewegungsmustern, beugt sich mal tief zurück, dreht elegant die Hände, um dann wieder mit eckigen Armen den Torero zu geben – klassisch mit weißem Hemd und schwarzer Hose. Danach lockt er im rosafarbenen Paul-Smith-Designer-Anzug selbstbewusst hüftschwenkend Publikum wie Mitspieler, um im Finale mit bunt geblümter Hose, rotem Sombrero und Halstuch, das er zu Milongas und Habaneras neckisch schwenkt, zu überraschen.

Und so endet „Rayuela“ in einem wahren Fest der Befreiung, in der Tradition nicht verleugnet, aber in anderen, neuen Perspektiven gezeigt wird. Das ist Können mit funkenschlagender Spielfreude, die das Publikum mit langem Beifall im Stehen belohnt.

Flamenco-Festival: Am Mittwoch, 2. August, gastiert Manuel Linan im Theaterhaus; Beginn: 20.15 Uhr